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Im anderen Hosenbein der Zeit

Über »Perry Rhodan – Das größte Abenteuer«

von JOHANNES RÜSTER


Copyright: Michael Schober

Dreitausend Wochen PERRY RHODAN, fünfzig Jahre Mondlandung: Diese Konjunktion der Jubiläen hat Andreas Eschbach zu einem Roman inspiriert, der es in sich hat. In den Worten des Autors:

»[Erst] kam mir die Idee, dass es nach 3000 Heften doch an der Zeit wäre, die Kindheits- und Jugendjahre unseres Helden mal eingehender zu beleuchten, und dann [...] dachte ich: Hmm – wie kam es in der anderen Zeitlinie eigentlich dazu, dass nicht ein Apollo-Raumschiff auf dem Mond landet, sondern die STARDUST?« (Aus meinem Interview mit dem Autor, das in der Zeitschrift phantastisch! 73 erschienen ist.)

Die Geschichte muss stimmen

Allein das wäre schon eine Arbeit, die Andreas Eschbach detektivisch und kreativ gefordert hätte: All die kleinen Schlaglichter, die über die Jahrzehnte auf Perrys »Vorgeschichte« geworfen worden sind, mussten erst zusammengetragen und dann harmonisiert werden. Schließlich sind sie wild über alle Produktlinien des Perryversums verstreut und nicht ohne Widersprüche. Man denke hier etwa an das Kneifelsche Zeitabenteuer »Palast der Legenden« (TB 337 von 1991), in dem der Autor Perry die Studentenunruhen in Paris 1968 erleben lässt (was Eschbach selbstverständlich aufgreift), aber auch Perry erst nach den Apollo-Missionen auf den Mond schickt. Damit verbiegt er die Kausalitäten derart gründlich, dass Rainer Castor als Bearbeiter des entsprechenden Blaubands quasi aufgab und das ganze kurzerhand zum Blick in eine Parallelwelt erklärte.


Mehr zu den unterschiedlichen Variationen der ersten Mondlandung als Gründungsmythos der PERRY RHODAN-Serie findet sich in der ausgesprochen lesenswerten Zusammenstellung von Olaf Brill: »Variationen von Sternenstaub – Teil 2: Variationen« (PERRY RHODAN-Report 479, veröffentlicht in PERRY RHODAN 2764).

Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn in »Perry Rhodan – Das größte Abenteuer« hat Andreas Eschbach für sich selbst den Schwierigkeitsgrad noch einmal um 50 Prozent erhöht – und das sehr zum Gewinn für uns Serienkenner unter den Lesern. Wir können nämlich nicht nur langsam und genüsslich entdecken, wie meisterhaft er zunächst alles zusammengetragen hat, was über Perrys frühe Jahre bisher geschrieben wurde, sondern auch, wie er diese Flicken zu einem bunten Quilt verarbeitet, in dem viele kleine Ostereier versteckt sind.

Unterschiedliche Realitätsebenen

Diese Überraschungen entstehen, weil er zwangsläufig drei Realitätsebenen miteinander verzahnt: erstens das, was wir grob vereinfacht unsere Realität nennen, zweitens die Historie des Perryversums, und drittens die mittlerweile Legende gewordene Gründungsgeschichte der PERRY RHODAN-Serie selbst.

So beginnt die hier geschilderte Familiengeschichte mit Perrys Großvater:

»Alois Roden, geboren am 17. Mai 1889 in Scheernsting, einem kleinen, heute nicht mehr existierenden Dorf in Oberbayern, einer Region in Deutschland, einem der Länder im damaligen Europa.« (Seite 15)


Dieser kleine Absatz leistet einiges. Es wird einmal mehr die deutsche Namensaussprache zementiert. Oberbayern wird, sowohl als Perrys Urheimat in der Serie selbst (siehe PR-Band 620) als die tatsächliche Entstehungsregion der Serie in die Historie eingebracht, aber auch die beiden Gründerväter Scheer und Ernsting sozusagen kulturgeografisch verewigt.

Andere Spielereien dieser Art sind ein kleines bisschen weniger offensichtlich, verleihen dafür der Geschichte mehr Farbe: Dem Genrekenner wird relativ schnell klar, dass der Nevada Space Port an der geografischen Position entstehen wird, an der in unserem Universum die Groom Lake Base liegt, besser bekannt als Area 51 – Außerirdische fühlen sich offensichtlich in allen Welten dort schnell heimisch.

