Читать книгу Die besten 11 Western des Sommers 2021 - Pete Hackett - Страница 15
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ОглавлениеBetsy Blue stolperte in der Dunkelheit und schürfte sich auf dem steinigen Boden die Hände auf. Keuchend hastete sie weiter. Ein paar Gestalten, die hier unter freiem Himmel nächtigten, fuhren ihretwegen in die Höhe. Eine fluchte und warf einen Gegenstand nach ihr.
Bei den wenigen Hütten, die diesen Weg flankierten, der zum Gebäude der American Fur Company führte, wurden Schüsse gewechselt. Männer rannten schreiend hin und her.
Betsy Blue hatte Fallons Revolver noch immer in der Hand, und sie schaute nach rückwärts. Man suchte sie, und wenn diese Teufelsbrut sie fand, dann war es wohl das Beste, wenn sie die letzte Kugel für sich selbst aufhob.
Aber noch war es nicht so weit, und sie hoffte inständig, dass sie diesen verrückten Kerl fände, der sie mit in die Wildnis nehmen wollte, sie, Betsy Blue. Bei diesem Gedanken erschauerte sie, aber was tat man nicht alles, um am Leben zu bleiben.
Der Mond war aufgegangen, und sie lenkte, von instinktiven Verlangen nach Schutz und Geborgenheit getrieben, ihre unsicheren Schritte auf den schwarzen Schatten eines einzeln stehenden Baumes zu. Irgendwo in dieser Richtung lag der Fluss, und sie hörte bereits ab und zu jenes leise Platschen, mit dem seine Wellen an das dunkle Ufer leckten.
Als sie durch den tiefen Schatten eilte, stießen ihre nackten, zerschundenen Füße gegen ein unsichtbares Hindernis. Sie stolperte und hielt sich am Stamm des Baumes fest.
Jemand fluchte unverständlich in der Finsternis, und der Klang dieser Stimme ließ sie innehalten und zurückschauen.
»Wer bist du?«, flüsterte sie, versuchte ihren keuchenden Atem zu unterdrücken und lauschte. Aber es kam nur ein unartikuliertes Grunzen zurück, und dann war es wieder still.
Sie tastete hastig nach der am Boden liegenden Gestalt. Fürchterlicher Whiskygestank schlug ihr entgegen, und sie dachte an die Worte jenes betrunkenen Trappers da hinten. Vielleicht hatten sie ihn gar nicht bis zu seinem Kanu getragen.
Ihre tastenden Hände fanden die Gestalt in weiches Leder gekleidet, fühlten ein bärtiges Gesicht und das Fell einer Mütze darüber.
»Shane, bist du das?«
Nur ein Grunzlaut als Antwort.
Sie rüttelte ihn verzweifelt. »So sag doch was! Du bist doch dieser stinkende Ziegenbock von heute Nachmittag!«
Wieder nichts. Wenn er es nun doch nicht war?
Sie schob ihre Arme unter seinen Achseln hindurch und schleifte seinen schweren Körper keuchend aus dem Schatten in das hell schimmernde Mondlicht.
Kein Zweifel: Dieser Mann hier war Crazy Bear Shane, und er war so betrunken, dass er wohl in den nächsten Stunden nicht mehr zu sich kommen würde.
Die Stimmen hinter ihr kamen näher. Männer liefen in der Dunkelheit herum und suchten sie.
Verzweifelt schlug Betsy mit den Fäusten auf Shanes Brust. »So wach doch endlich auf, du verdammter Kerl!«, flehte sie, den Tränen nahe. »Warum, zum Teufel, musstest du dich derart betrinken?« Aber Shane wälzte sich nur lallend und fluchend hin und her, ohne dass sein Verstand erfasste, was ihn da störte.
Wasser!, schoss es ihr durch den Kopf. Der Fluss plätscherte ganz in der Nähe, aber es gab kein Gefäß, in dem sie welches hätte holen können. Ihr blieb, verdammt noch mal, keine Zeit mehr, um zu warten, bis dieser betrunkene Kerl von allein wieder zu sich kam.
Ihre Finger strichen erneut über die Mütze aus Wolfsfell, und sie riss ihm dieselbe entschlossen vom Kopf. Sie ließ den Revolver liegen, rannte zum Ufer, schöpfte Wasser mit der Mütze und rannte zurück. Ohne zu zögern, goss sie dem am Boden liegenden Mann das Wasser ins Gesicht.
