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1. Verbot von Beschränkungen
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Der Binnenmarkt verlangt nicht nur freien Austausch von Produkten (Gütern und Leistungen), sondern auch freien Verkehr für Produktionsfaktoren. Dabei geht es zunächst einmal um die freie Standortwahl für die Hersteller solcher Produkte, dh für die Rechtsträger von Unternehmen, gleichviel ob es sich um natürliche oder juristische Personen handelt. Diese Standortwahl soll sich an wirtschaftlichen Kriterien orientieren können, also vor allem unter Rentabilitätsgesichtspunkten getroffen werden. Daher nimmt Art. 26 Abs. 2 AEUV die Beseitigung von Hindernissen für den freien Verkehr von Personen im Sinne der Niederlassungsfreiheit ausdrücklich in das Binnenmarktkonzept auf.
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Der AEUV trägt dem konkret Rechnung, indem er in Art. 49 vorsieht, dass alle Angehörigen eines Mitgliedstaates, die eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausüben, das Recht haben, sich in den anderen Mitgliedstaaten „niederzulassen“, dh dort dauerhafte Einrichtungen zu schaffen, die als Grundlage für die Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten dienen. Dabei kann es sich um Produktions- oder Vertriebsstätten handeln; es kommt aber auch die Gründung von Gesellschaften oder der Erwerb von Anteilen an bestehenden Gesellschaften in Betracht, sofern sie als Direktinvestitionen gedacht sind, dh einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung vermitteln.[61] Art. 54 AEUV stellt ausdrücklich klar, dass dieses Recht nicht nur natürlichen Personen, sondern auch rechtsfähigen Gesellschaften und juristischen Personen zusteht. Sie können daher in anderen Mitgliedstaaten als ihrem Heimat- bzw. Gründungsstaat nicht nur eine sekundäre Niederlassung (Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft) errichten, sondern auch den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit, dh die Hauptniederlassung ganz dorthin verlagern.[62] Von der Niederlassungsfreiheit ausgenommen sind gem. Art. 51 AEUV hoheitliche Tätigkeiten, dh Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind.
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Zur Herstellung der Niederlassungsfreiheit ist die Beseitigung aller Beschränkungen, die der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten entgegenstehen, erforderlich. Dem entspricht Art. 49 Abs. 1 AEUV, dem zu Folge Beschränkungen der freien Niederlassung verboten sind. Andererseits spricht aber Art. 49 Abs. 2 AEUV davon, dass die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten „nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen“ umfasst. Diese Formulierung enthält nur den Grundsatz der Inländerbehandlung. Die Reduktion der Niederlassungsfreiheit auf diesen Grundsatz liefe aber auf ein bloßes Verbot hinaus, Ausländer bei der Anwendung niederlassungsrechtlich relevanter Regelungen zu diskriminieren.
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In der Tat hatte der EuGH die Niederlassungsfreiheit zunächst auf ein Diskriminierungsverbot beschränkt.[63] Inzwischen hat sich aber auch hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit ein Rechtsprechungswandel hin zu ihrer Interpretation als Beschränkungsverbot vollzogen.[64] Das entspricht auch dem Wortlaut des Art. 49 Abs. 1 AEUV. Ähnlich wie bei der Dienstleistungsfreiheit folgt hieraus auch für die Niederlassungsfreiheit, dass zunächst einmal Mobilitätshindernisse (dh Hindernisse für die Ein- und Ausreise sowie den Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten) unzulässig sind. Das ergibt sich auch aus der Unionsbürgerschaft aller Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten (Art. 20 und 21 AEUV). Die Niederlassungsfreiheit kann aber ebenfalls durch Berufszulassungs- und Ausübungsregelungen behindert werden, selbst wenn solche Regelungen gleichmäßig auf In- und Ausländer angewendet werden und ihre Erfüllung Ausländern nicht schwerer fällt als Inländern (was eine versteckte Diskriminierung beinhalten könnte). Die beschränkende Wirkung etwa von Qualifikationserfordernissen ergibt sich häufig allein aus dem Umstand, dass die im Heimatstaat erworbenen Qualifikationen mit den im Aufnahmestaat erforderlichen Qualifikationen nicht identisch sind und deshalb häufig nicht anerkannt werden.[65] Beschränkungswirkungen können aber auch von diversen Regelungen ausgehen, die den Zugang zu bestimmten Ressourcen erschweren (etwa zu Grundstücken), deren Nutzung für die Errichtung von Niederlassungen erforderlich ist. Im Übrigen erfasst die Niederlassungsfreiheit nicht nur Beschränkungen des Aufnahmestaates, sondern auch solche des Herkunftsstaates.[66]