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9.

Der Feind, so gnadenlos

Wenige Minuten, nachdem die Nachricht von der Ankunft eines ladhonischen Raumers eingegangen war, spitzte sich die Lage vor der Plantagenhalle zu.

Hatten sich die Zuschauer bislang auf die Monitoren und die Übertragung der Initialkopplung konzentriert, wandten sie die Blicke nun immer mehr davon ab. Stattdessen sahen sie auf die Straße, die zwischen zwei weiteren fabrikähnlichen Gebäuden aus der Stadt zur Plantage führte – dorthin, von wo aus Osmund und seinen Kameraden die Rufe einer aufgebrachten Menge entgegenbrandeten.

»Der Löbliche Zirkel scheint Zulauf bekommen zu haben«, sagte Osmund.

Tatsächlich bestand die Prozession nicht mehr nur aus elf Olubfanern mit grünen Tüchern, sondern aus fünfzig oder sechzig. Sie stapften auf das Gebäude zu und sangen in der Sprache, die Osmund im Götterhain von ihnen gehört hatte, mischten aber auch Interkosmo darunter. Vermutlich wollten sie, dass Fremdvölker ebenfalls ihre Botschaft hörten – und hatten deshalb das Aufbruchsfest gewählt, bei dem die Stadt vor Vertretern anderer Milchstraßenvölker schier platzte.

»Wir ehren die Cairaner«, skandierten sie, »aber wir lieben die Götter.«

»Wer den Glauben kaserniert, verliert seine Identität.«

»Bewahrt die Tradition!«

»Ein Volk ohne Vergangenheit ist ein Volk ohne Zukunft.«

Besonders der letzte Spruch berührte Osmund, traf er – wenngleich auf andere Weise – doch gleichsam auf die Terraner zu.

Weniger berührt zeigten sich die Hunderte von Olubfanern, die den Tross umgaben und die aus der Zuschauermenge vor der Halle raschen Zulauf bekamen. Sie beschimpften die Prozession als Fortschrittsverweigerer und Friedensgefährder, als undankbares Gesindel, das geistig zu beschränkt sei, um die Segnungen der Cairaner zu würdigen, als Abschaum, Phantasten und Gesellschaftsschädlinge.

Trinkgefäße flogen aus der Anonymität der Menge, besudelten die Protestierenden mit einer roten Flüssigkeit, die Osmund unangenehm an Blut erinnerte, zerschellten an den massigen Leibern. Doch der Löbliche Zirkel blieb zu jeder Zeit friedlich, verletzte niemanden, sang seine Lieder und ließ sämtliche Schmährufe und Wurfgeschosse über sich ergehen.

Und dennoch war er es, der gegen das Gesetz verstieß, und nicht der zornige Pöbel.

Osmund Solemani, Donn Yaradua und Winston Duke standen etwas abseits der Halle in der Nähe des Gleiters auf einer der provisorischen Bühnen, die sich über die ganze Stadt verteilten. Auf ihr mochten während der Festzeit üblicherweise Theaterstücke dargeboten werden, die den Cairanern huldigten oder die Geschichte der Olubfaner nacherzählten. In diesen Stunden fand jedoch keine Vorstellung statt, wahrscheinlich weil wegen der Kopplung ohnehin niemand zugeschaut hätte, und so bot das Gestell einen geeigneten Platz, um das Geschehen vor der Halle im Auge zu behalten.

Aus zwei Nebenstraßen eilten weitere Einheimische heran. Sie trugen graue, uniformähnliche Einteiler und Helme, die nur die Gesichter freiließen. Alles an ihrem Erscheinungsbild schrie Ordnungskräfte. Insgesamt handelte es sich um zweiundzwanzig Polizisten, vielleicht auch Soldaten. Die ersten überhaupt, die Osmund in der Stadt sah. Aber zumindest keine Cairaner.

Hatten sie die Gläubigen bisher offenbar nicht behelligt, schoben sie sich nun zwischen die aufgebrachte Bevölkerung und die Prozession und stellten sich ihr in den Weg, womöglich aus Angst, der Löbliche Zirkel könnte in die Halle eindringen und mit den verwerflichen Parolen die Kopplung stören.