Crazy Shane fuhr prustend in die Höhe, spuckte das Wasser aus und glotzte aus weit aufgerissenen Augen um sich.
»Was, zum Henker ...!«, schnaufte er und wischte sich mit der Hand über den triefenden Bart. »Wer bist du denn? Ich ... ich habe dich schon irgendwo gesehen.«
»Ich bin Betsy Blue. Erinnerst du dich nicht? Du wolltest mich doch mitnehmen.«
Sie hielt ihr Gesicht so, dass es voll vom Licht des Mondes getroffen wurde. Doch es dauerte eine geraume Weile, ehe seine vom vielen Whisky umnebelten Sinne begriffen.
»Betsy Blue«, stammelte er verwirrt. Dann bemerkte er die dunklen Schwellungen in ihrem Gesicht, und sein Verstand schien klarer zu werden. »Was ist passiert, verdammt?«
»Ein Mann namens Mitch Fallon«, erklärte sie und schaute hastig nach rückwärts. »Wir müssen weg! Schnell!«
Shanes Versuch aufzuspringen, scheiterte kläglich.
»Ich bringe diesen Strolch um!«
»Das habe ich schon getan.« Ihre Stimme nahm einen verzweifelten Klang an. »Jetzt ist ’ne ganze Meute hinter mir her. Heilige Mutter, und du sitzt hier rum und bekommst deinen Hintern nicht hoch«
Crazy Shane riss ihr das triefende Wolfsfell aus der Hand und stülpte es sich auf den Schädel.
»Ah, das tut gut«, stöhnte er. »Bei allen indianischen. Geistern, ich war wohl schon lange nicht mehr so betrunken wie jetzt.«
»Du kannst dich später bemitleiden«, drängte Betsy. »Wo ist dein Kanu?«
»Im Fluss natürlich. Wo denn sonst? Mein Gewehr, ist mein Gewehr hier irgendwo?« Er kroch auf allen vieren herum und tastete nach seinem Gewehr. »Ohne mein Gewehr kann ich nicht fort, nicht um alles in der Welt.«
Betsy hob den Revolver wieder auf.
»Wir haben jetzt keine Zeit, nach deinem Gewehr zu suchen. Vielleicht hat es jemand gestohlen, während du schliefst. Dort kommen sie schon!«
»Hier ist es ja«, ächzte Crazy Shane und stemmte sich an seiner langen Büchse in die Höhe.
»Wird auch höchste Zeit.« Betsy fasste den schwankenden Mann am Arm und zog ihn mit sich fort.
Bereits nach zehn unsicheren Schritten fiel Jeremy Shane wieder hin und riss Betsy mit. Sein Gewehr schepperte auf den steinigen Boden.
»Da hinten ist jemand!«, rief eine keuchende Stimme. »Sie läuft zum Fluss hinunter!«
Fluchend kam Shane auf die Knie und stemmte sich an seinem Gewehr hoch. »Da soll mich doch gleich der Geier fressen«, schnaufte er. »Diese verdammten Knochen sind doch noch nicht so alt, dass man sich nicht mehr auf sie verlassen kann.«
»Aber voll Whisky«, stieß Betsy anklagend hervor und zog an seinem Arm.
»Du hast recht«, lallte Shane. »Zur Hölle, wenn ich gewusst hätte ...«
Ein Schuss donnerte durch die Nacht, und die Kugel prasselte durch die Weiden am Ufer.
»So komm doch!«, flehte Betsy. »Wir schaffen es nicht mehr.«
Jeremy Shane keuchte auf die Weidenbüsche zu und hatte Mühe, auf den Füßen zu bleiben. Dann blieb er plötzlich wieder stehen. Das Gewicht seines alkoholumnebelten Kopfes zog ihn etwas auf die Seite. Er drehte sich entgegen Betsys eindringlichen Protest herum, und der noch immer triefendnasse Wolfsschwanz, der hinten von seiner Mütze herabhing, wischte kalt durch Betsys Gesicht.
»Es ziemt sich einfach nicht, dass Jeremy Crazy Bear Shane vor ein paar Aasgeiern davonläuft«, knurrte er eigensinnig und hob seine lange Büchse, wobei er mit dem Daumen das Schloss spannte.
