Читать книгу Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1) - Perry Rhodan - Страница 61
7.
ОглавлениеEndlich entdeckte Tenga den gesuchten Ausbilder. Nandh Nadhama unterschied sich von vielen anderen seines Volkes. Er wirkte größer, kraftvoller, furchterregender. Die sonderbare Wolke vor seinem Lamellenmund, die aus unzähligen flugfähigen Mechanoiden bestand, ließ ihn unnahbar erscheinen.
Es war Tenga, als duldete dieser Ladhone kein lebendes Wesen in seiner unmittelbaren Umgebung und als umgäbe er sich ausschließlich mit Robotern.
Die winzigen Dinger wirkten wie Urweltkrebse mit Flügeln. Sie gruppierten sich um, immer wieder. Manche flogen ganz nahe an die Mundlamellen des Ladhonen heran, andere hielten mehr Abstand. Es war ein Kommen und Gehen wie in einem Bienenschwarm, doch stets hielt sich etwa dreißig Zentimeter vor dem Kopf des Ausbilders eine Ballung von fünfzig kleinen Biestern. Der Begriff Krillschwarm, den Tenga aufgeschnappt hatte, erschien ihm durchaus passend.
»Wenn wir an eines dieser Technikviecher herankämen und es analysierten, könnten wir vielleicht das Datensystem der POD-2202 korrumpieren, abhängig vom Niveau der verbauten Positronik«, sagte Tenga nachdenklich. »Wir sind nun schon seit fast zwanzig Stunden an Bord, ohne eine Spur zu den Gefangenen gefunden zu haben.«
»Wir müssen vorsichtig bleiben. Nach allem, was ich in Erfahrung gebracht habe, ist Nadhama ein höchst gefährlicher Gegner.«
»Ich will mir ja bloß etwas ... hm ... ausborgen. Er bekommt seine Minipositronik ja eh zurück.«
KORN schwieg.
Tenga beobachtete die Vorbereitungsarbeiten zur Übungssimulation. Etwa dreißig Maate trabten in den Raum. Sie wirkten müde, einige waren angeschlagen von früheren Übungseinheiten.
Nadhama instruierte sie, während ringsum eine Dschungelwelt entstand. Drei Glandulatoren schütteten Hormone aus, die Tenga als Ans identifizierte.
»Nadhama wird sich auf den Ablauf der Übung konzentrieren«, sagte Tenga zu sich selbst. Er griff nach einer Konzentrationspraline und lutschte sie mit viel Genuss. Macadamia-Sahne-Nougat. »Es muss uns bloß gelingen, eines dieser Dinger weg von ihm zu locken.«
»Sie entfernen sich niemals weiter als zwei Meter vom Ausbilder.«
»Das werden wir ja sehen.«
Die Übung begann. Die Maate fanden sich wie von selbst zu kleineren Gruppen zusammen und machten sich auf den Weg zu einem Ziel, das in die Simulation integriert wurde. Vieles im Raum war Schein. Tenga entdeckte mit KORNS Hilfe all die Täuschungen, die Vorspiegelungen, die Falschdarstellungen.
Er operierte offen, indem er die SCHOTE wieder als Einsatzroboter der Ladhonen ausgab. Er blieb vorerst so nahe wie möglich bei Nadhama, während andere Maschinen ausschwärmten, und nutzte dabei die Deckung eines Baumstumpfs, der in Wirklichkeit aus verhärteter Kunststoffmasse bestand. Tenga wartete geduldig und beobachtete den Ausbilder.
Die vielen Teile des Krillschwarms lösten sich ein wenig voneinander, die Wolke bekam einen Durchmesser von einem halben Meter. Kleine Einsatzroboter, die von den Ladhonen als Flapper bezeichnet wurden, schossen aufgeregt durch die Simulation. Sie sammelten unaufhörlich Bild- und Toneindrücke, die vom Krillschwarm wiederum in Analyseholos eingebracht wurden und frei vor Nadhama schwebten. Der griff in die Darstellungen ein, gab Anweisungen, sortierte die Holos, kommunizierte mit den kleinen Positroniken – und blieb dabei stets ruhig, als hätte er alles völlig unter Kontrolle.