Immer noch flogen Gegenstände – Becher, Essensschalen, doch nun mischten sich Steine darunter. Manche trafen die Polizisten, und diese sahen sich plötzlich zwischen den Fronten gefangen. Anstatt die Ruhe zu bewahren, wussten sie sich nicht anders zu helfen, als klobige Waffen zu ziehen und auf die vermeintlichen Angreifer zu feuern.

Blitze umspielten massige Körper, Glieder zuckten, Olubfaner stürzten. Andere gerieten in Panik, wollten fliehen, stolperten über betäubte Leiber.

Innerhalb weniger Sekunden eskalierte die Situation.

»Einer der Gründe«, sagte Winston Duke, »warum ich keine Außeneinsätze mag. Ständig wird man in irgendwas reingezogen, das einen nichts angeht.«

Osmund funkte Rhodan an, berichtete von der Lage und bat um Anweisungen.

»Seid ihr in Gefahr?«, fragte der Aktivatorträger.

»Im Augenblick haben wir genügend Abstand, aber das Chaos könnte zu uns herüberschwappen. Außerdem fürchte ich, dass bald Cairaner hier auftauchen werden.«

»Mischt euch nicht ein! Es gibt ohnehin nichts, das ihr unternehmen könnt, als abzuwarten und zu beobachten.«

»Die Ladhonen greifen an«, schaltete sich Muntu Ninasoma von der BJO BREISKOLL in das Funkgespräch. »Ihr Schiff steht im Orbit, und es hat sich eine Art dreieckige Plattform davon gelöst. Vielleicht ein Truppentransporter. Der Funk der olubfanischen Aufklärung bezeichnet ihn als Raumponton.«

»Greift die Abwehr der Olubfaner?«

»Von wegen Abwehr! Im Gegenteil! Auf allen Kanälen senden sie die Anweisung ans Volk, keinen Widerstand zu leisten. Als ob sie hoffen, dann glimpflicher davonzukommen.«

»Das deckt sich mit dem, was Ologbon berichtet hat. Beim Überfall auf die GLUTOBAT III haben sie den Kommandanten erst erschossen, als er sich ihnen in den Weg stellte, und alle anderen verschont.«

»Bis auf die Entführten.«

»Richtig, bis auf die. Und was sie mit ihnen gemacht haben, wissen wir nicht.«

»Was sollen wir tun? Zusehen, wie sich ein Volk hemmungslosen Räubern ergibt?«

»Der Gedanke gefällt mir ebenso wenig wie dir. Aber ich sehe keine Alternative. Die Ladhonen operieren milchstraßenweit. Wir sind zufällig auf einem Planeten gelandet, den sie als Ziel ausgesucht haben. Was ist mit den anderen Opfern? Wir können nicht das ganze Universum retten.«

»Eigentlich haben wir das mit der Löschung des Weltenbrands gerade getan.«

»Du weißt, wie ich das meine. Wir dürfen uns nicht in ein Gefecht verstricken lassen, bis die Cairaner kommen. Wir müssen weiter Richtung Rudyn.«

»Schlechte Nachrichten«, mischte sich nun auch Sholotow Affatenga ein. »Ich fliege mit der SCHOTE im Augenblick über dem Block, in dem die Plantagenhalle liegt. Gleich daneben befindet sich ein kleiner Raumhafen. Er ist offenbar das Ziel des Pontons.«

Osmund richtete den Blick von der Straßenschlacht zum Himmel. Nichts zu sehen. Die Fabrikgebäude standen zu eng beieinander und schränkten das Sichtfeld zu stark ein.

»Sie sind gelandet«, meldete Tenga kurze Zeit später.

