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Das Telefon klingelte. June griff nach dem Hörer und meldete sich. Bount beobachtete, wie ihre Augen groß und rund wurden. „Wann würde es Ihnen passen, Sir?“, fragte sie. „Ja, ich denke das lässt sich einrichten. In zwei Stunden. Ich rufe zurück, falls etwas dazwischenkommen sollte.“ Sie legte auf. „Das wirft mich um“, murmelte sie. „Er will dich sprechen. Du sollst ihn besuchen.“

„Du bist atemlos“, sagte Bount. „Soll ich ins Weiße Haus kommen?“

„Nein, zu Cobelli. Er war selbst am Apparat. Er hat einen Auftrag für dich.“

„Sein Pech. Ich arbeite nicht für ihn.“

„Das sagst du ihm am besten selbst. Er erwartet dich in zwei Stunden in seinem Haus in Long Island. Die Adresse lautet...“

Bount fiel June ins Wort. „Ich kenne das Grundstück. Es gleicht einer Festung. Ich wüsste gern, was Cobelli im Schilde führt.“

Bount fuhr nach Long Island. Trevor Cobellis Grundstück befand sich an der Rils Avenue, nur einen Steinwurf vom Jakob Rils Park entfernt. Eine mehr als mannshohe Hecke verwehrte den Blick auf den parkähnlichen Garten, in dessen Zentrum die Gebäude standen. Hinter dem hohen Gartenportal befand sich ein Pförtnerhäuschen mit Schrank. Als Bount davor stoppte, stellte er fest, dass sich auf der Innenseite der Hecken ein solider Maschendrahtzaun befand. Über Keramikknöpfe laufende Drähte signalisierten, dass der Zaun mit einer Alarmanlage gekoppelt war.

Im Zentrum des Parks standen einige Gebäude. Das große, langgestreckte Haupthaus hatte den Charakter eines englischen Landsitzes und imponierte mit roten Ziegeln und weißen Fensterläden. Es schien aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert zu stammen.

Der Pförtner war ein junger, sonnenbebrillter Mann in Jeans und grauem Sweat-Shirt. Er ließ sich Bounts Ausweis geben und verglich das Foto mit dem Besucher. „Sie werden erwartet, Sir“, sagte er dann, öffnete die Schranke und gab den Ausweis zurück.

Bount fuhr bis vor das Haupthaus. Die Tür öffnete sich. Ein Mann Mitte der Zwanzig trat heraus. Der Mann sah nicht aus wie ein Gangster, eher wie ein junger Aufsteiger. Wie ein Mann, der sich dem Management und dem Erfolg verschrieben hat. Er hatte ein glattrasiertes, bebrilltes Gesicht und glänzte mit einem verbindlichen Lächeln.

„Mr. Cobelli erwartet Sie, Sir.“ Minuten später trat Bount dem Syndikatsboss gegenüber. Cobelli zählte mit seinen 55 zu den fast schon legendären Figuren der Szene, die immer wieder in den Medien als Drahtzieher des Big Business erwähnt wurden, denen man bislang aber nichts ans Zeug hatte flicken können.

Trevor Cobelli war ein mittelgroßer und keineswegs bedeutungsvoll aussehender Mann, der auf Anhieb vor allem durch seine stramme, soldatische Haltung auffiel. Sein Scheitel war exakt gezogen. Das silbergraue Haar wirkte wie pomadisiert. Cobelli hatte eine fahle, blasse Haut, die vermuten ließ, dass es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten stand. Seine Augen waren ungewöhnlich hell. Der schmale Mund machte deutlich, dass Cobelli nicht unter Gefühlsneurosen litt.

Der Raum, in dem die beiden Männer zusammentrafen, war schlicht, aber elegant möbliert. Eine Längswand war mit dicht gefüllten Buchregalen bestückt. Cobelli gab Bount nicht die Hand, zeigte jedoch ein freundliches Lächeln, das nicht frei von eisiger Verächtlichkeit war.