»Zwei Teile des Krillschwarms haben sich gelöst«, sagte KORN und markierte die krebsähnlichen Elemente.
Tenga nahm eine Fokussierungspraline zu sich – Mojito-Melissen-Crunch – und entschied sich spontan für eines der beiden Maschinchen. Er verließ sein Versteck und raste in Handsteuerung auf den Mechanoiden zu, ohne den Deflektor aktiviert zu haben. Die SCHOTE war nun mal bloß ein Roboter unter vielen.
Tenga aktivierte ein Prallfeld, fing den kleinen Rechner ein und schob ihn vor sich her, ohne ihn ins Innere der SCHOTE zu verbringen. Er legte einen Ortungsschutz um das etwa einen Zentimeter lange Objekt und beharkte es derart mit widersprüchlichen Informationen, dass es sich in Inaktivität flüchtete und keinen Mucks mehr von sich gab.
Niemand hatte ihn beachtet, stellte Tenga mit Genugtuung fest. Das Manöver war einwandfrei geglückt. Er konnte das Krillteil ins Innere der SCHOTE holen und von KORN auswerten lassen ...
»Andere Teile des Krillschwarms lösen sich«, sagte die Positronik ruhig. »Sie folgen uns.«
»Unmöglich!«
»Sie besitzen so etwas wie eine Schwarmintelligenz und haben uns als Feind identifiziert.«
Tenga überlegte, ob er in den Deflektormodus gehen sollte, verwarf die Idee aber gleich wieder. Der Simulationsraum war groß. Er musste bloß tief genug ins Innere vordringen, dann würden die Teile des Krillschwarms umkehren. Sie waren an Nadhama gebunden und durften die Distanz zum Ausbilder nicht allzu groß werden lassen.
Tenga raste dem künstlichen Himmel entgegen. Feinste Düsen an der Decke gaben Feuchtigkeit ab. Aus diesen wurde nach und nach ein Nebelvorhang, es roch verstärkt nach Fäulnis und modrigem Holz. Alle Sinne wurden bedient, um die Illusion einer Dschungelwelt so real wie möglich werden zu lassen.
Tenga ließ die SCHOTE inmitten des Sprühfelds hängen und sah sich um. Er entdeckte einige Krillroboter. Genau wie vermutet entfernten sie sich nicht weiter als drei Meter von Nadhama. Aber sie beobachteten ihn, folgten den Bewegungen der SCHOTE aufmerksam.
Er steuerte das Kleinstschiff über die Sumpflandschaft hinaus und abrupt in die Tiefe, als er eine Gruppe ähnlich gebauter Roboter ladhonischer Fertigung entdeckte. Sie waren ein- bis eineinhalb Meter lang und zylindrisch, optisch waren sie der SCHOTE ähnlich.
Die Roboter schwebten unruhig über dem Morast auf und ab, als lauerten sie. Tenga schickte Kennungen aus, die das Kleinstschiff als einen der Ihren ausgab.
Wie würden die Mechanoiden reagieren? Waren sie in der Lage, Flapper in seine Richtung auszusenden oder gar die Maschinen rings um ihn zu lenken?
Nichts geschah. Nadhama und der Krillschwarm glaubten vermutlich an eine Fehlfunktion eines der Kleinstroboter. Aber Tenga musste auf der Hut sein. Er durfte die Simulation nicht einfach verlassen. Er war nun Teil jenes bösen Spiels, das mit den Maaten getrieben wurde, und musste sich anpassen.
Die zylindrischen Roboter lauerten auf ihre Opfer. Auf Ladhonen, die durch die Simulation irrten und Fehler begingen.