Eine olubfanische Bassstimme hallte aus Akustikfeldern über das Gelände. »Gebt den Ladhonen, was sie wollen. Im Interesse des Wohlergehens der Bevölkerung: Bewahrt die Ruhe und wehrt euch nicht! Gebt den Ladhonen, was sie wollen. Im Interesse des Wohlergehens ...«

In einer Endlosschleife wiederholte sich die Aufforderung. Doch die Menge vor der Halle nahm sie nicht wahr. Zu sehr war sie damit beschäftigt, Schläge zu verteilen, einzustecken oder ihnen auszuweichen. Die Masse wogte hin und her. Längst kämpfte jeder gegen jeden, und die, die nicht kämpften, versuchten sich zu befreien und dem Schmelztiegel der Gewalt zu entkommen.

Meist vergeblich.

»Sie haben das Schiff verlassen«, sagte Tenga. »Sechzig, siebzig Ladhonen, einige Roboter. Sie teilen sich auf. Die kleinere Gruppe plündert den Raumhafen. Technisches Gerät, Werkzeuge, Schutzanzüge. Sie scheinen wahllos mitzunehmen, was ihnen in die Hände fällt. Die größere Gruppe ... Es sieht aus, als würden sie sich auskennen. Ich glaube, sie wollen zur Tolnotenplantage. Sie kommen zu euch!«

*

Vier Minuten nach der Landung erreichten etwa fünfzig Ladhonen die Plantage. Zum ersten Mal sah Osmund die Wesen, von denen er bisher nur gehört hatte.

Sie waren vage humanoid, menschengroß, vielleicht ein wenig kleiner, mit einem Kopf, zwei Beinen und zwei Armen, die in vierfingrigen Händen endeten. Damit hörte die Ähnlichkeit aber auch schon auf.

Der Mund bestand aus einigen vertikalen, fingerlangen Lamellen. Darüber saß ein faustgroßes, violett schillerndes Facettenauge. Über das Schädeldach zog sich ein rötlicher Hautkamm. Ein feiner blauer Federflaum bedeckte den Schädel, vielleicht auch den Rest des Körpers.

Die Piraten verharrten kurz, als sie den Rand der Straßenschlacht erreichten. Selbst aus der Entfernung sah Osmund, wie sich die Hautkämme der vordersten Ladhonen dunkelrot färbten.

Für einen Augenblick wirkten sie unentschlossen, als hätten sie nicht mit einer Horde von Olubfanern gerechnet, die sie ignorierte.

Der vorderste Ladhone pflückte eine metallene Kugel vom Gürtel seines Raumanzugs und warf sie in die Höhe. Über den Köpfen der Olubfaner barst sie mit einem schrillen, ohrenbetäubenden Pfeifen.

Einige Sekunden glaubte Osmund, sein Schädel würde platzen, doch das Gefühl erlosch, als das Geräusch abbrach.

Endlich kam Ruhe in die kämpfende Menge. Die Kontrahenten aus Löblichem Zirkel und Ungläubigen ließen voneinander ab und starrten den Neuankömmlingen entgegen.

Doch nur kurz ...

Die Stimmung war immer noch so aufgeheizt, dass einige Olubfaner plötzlich ein neues Ziel für ihre Aggression definierten. Sie achteten nicht auf die weiterhin über das Gelände schallende Aufforderung, sich nicht zu wehren.

Sieben Minuten nach der Landung traf ein Stein einen Ladhonen in der zweiten Reihe. Jemand schoss auf die Piraten, doch deren Schutzanzüge schluckten die energetische Entladung. Drei besonders heißblütige Olubfaner, keiner von ihnen mit einem grünen Tuch um den Hals, stürzten sich den Ladhonen entgegen.

Acht Minuten nach der Landung lagen sie tot auf dem Boden, niedergestreckt von ladhonischen Thermostrahlern. Als wollten sie damit ein Zeichen setzen, erschossen die Raumpiraten vier weitere Olubfaner, die in der Nähe standen.

Neun Minuten nach der Landung hatte die Menge die Botschaft verstanden.

