Читать книгу Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1) - Perry Rhodan - Страница 84
Оглавление1.
BJO BREISKOLL
22. September
Der Mann in der Zentrale der BJO BREISKOLL war einer der Unsterblichen. Für manchen in den letzten Jahrtausenden war er das Synonym schlechthin für die Riege jener Wesen, denen die Unsterblichkeit gewährt worden war.
Er sah nach wie vor aus wie ein Enddreißiger, nur aus seinen Augen sprach in manchen Momenten eine Erfahrung, die so sehr viel tiefer ging als alles, was Normalsterbliche jemals erwarten durften. Er galt als kosmischer Mensch, als Vorbild oft, als Projektionsfläche mitunter, als fester Bezugspunkt für eine Entwicklung der Menschheit, die nach uralten menschlichen Idealen strebte.
Und nun ...
Nun war er jemand, an den sich kaum einer erinnerte.
Es hatte ihn mitsamt seiner Mannschaft und ihrem Trägerschiff RAS TSCHUBAI rund 500 Jahre in die Zukunft verschlagen. In eine Milchstraße, die nicht mehr länger Heimat war. Eine Milchstraße, in der die Erde nur noch ein Mythos voller Widersprüche zu sein schien. Eine Milchstraße, in der der Name Perry Rhodan kaum mehr als ein ferner Widerhall war und in der die neuen Machthaber dennoch seiner habhaft werden wollten.
Die Cairanische Epoche.
Was hatte es damit auf sich? Woher kamen die fremden Völker, denen er bereits begegnet war?
Perry Rhodan hatte schon viele Erfahrungen mit selbst ernannten Friedensstiftern gemacht, und so gut wie nie hatte die Realität gehalten, was die Ideale versprachen.
Diese verwirrend fremde Milchstraße, in die sie geraten waren, war für ihn wie ein gordischer Knoten, den durchzuschlagen ihm die passende Klinge fehlte.
Seine derzeit größte Hoffnung war ein Name: Reginald Bull. Sein ältester und bester Freund. Der Resident der Liga.
Wie hatte es die undeutbare Zemina Paath ausgedrückt? Der Resident und seine Getreuen leben in der Zentralgalaktischen Festung. Der Gigant mit dem unzerstörbaren Leib hütet diese Festung.
Perry Rhodan kannte das Ephelegonsystem. Dort kreiste die Welt Rudyn um eine gelbe Sonne, einst die Hauptwelt der Zentralgalaktischen Union.
Und nun?
Er wusste es nicht. Fünfhundert Jahre waren eine lange Zeit. Was würde er auf Rudyn finden? Wen würde er finden? Würden er und Bully sich einander entfremdet haben?
Im Herzen, das wusste er, würde das nie der Fall sein. Aber es konnte durch äußere Einflüsse geschehen. Ein bestimmter Teil der Sonnenstrahlung, wie es schon einmal geschehen war, oder etwas, das von jenem Gerät ausging, das ihm die Unsterblichkeit gewährte. Eigenen Aussagen zufolge war Bullys Zellaktivator umgeprägt worden und trug seither die Aura der Chaosmächte.
So viele offene Fragen ...
Ein simpler Funkspruch hätte genügen sollen. Und vor fünfhundert Jahren hätte er das auch.
Nun nicht mehr. Nicht mit unbekannten Machthabern, die ihn jagten, in ihren Augenschiffen, die die Galaxis durcheilten.
Nein, er musste vieles geheim tun. Geheim und persönlich.
Er stand mit gespreizten Beinen und auf dem Rücken verschränkten Armen da und starrte in den Hologlobus, der die Sternenkonstellationen der Milchstraße zeigte.
Niemand störte ihn, obwohl die Zentrale des kleinen Raumschiffs voll besetzt war.
Beinahe wünschte er sich, seine Frau Sichu stünde bei ihm, legte ihm einen Arm um die Hüfte und würde sagen: Alles wird gut.
Aber seine Frau war Wissenschaftlerin und hatte ihre eigenen Sorgen und Nöte in dieser neuen Zeit. Sie trug ihre eigene Last. Und nahm ihm davon etwas weg.
Ich muss also nach Rudyn, um Antworten zu erhalten.
Perry Rhodans Blick verlor sich in Milliarden Sternen, Dunkelwolken, grell leuchtenden Pulsaren, Materiebrücken und fein ausfasernden Molekülwolken. Bilder, die ihn immer noch faszinierten und ihn zum Träumen brachten.