„Setzen Sie sich, Mr. Reiniger“, sagte er.

Der Hausherr und sein Besucher nahmen vor dem Kamin Platz. Auf seinem Sims standen gerahmte Familienfotos.

„Wie ich hörte, hat Skormansky etwas eigenmächtig gehandelt“, sagte Cobelli lächelnd. „Ich möchte mich dafür entschuldigen.“

Bount erwiderte das Lächeln. „Wie Sie vermutlich vernommen haben, hatte ich keine Mühe, seine Eigenmächtigkeiten zu korrigieren.“

„Sie sind ein Mann, der mir imponiert“, sagte Cobelli. „Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Das wenigste davon hat mir gefallen, aber ich muss bekennen, dass Ihre Erfolgsbilanz sich sehen lassen kann.“

„Danke.“

„Sie versuchen herauszubekommen, was es mit diesem Nikolaus Gringer für eine Bewandtnis hat. Ich bin bereit, Ihnen dabei zu helfen.“

„Tatsächlich?“

„Der Mann, der sich Nikolaus Gringer nannte, hieß in Wahrheit Ronald Tackers.“

Bount stülpte die Unterlippe nach vorn und überlegte. „Da rührt sich nichts in meiner Schaltzentrale“, stellte er fest.

„Kein Wunder“, meinte Cobelli. „Ronny war das, was man ein unbeschriebenes Blatt nennt, bis zu dem Tage jedenfalls, wo er Fähigkeiten und Aktivitäten entwickelte, die niemand ihm zugetraut hätte. Ronny besaß das Vertrauen meines Freundes Zanutti.“

„Toby Zanutti, Chicago?“, fragte Bount. Cobelli nickte. „Ein großer Mann. Toby war einmal ein wilder Gangster, der vor nichts zurückschreckte. Er bestreitet das nicht, also besteht für mich kein Anlass, sein Bild zu schminken. Ebenso wahr ist es jedoch, dass Toby es verstanden hat, sich legalen Geschäften zuzuwenden. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, dass es auch legale Glücksspiele gibt, legale Wettbüros, und so weiter, und so weiter.“

„Vergessen Sie nicht die Prostitution“, sagte Bount,

Cobelli lachte. „Ein großer Umsatzbringer, richtig. Aber was soll’s? Die Leute wollen das haben, und der Staat profitiert davon. Ich möchte wetten, dass Toby der größte Steuerzahler von Chicago ist.“

„Bleiben wir bei diesem Tackers“, empfahl Bount, der sehr genau wusste, was es mit Toby Zanutti für eine Bewandtnis hatte.

„Okay. Tackers arbeitete in Zanuttis Zentrale, in der Buchhaltung, um genau zu sein. Tackers war so etwas wie eine graue Maus. Tüchtig, bescheiden, beliebt und scheinbar loyal. Als einer von Tobys Geldboten ausfiel, erhielt Tackers den Auftrag, eine größere Geldsendung nach Atlanta zu bringen. Es handelte sich immerhin um sieben Millionen Dollar in bar. Das Geld ist niemals in Atlanta angekommen. Tackers auch nicht.“

Bount machte keinen Hehl aus seiner Skepsis. „Ein Mann wie Zanutti schickt kein Greenhorn mit sieben Millionen Dollar auf die Reise“, sagte er.

Cobelli lächelte. „Genau das hat er aber getan. Aus sehr einleuchtenden Gründen, Irgendwie war durchgesickert, dass das Geld auf die Reise gebracht werden sollte. Toby hatte ein paar Hinweise erhalten, dass es Leute gab, die versuchen wollten, den Transport abzufangen. Das brachte Toby auf die Idee, einen Mann zu schicken, bei dem niemand eine solche Summe vermuten würde, eben Tackers. Die Wahl war nicht so dumm, wie sie Ihnen heute erscheinen mag. Tackers war verheiratet, er hatte zwei Kinder. Die Ehe galt als glücklich. Natürlich ging Toby in diesem Fall davon aus, dass der treue, tüchtige Tackers nichts tun würde, um Ehe und Existenz aufs Spiel zu setzen. Aber genau das ist geschehen. Tackers konnte der Millionenversuchung nicht widerstehen. Er hat Job, Frau und Kinder im Stich gelassen. Er ist mit den sieben Millionen getürmt.“

„Wer hat das Geld jetzt?“

„Seine Mörder, nehme ich an“, sagte Cobelli. „Sie sollen das Geld für uns finden, Reiniger.“

„Soll das heißen, dass Sie mir vertrauen?“, spottete Bount.