Das galt auch für Osmund Solemani, Donn Yaradua und Winston Duke. Kurz hatte Osmund erwogen, Rhodan darum zu bitten, weitere Einsatzteams und Kampfroboter von der BJO BREISKOLL anzufordern, doch dann begriff er, was sie damit anrichten würden. Vielleicht gelang es ihnen, einzelne Ladhonen auszuschalten. Aber in der Folge würden Olubfaner sterben. Zivilisten. Unschuldige, die nichts weiter gewollt hatten, als auf einem Fest ausgelassen zu feiern.

Womöglich gelang es ihnen sogar, alle Ladhonen auszuschalten. Nur – was geschähe danach? Sie wussten nichts über die Stärke und Organisation der Piraten. Bald würde die BJO aus dem System verschwinden. Und dann? Würden weitere Ladhonen kommen, um die Bevölkerung zu bestrafen, um sich an ihr zu rächen?

Auf jeden Fall durften sie dieses Risiko nicht eingehen. Die olubfanische Regierung wusste, warum sie ihre Bürger bat, sich nicht zu wehren: weil sie sich davon den geringstmöglichen Schaden versprach.

Und die Besatzungsmitglieder der BJO mussten dieses Vorgehen respektieren, durften es nicht durch eigenmächtiges Handeln unterminieren.

Trotzdem fühlte sich Osmund schäbig und hilflos wie niemals zuvor in seinem Leben.

Er sah seinen Kameraden an, dass es ihnen ähnlich erging.

Zehn Minuten nach der Landung bahnten sich die Ladhonen ungehindert einen Weg durch die Menge und betraten die Tolnotenplantage.

Ab diesem Augenblick verlief der Überfall schnell, zielgerichtet und – wo nötig – ohne jede Rücksicht.

*

Rhodan fiel es schwer, die Haltung der Olubfaner und der Angehörigen anderer Völker bei den Kontaktgärten nachzuvollziehen.

Seit zehn Minuten tönte in Endlosschleife die gleiche Durchsage wie vor der Plantage durch die Halle. Und die Anwesenden?

Sie taten nichts, außer weiter die Initialkopplung zu beobachten. Ihre Anspannung merkte man ihnen nur dadurch an, dass kein Jubel mehr aufbrandete, wenn ein Jungolubfaner eine passende Symbiontenkolonie fand. Stattdessen herrschte lähmende Stille im Kontaktgarten.

»Was ist mit denen los?«, flüsterte ihm Farye zu. »Sollten sie nicht ... ich weiß auch nicht. Evakuieren?«

»Wozu?«, fragte Ologbon. »Es gäbe nur Gedränge, vielleicht eine Panik. Und wir kämen niemals alle rechtzeitig raus.«

Soweit Rhodan das beurteilen konnte, klang der Olubfaner niedergeschlagen, als hätte er resigniert. Kein Wunder, war er den Ladhonen beim Überfall auf die GLUTOBAT III doch gerade erst entkommen.

Nicht nur die Einheimischen, auch alle Besucher von anderen Planeten schienen sich mit der Situation abzufinden. Die meisten waren wahrscheinlich niemals zuvor leibhaftigen Ladhonen begegnet, doch im Gegensatz zu Rhodan kannten sie sie seit Jahren aus Erzählungen und den Nachrichten. Sollte er ihnen also nicht zubilligen, am besten zu wissen, welches Verhalten das klügste war?

Es fiel ihm schwer.

Umso mehr, als sich der Zugang zwischen den Zuschauerrängen öffnete und die Raumpiraten mit einer Selbstverständlichkeit hereinkamen, die an Überheblichkeit grenzte.

Ein Ladhone blieb vor dem mittleren Bassin stehen. Das Facettenauge bewegte sich in einer Furche in der Stirn von links nach rechts und zurück, als liefe es auf einer Schiene. Er behielt die versammelte Zuschauermenge im Blick, ohne ein einziges Mal den Kopf bewegen zu müssen.

