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b. Interne Abgaben

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Während die Mitgliedstaaten ihre Zollhoheit durch den AEUV aufgegeben haben, ist ihre Steuerhoheit im Grundsatz bestehen geblieben. Daher ist die Erhebung interner Abgaben im Rahmen eines allgemeinen Abgabensystems nicht verboten.[16] Allerdings können auch solche Abgaben mit dem Ziel der Warenverkehrsfreiheit in Konflikt geraten, wenn sie Import- oder Exportwaren stärker belasten als Waren, die im Inland hergestellt und vertrieben werden. Für die Lösung dieses Konflikts stellt der AEUV der Sache nach wieder auf das Kriterium der Wettbewerbsverfälschung ab: Nach Art. 110 Abs. 1 AEUV unterliegen interne Abgaben auf ausländische Waren einem Diskriminierungsverbot (dh die Mitgliedstaaten dürfen ausländische Waren keinen höheren Belastungen unterwerfen als gleichartige inländische Waren); sie sollen also auf dem Inlandsmarkt zu gleichen Wettbewerbsbedingungen wie inländische Waren angeboten werden können. In der Logik des Kriteriums der Wettbewerbsverfälschung liegt es, dass – obwohl dies im Wortlaut der Vorschrift nicht anklingt – auch inländische Waren, die für den Export bestimmt sind, keinen höheren internen Abgaben unterworfen werden dürfen als entsprechende Waren, die zum inländischen Vertrieb bestimmt sind.[17] Typischerweise erfasst Art. 110 Abs. 1 AEUV aber nicht eine etwaige steuerliche Schlechterstellung inländischer Waren, die im Inland verbleiben.[18] Eine solche – auch in anderen Zusammenhängen denkbare – „umgekehrte“ Diskriminierung erfasst das Unionsrecht nicht; vielmehr ist es jedem Mitgliedstaat selbst überlassen, insoweit für Abhilfe zu sorgen. Daran zeigt sich, dass das Prinzip der Abschaffung von Marktzutrittsbeschränkungen und Wettbewerbsverfälschungen, das in den Freiverkehrsregeln zum Ausdruck kommt, am zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr ausgerichtet ist.

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Rechtliche Abgrenzungsprobleme stellen sich im Hinblick auf Art. 110 Abs. 1 AEUV vor allem unter zwei Gesichtspunkten: Zunächst einmal muss in jedem Einzelfall bestimmt werden, ob Abgaben im Sinne der Vorschrift als „inländische“ (dh als interne) Abgaben anzusehen sind und daher nur in nichtdiskriminierender Weise erhoben werden dürfen, oder ob es sich um zollgleiche Abgaben handelt, die überhaupt nicht erhoben werden dürfen.[19] Der EuGH hat hierfür nicht einfach auf den Ort der Erhebung der Abgabe (an der Grenze oder im Inland) abstellen können, weil eine Abgabe, auch wenn sie im Inland erhoben wird, eine Ware dennoch „aus Anlass ihres Grenzübertritts“ treffen kann, so dass sie wie ein Zoll wirkt. Entscheidendes Kriterium ist für den Gerichtshof vielmehr, ob die Abgabe Waren unabhängig von ihrer inländischen oder ausländischen Herkunft nach gleichen sachlichen Maßstäben im Rahmen eines allgemeinen Abgabensystems erfasst (dann hat sie den Charakter einer internen Steuer), oder ob sie eingeführte – bzw. zur Ausfuhr bestimmte – Waren spezifisch (und zwar stärker) belastet (dann besitzt sie zollgleiche Wirkung).[20] Hieran zeigt sich, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich frei sind, ihr Steuersystem so zu gestalten und Warengruppen steuerlich so zu differenzieren, wie sie es für richtig halten; aber die Besteuerungskriterien müssen in nichtdiskriminierender Weise angewendet werden.[21] Ob eine solche Diskriminierung vorliegt, bestimmt sich jedoch nicht allein aufgrund eines Vergleichs der Höhe der Abgaben. Vielmehr kann sich auch aus der Verwendung des Finanzaufkommens eine Diskriminierung ergeben. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Abgaben, obwohl sie zunächst in nichtdiskriminierender Weise erhoben wurden, vollständig für Zwecke verwendet werden, die ausschließlich den inländischen Waren zugutekommen, so dass die Belastung dieser Waren im Ergebnis wieder aufgehoben wird.[22]

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Des Weiteren muss im Rahmen des Art. 110 Abs. 1 AEUV die Gleichartigkeit der ausländischen und inländischen Waren, deren steuerliche Belastung zu vergleichen ist, bestimmt werden. Insoweit stellt der Gerichtshof darauf ab, ob die Waren aus der Sicht der Abnehmer gleiche Eigenschaften besitzen und denselben Bedürfnissen dienen.[23] Was aber, wenn die Waren nicht in diesem Sinne gleichartig sind? Dürfen die Import- und Exportwaren dann beliebig hohen Steuern unterworfen werden? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich klar machen, dass Wettbewerbsbeziehungen nicht nur zwischen gleichartigen Waren (beispielsweise zwischen ausländischem und inländischem Bier) bestehen. Auch Waren, die nicht übereinstimmende Eigenschaften besitzen und daher nicht gleichartig sind, können im sogenannten Substitutionswettbewerb miteinander stehen, wenn sie jedenfalls denselben Bedürfnissen dienen (wie beispielsweise Bier und preisgünstiger Tafelwein). Wird also in einem Land, das selbst keinen Wein produziert, der importierte Wein wesentlich höher besteuert als Bier, dann wird auch in diesem Fall der Wettbewerb im zwischenstaatlichen Handel verfälscht.[24] Die höhere Belastung des Weins führt nämlich dazu, dass die Verbrauchergewohnheiten zugunsten des Konsums von Bier und zu Lasten des Konsums ausländischen Weins zementiert werden. Dieser Problematik trägt der AEUV dadurch Rechnung, dass er sich nicht auf das Verbot formeller steuerlicher Diskriminierungen von Import- bzw. Exportwaren in Art. 110 Abs. 1 AEUV beschränkt, sondern in Art. 110 Abs. 2 AEUV vorsieht, dass interne Abgaben auch nicht in anderer Weise zu Wettbewerbsnachteilen für ausländische Waren und damit zum Schutz inländischer Produkte führen dürfen.[25]

Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht

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