Cobelli lachte leise. „Oh nein. Wir vertrauen Ihnen nicht. Wenn es um Millionenbeträge geht, ist man gut beraten, keinem zu trauen, nicht einmal dem besten Freund. Aber was sollen wir machen? Wir haben keine Wahl. Sie werden verstehen, dass Toby Zanutti kein Mann ist, der sich mit einem solchen Verlust zufriedengibt. Er will sein Geld wiederhaben, und er will diejenigen bestraft sehen, die versucht haben, ihn aufs Kreuz zu legen.“

„Was Tackers angeht, so hat der ja schon seine Strafe erhalten, oder?“

„Nicht von Toby, auch nicht von uns.“

„Wollen Sie mir nicht erklären, was im einzelnen geschehen ist?“

„Wenn ich das so genau wüsste, hätte ich Sie nicht herzubitten brauchen“, meinte Cobelli, „Was wir wissen, ist dies: Tackers hat sich mit Zanuttis Geld abgesetzt. Toby hat daraufhin an alle seine Freunde in den Staaten eine Art von Steckbrief verteilen lassen ... Fotos mit Tackers Daten. Hier in New York fast tausend. Missverstehen Sie mich bitte nicht. Mir ging es nicht um Tackers Skalp, ich wollte nur sein Geld. Zunächst hörten wir von keiner Seite etwas über unseren Freund, aber dann tauchten die ersten Hinweise auf, ein Tipp von hier, und einer von dort, und wir wussten plötzlich, dass Tackers in New York war. Natürlich verdoppelten wir unsere Anstrengungen, ihn zu finden. Ich ließ nochmals ein paar tausend Steckbriefe verteilen..

„Alles nur Ihrem Freund Zanutti zuliebe?“, fiel Bount Cobelli ins Wort.

Der lachte kurz. „Ja und nein. Ich muss der Korrektheit halber hinzufügen, dass Toby einen Finderlohn ausgesetzt hat. Zehn Prozent der Gesamtsumme. Sie werden verstehen, dass ich nicht abgeneigt wäre, sie zu kassieren.“

„Was geschah mit Leicester?“

„Der hat ihn erkannt. Er hat uns auch benachrichtigt, aber da war es schon zu spät.“

„Warum musste Leicester sterben?“

„Das müssen Sie Blacky fragen. Don Keller hatte keinen Auftrag, Leicester zu töten, weder von mir noch von Skormansky. Das müssen Sie mir glauben.“

„Weshalb hätte Keller den Händler töten sollen?“ .

„Das kann ich nur vermuten. Don Keller muss der Überzeugung gewesen sein, dass Leicester Tackers gut kannte. Blacky hat möglicherweise sogar geglaubt, dass Tackers und Leicester zusammenarbeiteten und dass sich ein Teil der Beute in Leicesters Besitz befand. Blacky wollte, glaube ich, den Alten nicht töten, er wollte ihn nur einschüchtern und zum Reden bringen. Leicester hat das missverstanden, er hat geschossen, ohne lange zu fackeln.“

„In diesen Überlegungen steckt nicht viel Logik. Wenn Leicester Ihre Organisation davon in Kenntnis setzte, dass er Tackers gesehen hat, muss Don Keller sich doch gesagt haben, dass es zwischen den beiden, also zwischen Tackers und Leicester, kein Vertrauensverhältnis gegeben haben kann!“

