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4. Wachstums- und Beschäftigungspolitik
ОглавлениеLiteratur:
Franzmeyer (Hrsg.) Das Konvergenzproblem – Wirtschaftspolitik im Europa von Maastricht (1994); Stephan Die Beschäftigungspolitik der EU (2008); Höch Beschäftigungspolitik im Gemeinsamen Markt (2009); Hatje Wirtschaftsverfassung im Binnenmarkt, in: Bogdandy/Bast (Hrsg.) Europäisches Verfassungsrecht (2. Aufl. 2009) 828 ff.; Häde Haushaltsdisziplin und Solidarität in der Finanzkrise, EuZW 2009, 399.
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Mit Ausnahme der Geldpolitik im Rahmen der Eurozone sind die wirtschaftspolitischen Steuerungskompetenzen nicht generell auf Ebene der EU zentralisiert, sondern vielmehr grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten verblieben. Im Gegensatz zur Währungsunion (siehe dazu unten Rn. 42 ff.), gibt es daher bislang keine vergleichbare Wirtschaftsunion. Die Mitgliedstaaten haben sich aber gem. Art. 121 Abs. 1 AEUV verpflichtet, ihre Wirtschaftspolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse zu betrachten. Die Union erfüllt dabei die Koordinierungsfunktion (Art. 119 Abs. 1 AEUV). Zu diesem Zweck ist der Rat gem. Art. 121 Abs. 2 AEUV befugt, Grundzüge der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitik zu beschließen, die von den Mitgliedstaaten einzuhalten sind. Die Mitgliedstaaten haben sich in Art. 121 Abs. 3–6 AEUV einem entsprechenden Überwachungsverfahren unterworfen, das inzwischen erheblich intensiviert und gestrafft worden ist und während der ersten Hälfte eines Kalenderjahres durchgeführt wird (sog. Europäisches Semester).
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Die wirtschaftspolitische Steuerung ist gem. Art. 120 S. 1 AEUV an den in Art. 3 EUV formulierten Unionszielen auszurichten. Art. 3 Abs. 3 UAbs. I S. 2 EUV nennt als allgemeine wirtschaftspolitische Steuerungsziele insbesondere die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität sowie eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt. Darüber hinaus werden in Art. 3 EUV aber auch Ziele genannt, die über den Rahmen der Wirtschaftspolitik hinausgehen, wie etwa ein „hohes Maß an sozialem Schutz“ und ein „hohes Maß an Umweltschutz“. Diese Ziele sind nach dem AEUV Gegenstand spezieller Unionspolitiken (dazu unten Rn. 74, 77). Art. 120 S. 2 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten und die Union gleichermaßen, wirtschaftspolitische Maßnahmen „im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ durchzuführen und sich dabei an die in Art. 119 AEUV formulierten Grundsätze (stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanzen) zu halten.
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Die allgemeine wirtschaftspolitische Steuerung zielt auf die Förderung von Wachstum und Beschäftigung ab. Die dafür zur Verfügung stehenden Steuerungsinstrumente sind außerordentlich vielfältig. Von programmatischer Bedeutung war in diesem Zusammenhang zunächst die wirtschaftspolitische Strategie („Lissabon-Strategie“), die der Europäische Rat auf seiner Sondertagung vom 23. und 24. März 2000 in Lissabon für die Europäische Union festgelegt hatte. Es ging dem Rat ausdrücklich darum, die EU
„zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.“
Die Kommission hatte am 2. Februar 2005, unterstützt durch den Europäischen Rat vom März 2005, eine Neuformulierung und Konzentration dieser Strategie auf die Ziele Wachstum und Beschäftigung vorgeschlagen.[16] Diese Strategie hat jedoch die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.
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Im Jahre 2010 hat die Kommission ein neues, aber ähnlich ambitioniertes Zehnjahresprogramm „Europa 2020“ vorbereitet,[17] mit dem eine „Vision der europäischen sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“ skizziert werden soll. Auf dieser Grundlage hat der Europäische Rat am 17. Juni 2010 eine Strategie für Beschäftigung und intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum „Europa 2020“ verabschiedet.[18] Sie soll helfen, die Wettbewerbsfähigkeit, die Produktivität, das Wachstumspotenzial, den sozialen Zusammenhalt und die wirtschaftliche Konvergenz zu stimulieren. Abgesehen von Maßnahmen zur Überwindung der aktuellen Finanzkrise durch die Konsolidierung der Staatshaushalte und die Verbesserung der Finanzmarktregulierung und -aufsicht, geht es dem Rat um fünf Kernziele als Richtschnur für das Handeln der Mitgliedstaaten und der Union: die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Bedingungen für Innovation, Forschung und Entwicklung, die Erreichung der Klimaschutz- und Energieziele, die Verbesserung des Bildungsniveaus sowie die Förderung der sozialen Eingliederung. Dafür hat der Rat sogar quantifizierte Indikatoren definiert. Im Übrigen soll es jedoch um eine Stärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung im Sinne einer Verstärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung gehen. Worauf sich diese Koordination inhaltlich beziehen soll, ist allerdings umstritten. Der Rat hat sich zunächst nur auf gewisse allgemeine Leitlinien beschränkt und die Konkretisierung einer Arbeitsgruppe sowie der Kommission überlassen. Teils wird die Auffassung vertreten, die wirtschaftspolitische Koordinierung solle sich an makroökonomischen Indikatoren orientieren, um Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedstaaten auszugleichen; teils wird stattdessen die Orientierung der wirtschaftspolitischen Koordination an den Erfordernissen einer stabilitätsorientierten Finanz- und Haushaltspolitik in den Mitgliedstaaten gefordert, um schon die Ursachen für Ungleichgewichte zu beseitigen. Nach wie vor ist somit der Konflikt zwischen einer eher diskretionären und einer eher regelgebundenen Wirtschaftspolitik[19] auf Unionsebene nicht gelöst. Ein als „Six Pack“ bezeichnetes Bündel von sechs Legislativmaßnahmen hat immerhin im Jahre 2011 u.a. auch das Überwachungsverfahren nach Art. 121 AEUV intensiviert, insbesondere durch Präventiv- und Korrekturmaßnahmen zur Vermeidung und Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte.[20]
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Es ist jedoch zu betonen, dass gem. Art. 119 AEUV bei allen Maßnahmen zur Umsetzung dieser wirtschaftspolitischen Strategie sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Union an den die Wirtschaftsverfassung der EU kennzeichnenden Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb gebunden sind, wodurch nach Art. 120 S. 2 AEUV „ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird“. Die Kommission selbst hatte in ihrem „Aktionsplan staatliche Beihilfen“ von 2005 ausdrücklich anerkannt, dass gerade der Wettbewerb eine wichtige Voraussetzung für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft ist, da er ein Umfeld schafft, in dem effizient arbeitende und innovative Unternehmen entsprechend belohnt werden.[21]