»Unser Gefangener ist gesichert«, meldete KORN. »Die Einschleusung des Krills wäre unbedenklich. Ich verwirre ihn permanent mit Funkimpulsen.«
»Rein mit ihm in die gute Stube!«
Tenga klappte die Einstiegsluke des Kleinstschiffs zur Seite, um den Krillroboter ins Innere zu bugsieren. Das insektenähnliche Metallding fand zu seinen Füßen Platz, im Heck der SCHOTE. Es haftete ihm ein saurer Geruch an, der Tenga das Atmen erschwerte.
»Manchmal wollte ich, dass wir Siganesen weniger geruchsempfindlich wären«, sagte er. »Lange werde ich es nicht mit diesem Stinker im selben Raum aushalten.«
»Wenn wir ihn untersuchen wollen, müssen wir das wohl«, sagte KORN.
»Mpf.«
Rings um Tenga brach robotische Betriebsamkeit aus, um die die zylindrischen Einheiten zu synchronisieren. KORN tat, als würde er die SCHOTE in den Verbund der Maschinen einfügen.
Tenga schwitzte. Was tun, wie sollte er sich verhalten? Was wurde von ihm verlangt?
Die ersten Roboter setzten sich in Bewegung. Sie strebten auf ein Ziel zu, das im Inneren des Lianendschungels lag. Einige der größeren Einsatzroboter blieben zurück. Nur die kleinen und wendigen schoben sich durchs – scheinbare – Dauergrün, auf eine Gruppe von Ladhonen zu.
Tenga folgte den etwa zehn Maschinen. Lautlos schwebten sie durchs grünbraune Einerlei, in Richtung einer kleinen Lichtung. Da waren Maate, kein Zweifel. Er entdeckte sieben.
Der Anführer wisperte einige Anweisungen, als die Roboter auf sie zuflogen. Sie rammten zwei der jungen Ladhonen und versetzten ihnen schwere Schläge gegen die Köpfe. Haut platzte auf, rotes Blut quoll aus den Wunden.
»Du musst mitspielen!«, drängte KORN. »Andernfalls machen wir uns verdächtig.«
Tenga unterdrückte einen Fluch. Er hätte verschwinden sollen, als noch Zeit dazu gewesen war. Wenn er erst in diesem Moment in den Deflektormodus glitt, würden dies die Einsatzroboter anmessen und an übergeordnete Instanzen melden. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Schein zu wahren.
»Diese verflixte Neugierde!«, sagte er und folgte den Robotern. Der Anführer der Maate wirkte völlig überfordert. Ein einziger schien noch seine Sinne beisammen- und sich auf die Lage eingestellt zu haben. Ihn visierte Tenga an und sauste über ihn hinweg, um einen Angriff zu simulieren.
Der junge, plump wirkende Ladhone war blitzschnell. Er riss sein Vibromesser nach oben, die Klinge scherte über die Unterseite der SCHOTE. Sie fuhr übers Metall, ohne der Hülle etwas anhaben zu können.
Tenga war beeindruckt von der Reaktion und der Geschwindigkeit des Ladhonen. Er bemühte sich, die Truppe zusammenzuhalten und die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Niemand hörte auf ihn. Der Anführer lief davon und warf sich in völliger Selbstüberschätzung seiner Fähigkeiten in den Schlamm. Drei seiner Kameraden folgten. Sie wurden rasch von den zylindrischen Robotern außer Gefecht gesetzt, während der Mahner zurück im Dschungeldickicht blieb und nahe eines vermeintlichen Waldriesen Deckung suchte.
»Er ist anders als seine Gefährten«, sagte Tenga, und parkte die SCHOTE im vermeintlichen Blätterdach. »Er nutzt die hormonelle Reizflutung und behält dabei dennoch die Übersicht.«
»Mag sein«, sagte KORN. »Aber das ist irrelevant. Wir sollten von hier verschwinden, während gekämpft wird. Wir müssen das Durcheinander nützen.«
Tenga zögerte. Die hormonelle Steuerung war ein ganz besonderer Aspekt in der Ausbildung der Ladhonen. Erwachsene Mitglieder dieser kriegerischen Gesellschaft waren von der Wirkung nicht betroffen. Nadhama beispielsweise wirkte völlig unbeeindruckt.