»Ich bedauere«, sagte er auf Interkosmo mit einer Stimme, die Rhodan vorkam, als spielte man eine Aufzeichnung ein wenig zu schnell ab, »eure Zeremonie zu stören. Doch ich versichere euch, wenn sich uns niemand in den Weg stellt, verlassen wir euch bald wieder, und keiner kommt zu Schaden.«

Ologbons Atem beschleunigte sich. »Das ...«, presste er hervor. »Das ist er!«

Ehe Rhodan fragen konnte, wen er meinte, fuhr der Ladhone fort: »Mein Name ist Bodh Aputhar von der Versorgungseinheit POD-2202. Ich freue mich, mit euch Geschäfte zu machen.«

»Er hat mein Schiff überfallen«, flüsterte Ologbon. »Er hat Onigboia und die anderen entführt.«

Vielleicht kam also daher die Ortskenntnis, die Tenga bei den Ladhonen zu erkennen geglaubt hatte.

Bis auf Bodh Aputhar schwärmten die Eindringlinge aus, wählten ohne erkennbares Muster Olubfaner – und nur Olubfaner – unter den Zuschauern aus und zwangen sie mit vorgehaltenen Waffen, sich vor den Bassins zu versammeln.

»Sie suchen neue Entführungsopfer«, raunte Farye.

Als Rhodan einige Ladhonen von hinten sah, bemerkte er einen Auswuchs, der knapp unter Schulterhöhe aus dem Anzug ragte. Ein dritter, stark komprimierter Arm? Die vier Greiflappen deuteten darauf hin.

»Nein!«, rief plötzlich ein Olubfaner oder eine Olubfanerin aus einer Loge ein Stück unter ihnen. »Nicht meine Tochter!«

Ologbon stöhnte auf. »Das ist Onora. Unsere Nachbarin.«

Die Olubfanerin sprang auf, kämpfte sich durch die Zuschauer nach unten und eilte auf einen Ladhonen zu, der eine frisch Gekoppelte zu den Bassins trieb.

»Nehmt mir nicht meine Tochter!«, schrie Onora.

»Geh zurück auf deinen Platz!«, befahl Bodh Aputhar.

Sie rannte weiter.

»Momla!«, rief die Jungolubfanerin. »Nicht!«

Doch es war zu spät. Onora stieß einen verzweifelten Schrei aus und jagte auf allen vieren auf den Ladhonen zu, der hinter ihrer Tochter stand.

Der hob den Thermostrahler nur um eine Winzigkeit und schoss. Sie stürzte rückwärts in ein im Boden eingelassenes Becken und sank reglos tiefer, in einer Wolke aus Blut. Tolnoten lösten sich von ihrem Körper.

Rhodan zuckte zusammen. Ein Stöhnen ging durch das Rund.

»Habe ich euch nicht darum gebeten, vernünftig zu bleiben?«, fragte Bodh Aputhar. »Wir wollen euch nichts tun. Aber wir werden, wenn ihr uns zwingt.«

Farye fluchte leise. »Wir können sie damit nicht davonkommen lassen.«

»Das werden wir auch nicht«, sagte Rhodan. Die meisten Olubfaner mochten ihr Schicksal als unabwendbar ansehen. Nicht so Rhodan. Das hatte er noch nie getan, und gewiss würde er nicht an diesem Tag damit anfangen.

Er wusste, dass ihm im Moment die Hände gebunden waren. Alles, was er tat oder befahl, musste auf die Olubfaner zurückfallen, und zwar wahrscheinlich mit vielfacher Wucht. Anders sah es ab dem Augenblick aus, wenn die Piraten Ollfa verließen.

»Osmund, Donn, Winston«, flüsterte er über Funk, »kehrt in den Gleiter zurück. Sobald dies hier vorbei ist, kommen wir zu euch. – Tenga, bist du bereit für eine schwierige Mission?«

»Hätte ich das vorher geahnt«, kam sofort die Antwort des Siganesen, »hätte ich mehr Pralinen eingepackt. Aber ja, ich bin bereit.«

»Ich will, dass du diesen Raumponton infiltrierst. Vermutlich werden die Ladhonen die Entführungsopfer dorthin bringen. Sammle Informationen! Wir versuchen, zur BJO zurückzukehren, ehe der Ladhonenraumer abfliegt. Wenn wir das nicht schaffen oder vorher aufbrechen müssen, weil die cairanische Kavallerie eintrifft, such nach einem Weg, uns mit der Hyperkomanlage des Schiffs ein Peilsignal oder die Koordinaten des Zielorts zukommen zu lassen. Wir befreien die Olubfaner. Und die Ladhonen werden nicht einmal wissen, wer ihnen diese Niederlage zufügt.«