„Sie sehen das falsch. Blacky hat vermutlich angenommen, dass Leicester seinen Freund Tackers abzuhalftern wünschte, um das bei ihm verborgene Geld behalten zu können. Leicester ist kein Killer, auch wenn er getötet hat. Leicester wollte Tackers mit Hilfe des Syndikats loswerden. Deshalb der Tipp an uns. Aber in Wahrheit waren Tackers und Leicester Spießgesellen. So jedenfalls hat es Blacky gesehen. Die Kombination mag richtig oder falsch gewesen sein, für Don Keller endete sie tödlich.“

„Ich danke Ihnen für die instruktiven Hinweise“, sagte Bount. „Aber warum wenden Sie sich gerade an mich? Ein Mann mit Ihren Verbindungen und Talenten muss doch die Möglichkeit haben, selbst fündig zu werden.“

„Ich habe keine Lust, meine Leute allzu großen Versuchungen auszusetzen“, meinte Cobelli. „Sieben Millionen könnten selbst den Loyalsten weich werden lassen. Meine Wahl heißt Reiniger. Spüren Sie das Geld auf. Wie ich bereits erwähnte, stehen dem Finder zehn Prozent Belohnung zu. In diesem Fall müssten wir uns die Summe natürlich teilen. Dreihundertfünfzigtausend für mich, die andere Hälfte für Sie.“

„Das klingt verlockend.“

„Es ist ein einmaliges Angebot.“

„Sie haben nicht den leisesten Verdacht, wer Tackers aus dem Weg geräumt haben könnte?“

„Wir wissen, dass er in ein blondes, attraktives Mädchen verknallt gewesen sein muss, das ihn wiederholt im ,Roosevelt“ besuchte. Leider habe ich keine Ahnung, wer das Mädchen war. Sie gilt es zu finden, das ist klar.“

Bount stand auf. „Ich lasse mir das Ganze durch den Kopf gehen“, versprach er.

Cobelli erhob sich. „Dafür habe ich Verständnis“, meinte er und brachte den Besucher zur Tür. „Um eines freilich muss ich Sie bitten, Reiniger. Wiederholen Sie nicht Tackers Fehler. Wenn Sie das Geld aufspüren sollten, vergessen Sie bitte nicht, wem es gehört.“

„Ich werde bemüht sein, mich zu gegebener Stunde daran zu erinnern“, erwiderte Bount.

„Das kann ich einfach nicht machen“, sagte Bount, Er saß mit June beim Abendessen in einem kleinen, italienischen Restaurant, das sie häufig besuchten. Der fruchtige Rotwein hatte Junes Blick verträumt werden lassen, aber sie war weit davon entfernt, der Unterhaltung nicht folgen zu können.

„Ich kann verstehen, wie dir zumute ist“, meinte June. „Es widerstrebt dir, der Mafia als Geldbeschaffer zu dienen. Du vergisst dabei, dass das Geld den Leuten gehört... und dass du vermutlich kein zweites Mal auf einen Schlag eine Drittelmillion Dollar verdienen kannst.“

„Ich kann dabei auch meinen Kopf verlieren. Von meinem Ruf ganz zu schweigen.“

„Wenn es stimmt, dass es sich bei dem Geld um legale Einnahmen handelt, sind deine Skrupel fehl am Platze.“

„Du argumentierst mit weiblicher List und Tücke und verschließt deinen Blick vor der moralischen Seite der Angelegenheit“, tadelte Bount.

„Du bist Privatdetektiv und nicht der Vorsteher einer moralischen Institution“, erinnerte ihn June. „Im übrigen liegt es an dir, dafür zu sorgen, dass das wiedergefundene Geld dem Fiskus nicht verborgen bleibt.“

„Wenn ich für Cobelli arbeite, bin ich an meine Schweigepflicht gebunden. Und im übrigen: Was ist mit Jill Lark? Ich habe ihren Scheck angenommen. Das hat Vertragscharakter. Ich kann da nicht einfach aussteigen.“

„Der Vertrag ist null und nichtig, wenn sich herausstellt, dass er als Täuschungsmanöver angelegt war“, sagte June. Bount blickte auf seine Uhr. „Vielleicht“, sagte er, „lässt sich das noch heute Abend klären.“

Eine Stunde später verabschiedete er sich von June. Er hatte sich angeboten, sie nach Hause zu bringen, aber June bestand darauf, ein Taxi zu nehmen. Bount war es recht. Er fuhr zu Jill Larks Wohnung.