Trotz KORNS Protest blieb Tenga in der Simulation. Es interessierte ihn, wie die Maate anderer Gruppen sich schlugen. Einige hatten Probleme, mit den Anforderungen zurechtzukommen. Andere kämpften mit Biss und hörten nicht auf, sich gegen die Roboter zu wehren, bis sie bewusstlos geschlagen wurden.
Tenga behielt den jungen Ladhonen im Auge, der die SCHOTE angegriffen hatte. Er wahrte nicht nur den Überblick, er sicherte darüber hinaus zwei seiner verletzten Kameraden ab. Mehr war angesichts der anspruchsvollen – kaum zu meisternden – Simulation für ihn nicht zu holen.
Er ist manchmal ungelenk, dachte Tenga. Er kann sich noch nicht richtig durchsetzen, zumal die Gleichaltrigen wesentlich selbstsicherer auftreten. Wenn sie miteinander reden, hört es sich stets an, als würden sie gleich einen Kampf auf Leben und Tod ausfechten wollen. Er aber wägt jedes seiner Worte ab. Auch seine Handlungen sind grundvernünftig.
Tenga nahm eine Nachdenkpraline zu sich und verzog den Mund. Muurtessenz in Schaumnusstrüffelpaste. Verflixt, wer hatte die denn kreiert? Er war ein Siganese, kein Blue! Bah!
Mit einem Ausbilder, der seine Begabungen fördert, hätte er das Zeug zu einem ausgezeichneten Soldaten, vielleicht sogar zu einem strategischen Offizier.
Schaudernd beobachtete Tenga, wie rücksichtslos die Roboter mit den Maaten umgingen. Viele wurden schwer verprügelt, einige bluteten aus tiefen Wunden.
Alle Bewegungen endeten, die letzten Geräusche verstummten.
»Arradhu zu mir!«, hörte Tenga eine Stimme. Sie gehörte unzweifelhaft Nadhama, dem Ausbilder.
Vorsichtig steuerte Tenga die SCHOTE durch den vermeintlichen Dschungel. Rings um ihn erlosch abrupt die Illusion, die tropische Welt machte der kalten Nüchternheit einer weiß getünchten, fast leeren Halle Platz.
Tenga dachte an den Krillrechner. Der hing nach wie vor im Bugteil der SCHOTE fest und wurde von Störimpulsen daran gehindert, mit anderen ladhonischen Robotern Kontakt aufzunehmen. Ihm musste jetzt sein ganzes Interesse gelten. Er hatte gesehen, was zu sehen war. Nun würde er sich wieder seiner eigentlichen Aufgabe widmen.
»Verschwinden wir«, sagte Tenga und steuerte die SCHOTE bedächtig in Richtung der offenen Plattform, während sich der Simulationsraum leerte ...
Ein Knall ertönte, Tenga zuckte zusammen und hätte in seinem Schreck beinahe gegen die Hülle der SCHOTE getreten.
Eine riesige Blase aus flüssigem Kunststoff quoll aus dem Boden zurück in den Simulationsraum. Die Welle verschlang zwei auf dem Boden liegende Roboter, einer davon kam gleich wieder zum Vorschein und torkelte durch die Luft. Mehrere Ladhonen wurden von Wogen des flüssigen Kunststoffs erfasst und zu Boden gerissen. Zwei müde wirkende und leicht verletzte Maate, aber auch jener Junge, dessen Verhalten Tenga so sehr beeindruckt hatte. Wie war sein Name? Adh Arradhu?
»Eine Verstopfung«, sagte KORN nüchtern. »Ein minderes Problem, das gleich wieder unter Kontrolle sein wird. Das hat nichts mit uns zu tun.«
Der zweite zylindrische Einsatzroboter tauchte auf. Der Kunststoff verfestigte sich zusehends um seinen Leib und bildete eine zentimeterdicke Schicht.