»Alles klar«, sagte Tenga. »Betrachte es als erledigt.«

»Und nun«, tönte Bodh Aputhars zu schnelle Stimme, »holt die restlichen Kinder aus den Kontaktgärten. Wir nehmen sie mit.«

Wieder ging ein kurzes Stöhnen durch die Zuschauer. Doch diesmal widersprach niemand. Nicht einmal Ologbon, dessen Sohn noch immer in der Flüssigkeit trieb.

*

Das Bad im Kontaktgarten fühlte sich anders an als die Male zuvor. So erfrischend, so intensiv – so voller Leben!

Ofilor war klar, dass er die Wirkung der Droge spürte, doch es scherte ihn nicht. Er wusste, dass diesmal alles nach Wunsch verlaufen würde. Dies war ein guter Tag. Der Tag, an dem er die Kindheit hinter sich ließ und seinen Vater stolz machen würde.

Er schloss die Augen, gab sich ganz den Empfindungen hin. Farben tränkten seinen Geist. Stimmen erfüllten ihn: das durch die Nährflüssigkeit gedämpfte Murmeln der Zuschauer auf den Rängen, aber vor allem die vorher unhörbaren Rufe der Tolnoten.

Die Zeit blieb stehen. Das gesamte Universum ballte sich zusammen und konzentrierte sich auf einen einzelnen Punkt.

Auf Ofilor.

Symbionten näherten sich, rieben sich an seiner Haut, prüften ihn, umschmeichelten ihn.

Neue Laute drängten sich durch die Flüssigkeit. Eine Stimme, die wieder und wieder dieselben bedeutungslosen Worte sprach.

Ofilor achtete nicht darauf. Für ihn zählte nur der Augenblick. Er war glücklich wie nie zuvor.

Und dann geschah es. Eine Tolnotenkolonie – seine Kolonie – fand ihn, und er fand sie. Die Würmer krochen in seine Hautfalten, verteilten sich über den Körper. Einige bohrten sich in die Handflächen und verbanden sich mit dem Nervensystem, ein wundervoller süßer Schmerz.

Zum ersten Mal wusste Ofilor wirklich, was es bedeutete zu fühlen.

Er ließ den Rausch abklingen und tauchte auf.

Wo war der Stab, den er als Zeichen seiner Erwachsenwerdung umfassen konnte? Warum verweigerte ihm das Publikum den Jubel, den er verdiente?

Da erst begriff er, dass etwas nicht stimmte. Auf der Galerie um das Bassin entdeckte er drei Kreaturen mit einem Hautkamm auf den Schädeln. Mit seinen von der Droge geschärften Sinnen sah er jede einzelne Feder ihres blauen Flaums. Eine löste sich in diesem Augenblick. Sie trudelte zu Boden, fiel auf die Wasseroberfläche.

Ladhonen!

Sie wagten es, ihm den wichtigsten Tag seines Lebens zu ruinieren?

Heißer Zorn brodelte in ihm auf. Er wusste, dass es der Knisterflug war, der ihn Wut statt Angst fühlen ließ. Doch dieses Wissen erreichte nicht seine Muskeln.

Als säße er in den Zuschauerrängen und beobachtete das Geschehen, sah er sich selbst aus dem Becken klettern.

»Ihr wagt es!«, rief er.

»Schweig und komm mit mir«, sagte der Ladhone, der ihm am nächsten stand.

Ofilor dachte nicht daran, sich zu fügen. Lange genug hatte er sich herumstoßen lassen und war ausgelacht worden. Das musste ein Ende haben!

Er achtete nicht auf den Strahler in der Hand des Ladhonen, packte ihn mit seinen neuen wunderbaren Tolnoten am Arm, zu schnell und überraschend für den Gegner, zog und warf ihn in das Becken.