Er fand in der Nähe des Hauses eine Parklücke und sah schon beim Aussteigen, dass hinter den Fenstern von Jill Larks Wohnung Licht brannte. Er betrat das Haus, fuhr mit dem Lift nach oben und klingelte an Jill Larks Tür.

Niemand öffnete. Bount wiederholte das Klingeln, aber ohne Erfolg. Er setzte sich hinter den Liftschacht und wartete. Nach knapp einer Viertelstunde hörte er, wie die Tür behutsam geöffnet wurde. Bount stand auf und trat hinter dem Schacht hervor. Lyonel Dissinger sah aus wie ein ertappter Sünder, aber er meisterte die Schrecksekunde und sagte: „Hallo! Sie wollen doch hoffentlich nicht zu Miss Lark? Sie liegt noch im Krankenhaus.“

„Ich möchte mit Ihnen sprechen, Mr. Dissinger“, sagte Bount. „Können wir das nicht in Miss Larks Wohnung tun?“

Dissinger zögerte. Er zerrte nervös die Nelke aus seinem Revers, schnüffelte daran, stieß sie in das Knopfloch zurück und sagte: „Es wird Ihnen in der Wohnung nicht gefallen. Sie sieht aus, als sei darin eine Bombe explodiert.“

„Tatsächlich?“

„Jemand hat sie buchstäblich auf den Kopf gestellt“, nickte Dissinger.

„Könnten das eventuell Sie gewesen sein?“

„Erlauben Sie mal...“, protestierte Dissinger.

Bount ging auf ihn zu. „Kommen Sie, ich sehe mir das einmal an.“

Sie betraten die Wohnung. Im Wohnzimmer sah es aus, als hätten Berserker darin gewütet. Der Inhalt von Schränken und Schubladen lag auf dem Boden verstreut.

Dissinger ließ sich in einen Sessel fallen. „In der Küche sieht es nicht besser aus“, murmelte er. „Ich verstehe das alles nicht.“

Bount ließ sich Dissinger gegenüber nieder. „Was hat Sie in Miss Larks Wohnung geführt?“

„Miss Lark hat mich darum gebeten, hier einmal nach dem Rechten zu sehen.“

„Ich habe geklingelt. Warum haben Sie mir nicht geöffnet?“, fragte Bount.

„Es ist schon ziemlich spät. Ich hatte Angst.“

,Angst vor wem?“

„Ich weiß es nicht. Vergessen Sie nicht, dass jemand Jill ermorden wollte. Wer immer an der Tür stand, wollte zu Miss Lark, und nicht zu mir. Nein, ich sah keine Veranlassung, auf Ihr Klingeln zu öffnen.“

„Sie haben mir etwas vorgemacht, Mr. Dissinger.“

„So, habe ich das?“

„Ich weiß, dass zwischen Miss Lark und Ihnen sehr enge, um nicht zu sagen intime Kontakte bestehen. Warum haben Sie versucht, das zu bestreiten?“

Ein Schatten fiel über Dissingers Gesicht. „Können Sie sich das nicht denken? Ich habe Ihnen gesagt, wie wenig förderlich es meiner Position und meiner Karriere ist, wenn herauskommt, dass ich mit meiner Sekretärin liiert bin. Das war auch der Grund, weshalb ich Ihnen gegenüber die gebotene Zurückhaltung übte.“

„Das haben Sie hübsch formuliert. Sie haben mir die Unwahrheit gesagt.“

Dissingers Gesicht verschloss sich, es wurde verdrossen und arrogant. „Ich bin nicht verpflichtet, Sie mit sogenannten Wahrheiten zu bedienen“, sagte er.