Tenga maß verdächtige Werte an. »Überhitzung! Das Ding geht hoch, es wird ...«
Er dachte nicht länger nach, er handelte. Arradhu stand in unmittelbarer Nähe zum Roboter. Tenga raste auf ihn zu, rempelte ihn zu Boden, kollidierte mit der Maschine und bugsierte sie mithilfe eines Prallfelds zur Rückwand der Halle.
Sie glühte, brachte die inneren Störvorgänge nicht mehr unter Kontrolle. Tenga achtete darauf, den Raum hinter sich so gut wie möglich abzudecken. Erst im letztmöglichen Augenblick schaltete er den Schutzschirm zu.
Die thermische Entwicklung war enorm. Trotz des Schirms konnte Tenga die Wucht der Explosion spüren, als der Antriebsreaktor des Roboters hochging.
*
Ein Moment sonderbarer Ruhe trat ein. Rings um ihn hingen Staub und wie Flitter wirkende Kunststoffteilchen im Raum. Niemand war zu sehen, bloß dieser eine Ladhone, den er gerettet hatte.
Der Maat hielt ein Messer in der Hand und hielt es in Richtung der SCHOTE. »Du bist nicht von hier. Du gehörst nicht auf dieses Schiff. Ich sehe, dass du anders bist.«
Tenga musste Entscheidungen treffen. Rasch. Er hatte seinem Instinkt gehorcht, indem er den jungen Ladhonen gerettet hatte. Einem Instinkt, der ihn nur selten enttäuscht hatte.
Er schaltete ein Holobild seines Gesichts vor die SCHOTE und sagte: »Ich habe dir geholfen, du lässt mich in Ruhe abziehen. Einverstanden?«
»Steckst du in diesem Roboter?«
»Es gibt nicht nur Riesen wie dich in diesem Universum.« Tenga schaltete das Holobild weg und zog sich mit der SCHOTE Zentimeter für Zentimeter zurück. Er achtete dabei auf den Ladhonen. Er stand da wie eingefroren. Nur sein Drittarm bewegte sich unschlüssig und peitschte über den Boden.
Tenga aktivierte den Deflektorschirm und verschwand in der Unsichtbarkeit.
*
»Das war das Dümmste, was du jemals getan hast, Sholotow«, sagte KORN, nachdem Ruhe eingekehrt war. »Du hast aller Aufmerksamkeit auf dich gezogen. Und du hast dich dem Jungen gezeigt. Er wird mit seinen Vorgesetzten reden.«
»Unsinn!« Tenga griff nach seiner Nervenberuhigungspraline und ließ sie auf der Zunge zergehen. Doppelnougat-Wasabi. »Ich war bloß ein ladhonischer Roboter, der zufällig in der Nähe war und die explodierende Maschine fort von den Maaten und Ausbildern gelenkt hat. So, wie es mir meine Routinen befohlen haben. Und dabei wurde ich leider ebenfalls vernichtet.«
»Damit kommst du nicht durch, Sholotow. Die Ladhonen werden eine genaue Überprüfung vornehmen und feststellen, dass wir Eindringlinge sind. Kameras der Flapper waren auf das Geschehen gerichtet. Sie werden feststellen, was wirklich geschehen ist.«
»Wir waren hinter all dem Explosionsstaub verborgen. Der Kunststoffflitter hat uns geschützt.« Tenga schluckte den Rest der Praline hinunter.