Einer der winzigen Leuchtpunkte war die Sonne, ein anderer Ephelegon.
Plötzlich spürte er eine schmale Hand auf der Schulter und ihren sanften Druck.
Sofort wusste er, um wen es sich handelte: Farye, seine Enkelin.
Sie gab ihm Halt und Trost auf jene Art, wie es nur Familie kann.
Nenn mich jetzt bitte nicht Großvater ..., dachte er.
»Perry?«
Er drehte ihr den Kopf zu. Sah die müden Augen. Sie tat alles, um ihm zu helfen, ihn zu unterstützen.
»Du solltest dich ein bisschen hinlegen«, sagte er und versuchte ein Lächeln. Er wusste, dass es gezwungen wirkte, weil er unter dieser furchtbaren Anspannung stand, und er kannte ihre Antwort.
»Ich bin nicht müde«, sagte sie und bedachte ihn mit tadelndem Blick. Leg du dich erst mal selbst hin, besagte er. »Wie lange möchtest du noch, dass wir die Position halten?«
»Bis du ausgeschlafen hast«, antwortete er. »Oder bis alle Systeme überprüft sind.«
»Dann können wir also los.« Sie zwinkerte ihm zu.
»Warte.« Er wusste, dass er das tat, um Zeit zu gewinnen. Als fürchtete er sich davor, den Befehl zu geben, das Ephelegonsystem anzusteuern. »Was ist mit den Olubfaner-Implantaten und den Ladhonen?«
»Die Wissenschaftler sind dran. In ein paar Tagen wissen wir mehr. Du bist der Erste, der es erfährt. Aber so lange willst du bestimmt nicht abwarten, oder?«
Er drehte sich vollends um. Er sah nun in all die Augenpaare, die auf ihn gerichtet waren. Nur Muntu Ninasoma hatte ein altertümlich aussehendes Buch in der Hand und las konzentriert darin.
Alle warteten auf Perry Rhodan. Auf seine Entscheidung.
»Nein, keine Sorge. Wir setzen Kurs auf das Ephelegonsystem.«
Farye nickte knapp und ging auf Kommandant Muntu Ninasoma zu, der von seiner Lektüre kurz aufsah und ebenfalls bestätigend nickte. Dann, von einer Sekunde auf die andere, erstarrte er.
»Augenblick, Perry.« Er deutete auf einen Mann hinter dem Schaltpult der Funk- und Ortungsabteilung. »Ja, Terzio?«
»Wir haben gerade einen Notruf empfangen«, meldete der junge Mann.
»Und?« Farye sah ihn böse an. »Wir sind permanent in Fluchtbereitschaft und können nicht jedem ...«
»Hyperfunk. Auf der Flottenfrequenz der Liga Freier Terraner.«
Farye sah ihn ungläubig an. »Das ist nicht dein Ernst. Die LFT gibt es nicht mehr.«
»Ich weiß.« Terzio Adamoto, wie der Funker mit vollem Namen hieß, rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. »Das ändert aber nichts daran. Es ist eine alte LFT-Frequenz.«
»Wie lautet der Text?«, mischte sich Rhodan ein.
»Hier ist die GAMARAM HONAMS HEROLD«, las Adamoto vor. »Wir haben eine Notsituation, alle Systeme versagen. Wir erbitten dringend Hilfe. – Diese Nachricht wird in Dauerschleife abgespielt.«
»Sie wird vermutlich seit Jahrhunderten ausgestrahlt«, sagte Farye spröde, ein letztes Gefecht, dessen Ausgang sie kannte.
»Mag sein. Aber wir können uns einem Hilferuf nicht verschließen.« Rhodan sah zum Kommandantensessel. »Aber du hast das letzte Wort, Muntu.«
»Wir sind nicht in erster Linie als Helfende unterwegs, wir suchen selbst welche. Aber die Quelle eines solchen Notsignals könnte uns wertvolle Informationen über unsere zeitliche Wissenslücke geben. Das würde unsere Position entscheidend verbessern. – Haben wir Koordinaten?«
»Projiziere ich gerade ins Holo«, antwortete Adamoto. »Die Entfernung zum Ausgangspunkt des Notrufs beträgt acht Lichtjahre. Ich markiere die Stelle gelb.«
Rhodan betrachtete die Darstellung im Hologlobus. Die Quelle des Notrufs befand sich irgendwo im Nirgendwo, mehr als zwei Lichtjahre vom nächsten Sonnensystem entfernt.