„Was hat die Polizei inzwischen herausgefunden?“

„Das Gift, das Jill beinahe getötet hätte, muss in die Kanne praktiziert worden sein, als Jill vorübergehend das Büro verlassen hat. So was geschieht einige Male am Tage“, sagte Dissinger. „Die Kanne ist überprüft worden. Die Prints, die darauf gefunden wurden, stammten ausnahmslos von Jill. Es ist anzunehmen, dass der Täter Handschuhe trug.“

„Ich habe inzwischen herausgefunden, was es mit Nikolaus Gringer für eine Bewandtnis hatte“, sagte Bount. „Das ist interessant.“

„Er arbeitete für eine Mafiaorganisation in Chicago und hatte den Auftrag, sieben Millionen Dollar zu transportieren. Das hat er auch getan, aber nicht so, wie es seine Auftraggeber von ihm erwarteten. Er ist mit dem Geld untergetaucht.“

„Nun gut, was haben Jill oder ich damit zu tun?“, fragte Dissinger.

„Das wissen Sie so gut wie ich. Dieser Ronny war mit Jill befreundet. Sie hat möglicherweise gewusst, wie reich er war. Jedenfalls kann ihr nicht entgangen sein, dass er keineswegs unter Geldmangel litt.“

„Was schließen Sie daraus?“

„Zunächst einmal gar nichts, aber wenn ich meinen Freund Toby Rogers davon unterrichte, was ich inzwischen herausbekommen habe, wird er mit Sicherheit darauf tippen, dass Jill Lark das Geld gestohlen hat.“

„Das ist absurd! Jill ist selbst Opfer, das wissen Sie verdammt genau.“

„Sie lebt. Im Gegensatz zu Ronny und Oliver Carr.“

„Was beweist das schon? Ein Schluck mehr von dem vergifteten Kaffee, und sie wäre tot gewesen!“

Bount stand auf. „Können wir gehen?“ Dissinger blinzelte. Er war von Bounts abruptem Handeln verunsichert. „Klar, warum nicht? Gehen wir!“

„Sie haben doch inzwischen die Polizei verständigt?“, fragte Bount.

„Wieso?“

„Hier ist eingebrochen worden. Das ist ein Fall für das zuständige Revier.“

„Es ist nicht meine Wohnung. Ich werde Jill von dem Geschehen unterrichten, sie kann entscheiden, was zu tun ist“, sagte Dissinger.

„Damit verschaffen Sie den Tätern oder dem Täter einen erheblichen Vorsprung.“

„Ich setze mich schnellstens mit Jill in Verbindung“, versprach Dissinger.

Sie verließen die Wohnung und das Haus. Als sie die Straße betraten, entzündete sich in einem dunklen Hausflur auf der gegenüberliegenden Seite ein kleiner, greller Blitz. Noch ehe Bount den Schuss hörte, spürte er den harten Schlag an seiner Schulter. Er warf sich zu Boden.

Dissinger stand wie erstarrt.

„Deckung!“, schrie Bount.

Der Ausruf wurde zugedeckt von zwei weiteren Schüssen. Ihr Krachen fiel so dicht hintereinander, dass es wie eine Einheit wirkte.

Lyonel Dissinger zuckte zusammen. Er hob die Hand und schien sich an die Brust fassen zu wollen, aber daraus wurde nichts mehr. Plötzlich riss es ihm die Beine unter dem Körper weg und er fiel zu Boden.

Bount starrte über die Straße. Der dunkel gähnende Hauseingang, in dem der Schütze stand oder gestanden hatte, gab nichts von seinem Geheimnis preis. Bount robbte zu Dissinger.

Dissinger lag auf dem Rücken. Seine Augen standen weit offen. Er versuchte etwas zu sagen, aber er brachte nur noch ein paar würgende Laute zustande. Im nächsten Moment streckte sich sein Körper. Der Kopf rollte zur Seite, und die Augen brachen.

Lyonel Dissinger war tot.

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