»Was ist mit dem Maat?«
»Er hätte mich verraten können. Er hätte den Raum sperren lassen können. Hat er aber nicht getan. Er hat sich dafür revanchiert, dass ich ihn gerettet habe. Er folgt einer Art Ehrenkodex.«
»Er wird es sich anders überlegen. Schließlich muss er befürchten, dass das Schiff durch uns gefährdet wird.«
»Mag sein. Aber bis dahin wird einige Zeit vergehen. Wenn wir es innerhalb der nächsten 24 Stunden nicht schaffen, zu den gefangenen Olubfanern vorzudringen und sie zu befreien, werden wir die POD-2202 ohnedies verlassen und zur BJO BREISKOLL zurückkehren.« Tenga holte tief Luft. »Wir haben dank des Krillroboters immer noch alle Chancen, unsere Mission zu erfüllen. Unser Zeitfenster ist ein wenig kleiner geworden. Das ist alles.«
*
Der Krillroboter war ein einfach gestricktes Ding, das nicht allzu viel über die Technik der Ladhonen verriet.
»... um es mal so zu formulieren: Er ist dumm!«, sagte Tenga und verschluckte eine Frustpraline – Maharanikrokant auf Knusperbett – auf einem Happs. »Gut geschützt, aber dumm.«
»Weil er nur in der Gesamtheit funktioniert. Das habe ich dir doch gesagt. Je größer der Schwarm, desto intelligenter der positronische Verbund. Ich habe dir die Verbundkomponenten beschrieben. Vierzig oder fünfzig der Krills würden einen hochintelligenten Rechner ergeben.«
»Wir haben aber nur diesen einen, und der wehrt sich heftig dagegen, dass wir ihm sein Wissen entlocken.«
Tenga hatte die SCHOTE in der stillen Ecke eines kleinen, versteckten Lagers untergebracht. Erstmals seit Stunden hatte er seinen Liegearbeitsplatz umgedreht und ruhte nun in einer angenehmen Sitzposition. Er hatte eine anständige Mahlzeit zu sich genommen und sich Beine sowie Arme massieren lassen.
Der Mechanoide lag vor ihm auf einer Arbeitsplatte, in mehrere Einzelteile zerlegt. Mikrominiaturisierte Energie-Packs, einige Schaltelemente, Taster, Sensoren, Messgeräte, Energieumformer, integrierte Antennen waren als solche zu erkennen.
Die eigentliche Mikropositronik, kaum einmal drei Millimeter lang und kugelrund, wurde derzeit durch KORN bearbeitet. Dünne, kaum erkennbare Fäden glitzerten im Rotlicht, das im Inneren der SCHOTE herrschte. Sie waren die verlängerten Arme von KORN.
Es war ein ungleicher Kampf der Positroniken, der zugunsten des siganesischen Rechners ausgehen würde. Noch aber hielt der Krill Informationen zurück. Es bedurfte einigen Aufwands, um keine Selbstzerstörung der ladhonischen Einheit heraufzubeschwören.
Vor mehr als 24 Stunden hatte sich die SCHOTE am Ponton der POD-2202 verankert. Es war an der Zeit, dass sie Fortschritte machten.
»Ich habe die Positronik geknackt«, sagte KORN mit unaufgeregt klingender Stimme.
»Dann gib mir, was du rausgefunden hast.«
»Die Übersetzungsprogramme laufen. Es wird ein paar Minuten dauern, bis ich die Rechnerinhalte für dich aufbereitet habe.«
Das war zu erwarten gewesen. Die Strukturen der Ladhonen erforderten eine Anpassung der Denkweisen.
KORN musste nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner suchen und auf ihm aufbauen, um eine Übersetzung zu gewährleisten.
Tenga lutschte genüsslich eine Geduldspraline – entspannende Rose-Marzipan-Canache – , während er die Hardware des Krills in Augenschein nahm. Die Arbeit war zwar nicht sonderlich elegant, aber nur ein Siganese oder zumindest ein Swoon hätte sie besser hinbekommen. Große hingegen nicht.
Mehrere zweidimensionale Holobilder erschienen, Informationen liefen über den Bildschirm; zu schnell, um aus ihnen schlau zu werden. Die Daten des Krills fanden allmählich zu Gruppen und Themenkreisen zusammen, verteilten sich, zerfaserten und vernetzten sich wieder.