Und endlich hörte er den lang ersehnten Jubel.

Doch es war, so erkannte er rasch, kein Jubel, sondern Entsetzen.

Er wandte sich um.

Sah sich einem weiteren Ladhonen gegenüber.

Sah den Strahler.

Sah mit faszinierender Klarheit, wie der Ladhone abdrückte.

Ofilor sprang auf die Hinterbeine, und so traf ihn der Thermostrahl nicht in den Kopf, sondern in den Arm.

Seine geschärften Sinne barsten unter der plötzlichen Schmerzflut. Er taumelte zur Seite, zurück – und über den Rand der Galerie.

Das Vorletzte, was er während des Sturzes in die Tiefe hörte, war der klägliche Entsetzensschrei seines Vaters.

Das Letzte war der klatschende Laut seines Körpers, als er auf den Boden prallte.

*

Rhodan fühlte sich wie benommen. Noch immer hallte ihm Ologbons Schrei im Bewusstsein nach.

Kaum zogen die Ladhonen ab, stürzte der Olubfaner nach unten und kauerte neben den Bassins über der Leiche seines Sohns. Er gab einen lang anhaltenden klagenden Laut von sich, der an das ächzende Holz eines umstürzenden Baumes erinnerte.

Wie gerne hätte Rhodan ihn getröstet. Doch er wusste, dass das unmöglich war. Keine Worte, keine Gesten konnten das Leid mindern, das Ologbon empfand.

Außerdem kam es nun auf jede Sekunde an. Und so aktivierten Rhodan und Farye die Gravopaks ihrer SERUNS-SR, ohne sich zu verabschieden, schalteten die Deflektoren zu und flogen im Schutz der Unsichtbarkeit über die Köpfe der nach draußen strömenden Olubfaner hinweg. Aus dem Plantagengebäude zum geparkten Gleiter.

Der brachte sie auf schnellstem Weg zur YAMANA. Niemand hielt sie auf.

Beinahe gleichzeitig mit der YAMANA startete auch der Raumponton. Er erreichte die POD-2202 wenige Sekunden, ehe die YAMANA in der BJO einschleuste.

Der Ponton flanschte sich an das Ladhonenschiff, dieses beschleunigte.

Die BJO BREISKOLL nahm die Verfolgung auf.

Und dann – gerade betrat Rhodan die Zentrale – tauchten wie aus dem Nichts drei mächtige Schiffe auf. Weiße Kolosse, Ringe, in deren Zentrum je eine rot leuchtende Kugel saß, gehalten von Metallstreben.

Die cairanischen Augenraumer kamen an. Zu spät, um die POD-2202 aufzuhalten, zu spät, um die Bedeutung der BJO zu erkennen.

Hoffentlich.

Die POD-2202 verschwand aus dem Standardraum, vollzog eine Tranisition.

Wohin?

Sie würden es herausfinden.

»Sensoren!«, bellte eine befehlsgewohnte Stimme.

Hoffentlich.

»Weg hier!«, befahl eine andere.

Die BJO BREISKOLL beschleunigte und trat so schnell es ging in den Linearraum über. Die Augenraumer machten keine Anstalten, sie ihrerseits zu verfolgen.

Entkommen und auf der Jagd.

Hoffentlich.

Und was hast du verloren?

Meine Heimat. Aber ich bin fest entschlossen, sie wiederzufinden. Für mich, für dich, für uns alle.

(Perry Rhodan)

ENDE

Die Lage in der Milchstraße ist unklar – obwohl die RAS TSCHUBAI unablässig den Funkverkehr abhört, klaffen große Lücken, bestehen enorme Widersprüche. Es wird nichts anderes übrig bleiben, als sie alle der Reihe nach abzuarbeiten. Eine gute Gelegenheit bietet der ladhonische Überfall.

Wie es mit den Entführten und den Entführern weitergeht, berichtet Michael Marcus Thurner in Band 3002, der am 1. März 2019 unter folgendem Titel erscheinen wird:

DIE KRIEGSSCHULE

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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