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2. Schutz nationaler Allgemeininteressen

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Es liegt auf der Hand, dass die Mitgliedstaaten legitime Interessen haben, Kontrollen sowohl über die Qualifikation der Erbringer von Dienstleistungen als auch über die Art und Weise ihrer Betätigung auszuüben. Solche Kontrollen sollen der Überwindung bestimmter Formen des Marktversagens – insbesondere von Informationsasymmetrien – dienen bzw. öffentliche Güter schützen. Es kann daher nicht darum gehen, jegliche mitgliedstaatliche Regelungsmöglichkeit zu beschneiden. Es kommt vielmehr auf eine sinnvolle Abwägung zwischen Dienstleistungsfreiheit und staatlichen Regelungsinteressen an. Die Situation ist also bei Dienstleistungen nicht anders als bei Waren.

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Der EuGH anerkennt angesichts der Eigenart bestimmter Dienstleistungen die Berechtigung besonderer mitgliedstaatlicher Anforderungen an die Erbringung und den Inhalt solcher Leistungen und hält sie für vereinbar mit der Dienstleistungsfreiheit. Schon im Urteil van Binsbergen[53] hat der EuGH die Möglichkeit eröffnet, dass die Mitgliedstaaten Verstöße gegen das in der Dienstleistungsfreiheit enthaltene Beschränkungsverbot durch „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“ rechtfertigen:

„In Anbetracht der Besonderheiten der Dienstleistungen dürfen jedoch diejenigen an den Leistungserbringer gestellten besonderen Anforderungen nicht als mit dem Vertrag unvereinbar angesehen werden, die sich aus der Anwendung durch das Allgemeininteresse gerechtfertigter Berufsregelungen – namentlich der Vorschriften über Organisation, Befähigung, Berufspflichten, Kontrolle, Verantwortlichkeit und Haftung – ergeben und die für alle im Gebiet des Staates, in dem die Leistung erbracht wird, ansässigen Personen verbindlich sind; dies insoweit, als der Leistende dem Zugriff dieser Regelungen nur deshalb entgehen würde, weil er in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.“[54]

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Dies entspricht ganz der später zur Warenverkehrsfreiheit entwickelten Cassis de Dijon-Rechtsprechung des EuGH.[55] Auch hier kommen für die Rechtfertigung von Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs nur nicht-wirtschaftliche Interessen in Betracht (insbesondere der Verbraucherschutz). Wirtschaftliche Interessen hingegen können die Mitgliedstaaten nur noch unter den Bedingungen offener Märkte verfolgen. Im Übrigen hat der EuGH die Möglichkeit der Rechtfertigung mitgliedstaatlicher Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit durch zwingende Allgemeininteressen durchweg auf unterschiedslos anwendbare Maßnahmen begrenzt.[56] Diskriminierende Maßnahmen sind danach auf die Möglichkeit der Rechtfertigung durch Erwägungen des ordre public gem. Art. 62 iVm Art. 52 AEUV beschränkt. Allerdings finden sich in der Rechtsprechung gelegentlich auch Ansätze für eine Erstreckung des Rechtfertigungsgrundes der zwingenden Allgemeininteressen auf diskriminierende Maßnahmen.[57]

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In jedem Fall kommt es auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips an. Dieses Prinzip enthält zwei Kontrollmaßstäbe: zum einen die Eignung einer Maßnahme zur Erreichung des jeweiligen Schutzziels, zum anderen deren Erforderlichkeit und Angemessenheit. Die Eignung ist gewöhnlich unproblematisch. Die Erforderlichkeit bemisst sich danach, inwieweit bereits der Herkunftsstaat (Niederlassungsstaat) des Leistungserbringers durch seine Regelungen den Bedürfnissen des Schutzes bestimmter zwingender Allgemeininteressen Rechnung trägt. Dieser Gedanke entspricht dem vom EuGH zur Warenverkehrsfreiheit entwickelten Prinzip, dass alle in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten und in Verkehr gebrachten Güter in der ganzen Gemeinschaft als verkehrsfähig anerkannt werden müssen.[58] Darin steckt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ausländischer Kontrollen und der Grundsatz der Vermeidung von Doppelkontrollen (eingeschränktes Herkunftslandprinzip). Diese Grundsätze hat der EuGH somit auch auf den Dienstleistungsverkehr übertragen.[59] Unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit kommt es zunächst einmal darauf an, dass die mitgliedstaatlichen Maßnahmen nicht über das hinausgehen, was zum Erreichen der Schutzziele erforderlich ist. Zum anderen dürfen die Maßnahmen in die Dienstleistungsfreiheit nicht stärker als erforderlich eingreifen. Unter diesem Gesichtspunkt ist stets zu prüfen, ob der Schutz zwingender Allgemeininteressen nicht auch durch ein milderes Mittel erreicht werden kann, das die Dienstleistungsfreiheit in geringerem Maße oder gar nicht beschränkt.[60] So sind etwa Diskriminierungen – soweit sie überhaupt gerechtfertigt werden können – besonders begründungsbedürftig, weil es nicht ohne weiteres einleuchtet, warum sie zum Schutz öffentlicher Interessen erforderlich sein sollten.

Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht

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