Seltsam ... und der Schiffsname sagt mir auch nichts ..., dachte Rhodan. Andererseits ... es könnte eine Chance sein.
»Machen wir uns auf den Weg!«, sagte Farye. »Lasst uns keine Zeit verlieren! Wir haben noch etwas anderes zu tun.«
Muntu Ninasoma grinste schief. »Auch wenn es sich nicht so anhört, ich bin noch im Dienst. Also: Die üblichen Sicherheitsvorkehrungen werden beachtet, wir nähern uns vorsichtig. Funk und Ortung dehnen den Lauschbereich so weit wie möglich aus und informieren uns direkt über Unregelmäßigkeiten. Schutzschirme hochfahren, den Einsatz der Offensivwaffen vorbereiten. – Recht so, Farye?«
Farye wurde nicht einmal rot; sie und Ninasoma verstanden sich blind, und sie wusste seine Äußerung einzuordnen. Der Kommandant der BJO BREISKOLL neigte nicht selten zu einer humorigen Breitseite in lakonischem Tonfall.
Die Besatzung des kleinen Raumschiffs arbeitete zusammen wie ein perfektes Räderwerk, in dem alle Teile reibungslos ineinandergriffen. Funk, Ortung, Pilot, Kosmonautik und Navigation, Feuerleitstelle, die Abteilungen für Energie und jene, die für die Beibootflotte zuständig waren – sie alle wirkten vorbildhaft zusammen, unterstützt von der allgegenwärtigen Schiffspositronik OXFORD.
Ein Geräuschteppich aus Wispern, vereinzelten Zurufen und ruhig gegebenen Anweisungen legte sich über die Zentrale. Rhodan rief mit Handbewegungen einige Holos auf, sie hüllten ihn ein. Die Bilder zeigten, wie sich die Besatzungen der einzelnen betroffenen Abteilungen auf die Begegnung mit einem möglicherweise havarierten Raumer vorbereiteten. Wissenschaftler und Analysten erarbeiteten eine Risikoeinschätzung, Raumlandetruppen würden gegebenenfalls an Bord des Raumers übersetzen müssen. Sie legten in diesen Augenblicken bereits ihre Schutzanzüge an und überprüften die Waffen.
Rhodan war zufrieden. Alles lief reibungslos ab.
»Wo ist eigentlich unser besonderer Gast?«, fragte er niemanden im Besonderen.
»Du meinst Zemina Paath?« Ninasoma ließ ein weiteres Holo hochploppen. Es zeigte eine groß gewachsene und überschlanke schwarzhaarige Frau, die durchaus als Mensch durchgehen würde, wären da nicht ihre Augen: zwei fast blendend blaue, leicht schräg stehende Augen. Hinzu kamen die exotische Kleidung und Technologie, die ihr Äußeres verfremdete, und viele ihrer Bewegungen waren nicht ganz so menschlich, wie er es erwartet hätte.
»Sie hat sich übrigens einer medizinischen Untersuchung in der Medoabteilung unterzogen.«
»Bei Albertina?«
»Das hat sie sich nicht nehmen lassen. Du weißt, wie sie ist.« Rhodan sah die Medikerin förmlich vor sich: Albertina Barré war nicht unbedingt auffällig durch ihr Aussehen oder ihr Benehmen, vielmehr war sie stets wie ein ruhender Pol in der Hektik einer Medoabteilung. Sie war mit ungefähr vierzig Jahren noch recht jung, hatte aber die gelassene Ruhe eines Hundertjährigen und verlor selbst in noch so hektischen Zeiten nie ihr Lächeln. Und sie war genau. Von ihrem Urteil versprach Rhodan sich viel.