Ein Weltenmix

Auch wenn die beiden genannten Beispiele hart an der Grenze höheren Blödsinns lavieren: Der Weltenmix – und Eschbachs präzise Recherche in allen Welten! – zeigt seinen wahren Wert, als die Geschichte, um ein wunderbares Sprachbild von Terry Pratchett aufzugreifen, ins andere Hosenbein der Zeit schlüpft und (ab Seite 591) von einer möglichen realistischen Biografie zur Alternativweltgeschichte wird.

Denn an der Nahtstelle steht eine reale Person, ein lange etwas unbekannterer Teilnehmer des Apollo-Programms namens Jim Lovell: Er wird als Testpilot und zunächst gescheiterter NASA-Astronaut eingeführt, der sich mit Perry befreundet. Er ist es, der Perry mit seinem zukünftigen Vorgesetzten, General Lesly Pounder, bekannt macht.

Aber wo Lovell in unserer Welt wegen technischen Versagens mit Apollo 13 eben nicht auf dem Mond gelandet ist, gerät er in Eschbachs Roman in eine ganz andere Notlage: Hier geht seine (historisch korrekt begonnene) Apollo 8-Mission derart gründlich (und unhistorisch) schief, dass sie zum Auslöser einer Kette von Ereignissen wird, die Neil Armstrong zum Crewmitglied der in PR-Band 1 erwähnten Raumstation Freedom 1 macht. So schafft er Armstrong nur bis in den Erdorbit – und dafür eben Perry auf den Mond.

Der Beispiele sind Legion. Eschbach schafft eine Welt, in der John F. Kennedy und Ernst Ellert koexistieren können. Er gönnt Walter Ernsting alias Clark Darlton einen kaum getarnten Kurzauftritt als Radioverkäufer, der von Technik keine Ahnung hat, aber mit seinem Charme der Kundschaft auch wirklich alles andrehen kann. Der Beispiele mag das genügen, an dieser Stelle soll nicht die Lust am Selbstentdecken genommen werden. Nur noch so viel: Die Geschichte hält all das sehr gut aus.

Welcher Perry?

Das kann nicht laut genug gesagt werden, denn als Andreas Eschbachs Roman angekündigt wurde, wurden des Öfteren bange Fragen laut, die sich auf die eine zusammenfassen ließen: »Ist ›sein‹ Perry dann ›der Perry‹?«

Die beruhigende Antwort muss lauten: »Nein, natürlich nicht. Denn den Perry, ›den es gibt‹, gibt es nicht.« Gerade in der Zusammenschau so unterschiedlicher Elemente zeigt Andreas Eschbach, dass Perry Rhodan als Romanfigur letztlich ein Paradoxon ist: eine hyperdimensionale Projektionsfläche, die, je nachdem aus welchem Winkel man sie betrachtet, in beliebigen Abtönungen schillert.

Jede Lesergeneration hat ihren Perry. Und Teil der Spannung für uns Initiierte besteht beim Lesen mindestens der Jubiläumsbände darin, welcher Perry auf uns wartet – beziehungsweise wozu wir ihn machen können. In den Händen Andreas Eschbachs wird der »Mythos Perry Rhodan« auf eine Art und Weise greifbar, die eben genau das ist: eine Art und Weise.


Die uns neue Blicke auf unseren »Mann im All« eröffnet, ohne irgend eine der vertrauten Perspektiven geringzuschätzen – indem sie ihn gleichzeitig menschlich macht und uns als Fans sanft ermahnt, ihn auf einen nicht allzu hohen Sockel zu heben. Der Chronist schreibt von der Landung in der Wüste Gobi am Abend des 29. Juni 1971:

»Auch alles andere, was über diesen Tag berichtet wird, ist wahr. Dass Perry Rhodan als Erster ausstieg und sich umsah, fast, als hätten sie eine neue Welt betreten. [...] Und es stimmt auch, dass er daraufhin die Schulterstücke mit den Rangabzeichen eines Majors von seiner Uniform entfernte. Es war nur eine Geste, aber sie war wichtig, wie es alle Gesten sind. Er tat es nur weit weniger dramatisch, als es in Aufführungen eifriger Schultheater gern dargestellt wird.« (Seite 745)


Um noch einmal dem Autor das Wort zu geben:

»[Ich hoffe, dass man Perry Rhodan] mit viel größerem Genuss lesen wird, wenn man endlich weiß, was dieser Perry Rhodan eigentlich für ein Mensch ist. Denn was das betrifft, bin ich auf ein paar ganz überraschende Dinge gestoßen ...«

Da hat er recht.

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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