»Bitte sehr, Sholotow«, sagte KORN und brachte einige Informationsblöcke zum Aufleuchten.
»Das ist ein Strukturplan der POD-2202 mit Löchern, die so groß sind wie die von ausgetretenen Wanderschuhen eines Haluters«, sagte Tenga. »Das hier allerdings«, er griff auf ein Bild zu und vergrößerte es, »scheint einer der Hyperfunksender zu sein. Im Vorderteil des oberen Schiffskeils.«
Tenga identifizierte die Position mehrerer Waffensysteme, der Antriebsbereiche, einiger Energiespeicher und der Zentrale.
Ein Lager tat es ihm besonders an, denn in ihm wurden »erbeutete Sicherstellungen« gesammelt. Erstmals bekam Tenga Hinweise auf olubfanische Güter. Die Ladhonen hatten offenbar nicht nur Olubfaner entführt, sondern auch Positronikteile mitgehen lassen, Kleinmaschinen aller Art, Schutzanzüge, Waffen, Datenspeicher ...
»Sie lernen von ihren Opfern«, sagte Tenga zu sich selbst. »Wenn ich diese Informationen richtig deute, beschäftigen sich die Maate mit diesen Beutestücken und analysieren sie.«
»Sie werden diese Sachen verkaufen«, behauptete KORN. »Nach allem, was wir wissen, sind sie nun mal Weltraumpiraten.«
Tenga suchte weiter – und wurde rasch fündig. Er entdeckte einen Raum, der markiert war. Weil er von »Beute« belegt wurde.
»Eine ehemalige Übungshalle, die die Ladhonen zum Gefängnis umgebaut haben«, sagte er und grinste zufrieden. »Das Risiko mit dem Krillroboter hat sich also gelohnt.«
»Ich hätte eine Zusatzinformation«, sagte KORN.
»Und zwar?«
»Du hattest besonderes Interesse an diesem Adh Arradhu.«
»Der Junge, dem ich geholfen habe? – Was ist mit ihm?«
»Arradhu hinterlässt bei seinen Ausbildern regelmäßig einen schlechten Eindruck, insbesondere bei Nandh Nadhama. Er gilt als Versager.«
»Sonderbar. Ich hatte einen ganz anderen Eindruck. Vielleicht ist er ihnen nicht risikobereit genug oder denkt zu viel nach.«
»Es mag andere Gründe geben.«
»Warum, bei Siga, bist du bloß so umständlich, KORN? Rück raus mit der Sprache!«
»Der Stellvertretende Kommandant der POD-2202 heißt Hannadh Arradhu. Er ist Adhs Vater. Vielleicht werden bei dem jungen Maat deshalb besonders strenge Maßstäbe angelegt.«
Tenga überlegte. Diese Lösung war ihm zu einfach, zu sehr mit terranischer Logik bedacht. Er wollte auch gar nicht spekulieren, nicht jetzt und schon gar nicht über die Lebensgeschichte eines ladhonischen Maats nachdenken. Tenga würde diese Information im Hinterkopf behalten – und sich zunächst damit beschäftigen, mehr über die gefangenen Olubfaner herauszufinden.
Sie waren groß gewachsene und plump wirkende Geschöpfe, die manchmal auf zwei und manchmal auf allen vier Tonnenbeinen daherkamen. Ihre ausgeprägten Körperfalten erweckten den Eindruck, als besäßen sie zu viel Haut für zu wenig Körper.
Olubfaner werden bis zu drei Meter groß und bis zu eintausend Kilogramm schwer. Solch wuchtige Wesen bringt man nicht einfach so in Kabinen unter. Sie werden gewiss in Gemeinschaftsräumen gefangen gehalten.
Ein internes Signal ertönte, Tenga schreckte aus seinen Gedanken hoch. KORN sagte ruhig: »Alarm. Diesmal betrifft er uns. Die Ladhonen haben uns als Eindringlinge identifiziert.«