»Was tust du, um Himmels willen«, zeterte Betsy verzweifelt und zog an seinem Ärmel. »Sie bringen mich um und dich dazu.«
Er riss sich zornig los und fuhr sie mit der Trotzigkeit eines Betrunkenen an: »So kann ich nicht schießen, verdammt noch mal!«
Betsy stemmte bebend vor Wut und Furcht die Fäuste in die Hüften. »Heute Nachmittag dachte ich noch, dir läge etwas an mir, du verdammter, betrunkener Hinterwäldler.«
Das Aufflammen des Zündkrautes riss für einen winzigen Moment sein verkniffenes Gesicht aus der Schwärze der Nacht, als der Feuerstein einen Funken hineinspringen ließ. Der Schuss löste sich mit brüllendem Donner und schleuderte Feuer und Rauch in die Dunkelheit. Dann wandte er seinen Kopf nach ihr.
»Und ob mir was an dir liegt. Siehst du nicht, dass ich für dich kämpfe, zum Teufel!«
Betsy stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. »Ich will lebend von hier wegkommen! Begreifst du das nicht?«
»Gott im Himmel, ist mir schlecht«, stöhnte er und wankte mit breitbeinigen, haltsuchenden Schritten am Ufer entlang. Betsy folgte ihm hastig und von der Furcht ergriffen, er könne wieder umfallen und liegen bleiben.
Der Liegeplatz des Kanus befand sich nur unweit der Stelle, an der Betsy vorhin Wasser geschöpft hatte. Betsy sprang hinein und duckte sich, als hinter ihnen ein Schuss krachte. Jeremy Shane folgte ihr und erinnerte sie tatsächlich an einen Bären, wie er platschend in das seichte Wasser stapfte, sich in das leichte Kanu wälzte und es mit seinem Körpergewicht beinahe zum Kentern brachte. Betsy stieß einen Schrei aus, ließ den Revolver los und hielt sich mit beiden Händen an den dünnen Bootswänden fest. Jeremy Shane zog seine triefenden Mokassins über den Rand und griff nach dem Ruder. Kugeln fetzten durch die spärlichen Weiden und zischten gurrend ins Wasser.
»So rudere doch, verdammt noch mal!«, kreischte Betsy verängstigt.
»Wenn sie uns das Boot durchlöchern, saufen wir beide ab. Ich kann nämlich nicht schwimmen, und du bist viel zu betrunken dazu.«
Shane stieß das Ruder ins Wasser und trieb das leichte Boot mit kräftigen, aber unsicheren Stöße nahe am Ufer entlang stromauf. Die aus der Dunkelheit hin und wieder aufspringenden Mündungsblitze folgten ihnen beharrlich.
Vor Angst zitternd tasteten Betsys Hände nach dem Revolver auf dem Boden des Kanus. Sie spannte den Hahn und schoss zurück, einmal, zweimal, dreimal ...
»Beim Geier, was hast du denn da für ein verteufeltes Ding?«, knurrte Shane verblüfft.
Betsy ließ die Waffe wieder sinken. Die Schüsse vom Ufer her waren verstummt.
»Man nennt es, glaube ich, Revolver«, erklärte sie ein wenig atemlos. »Aber jetzt rudere, um alles in der Welt, sonst schaffen wir es nicht.«
Das Kanu gewann an Fahrt, das Ufer entfernte sich, der Bug durch schnitt das im schwachen Mondlicht glitzernde Wasser. Die Geräusche blieben allmählich zurück und verstummten; die Stille der nächtlichen Wildnis nahm sie auf mit ihrem unendlichen, düsteren Schweigen.
Nach ungefähr vier Meilen wurden Shanes Ruderschläge wieder langsamer. Wenig später sanken seine Augenlider herab, und er fiel mit einem Grunzlaut hintenüber in das Heck des Kanus, während seine Hände noch immer das Ruder umklammert hielten.
Betsy schrie ihn an, aber er reagierte nicht mehr darauf. Keuchend kroch sie durch das schwankende Boot und entriss ihm mit verzweifelter Entschlossenheit das Ruder. Noch nie hatte sie solch ein Ding in der Hand gehabt, aber sie tauchte es tapfer ins Wasser und versuchte, den Bug des Kanus gegen die schwache Strömung zu halten.