»Und? Wie lautet ihre Expertise?«
Ninasoma seufzte. »Du wirst staunen. Sie ist völlig unalbertinisch: Nichts Genaues weiß man nicht.«
»Aber etwas genauer wäre mir recht.«
Der Kommandant zog ein kleines Holo aus den Projektionen und vergrößerte es. »Wortlaut also ...«
Albertina Barré blickte aufmerksam in die Aufnahmeoptik und strich sich kurz durch das kurze, glatte Haar, dann räusperte sie sich und sagte: »Unsere Messgeräte liefern nur wenige brauchbare Ergebnisse der einfachsten Art: Zemina Paath ist beispielsweise frei von uns bekannten ansteckenden Krankheiten, hundertneunundachtzig Zentimeter groß und wiegt achtundfünfzigtausendfünfhundertzwölf Gramm. Mit aller gebotenen Vorsicht angesichts einer solchen Datenlage empfehle ich eine genauere Beobachtung.« Sie machte eine Pause. Ihr Lächeln blieb, aber sie senkte die Stimme ein wenig. »Ich würde sagen: Sie spielt mit uns. Ob bewusst oder unbewusst, kann ich beim derzeitigen Informationsstand nicht sagen. Barré Ende.«
Muntu Ninasoma, Farye Sepheroa und Perry Rhodan wechselten vielsagende Blicke.
»Nicht besonders viel«, sagte Farye.
»Sie wurde eigenen Aussagen zufolge mental und körperlich beraubt«, merkte Ninasoma an. »Das könnte einiges erklären.«
Rhodan nickte nachdenklich. »Mag sein, dass sie nicht immer die Wahrheit sagt. Aber sie hat ehrbare Absichten.«
Farye presste die Lippen aufeinander und wiederholte: »Du hörst wieder mal vorrangig auf dein Gefühl, Perry.«
»Es hat mir oft genug recht gegeben.«
»Und was ist, wenn du dich irrst? Und wenn dieser Irrtum fatale Folgen hätte?«
»Ich habe mich schon oft geirrt, und einige meiner Fehler haben sogar Leben gekostet. Aber würde ich die Angst, etwas Falsches zu tun, zulassen, wäre ich in meinen Handlungen völlig gelähmt.«
Farye wollte etwas dagegenhalten, das spürte er, aber Ninasoma beugte sich vor und legte ihr eine Hand auf den Arm. »Der Mensch steht auf zwei Beinen: Wissen und Bauchgefühl. Man lernt, auf beiden zu gehen.«
»Und manchmal fällt man hin. Aber man muss immer wieder aufstehen.« Rhodan atmete tief durch. »Ach, Farye, ich schleppe die Erinnerungen an viele Fehler mit mir herum. Die Unsterblichkeit ist, was das angeht, schlimmer, als du sie dir vorstellen kannst.«
*
»Ewiges Leben ... Das ist ein Prozess des Begreifens.
Ewig leben zu können ist großartig, das sagt sich so leicht. Aber weiß jemand, was es tatsächlich bedeutet? Zunächst einmal begreifst du bloß das Erste, das falsch ist: dass du eine Ausnahme bist, und dann wirst du überheblich, wenn du nicht aufpasst. Ganz leicht hältst du dich für etwas Besseres, weil du das Zweite begreifst, das falsch ist: Der Tod hat keine Macht über dich.
Dann siehst du andere sterben, die wie du einen Zellaktivator tragen, und begreifst die erste Wahrheit: Dass du nicht alterst, bedeutet nicht, dass du nicht sterben kannst. Wenn dir ein Felsen auf den Kopf fällt, bist du tot. Gut, es fallen nicht jeden Tag Felsen vom Himmel. Aber es könnte passieren. Oder du wirst Opfer eines Attentats. Der Neid der anderen ist dein Fluch. Was, wenn du leben willst, die anderen dich aber lieber tot sähen?
Ja, das ewige Leben ist auch die ewige Angst vor dem Tod.
Du zauderst, und dann begreifst du die zweite Wahrheit: Deine Angst musst du überwinden, zur Furcht klein schrumpfen, die vorsichtig macht und nicht übermütig. Demütig werden.
Irgendwann begreifst du auch die dritte Wahrheit: Dein Privileg bringt Verantwortung mit sich. Jenen gegenüber, die sterblich sind.
Und bald darauf begreifst du, zum Vierten, dass du dieser Aufgabe allein nicht gewachsen bist.
Wenn du lange genug gelebt hast, begreifst du schließlich fünftens: Manchmal verschwendest du Zeit, obwohl du eigentlich genug haben solltest.
Denn die echte Unsterblichkeit ist eine Illusion.«
aus: Zanoshs Protokolle der Unsterblichen:
Buch der Triumvirn: Blaise O'Donnell