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b. Maßnahmen gleicher Wirkung

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Die Wirkung von Ein- oder Ausfuhrverboten haben nun allerdings nicht nur staatliche Regelungen, die sich ausdrücklich gerade auf den zwischenstaatlichen Handel beziehen. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlichster Rechtsvorschriften und Verwaltungspraktiken, die – obwohl sie primär anderen Zwecken dienen – Im- und Exporte unmöglich machen oder zumindest erschweren und daher die gleiche Wirkung haben wie mengenmäßige Beschränkungen (Maßnahmen gleicher Wirkung).[30]

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Dazu rechnen zunächst einmal Vorschriften, die sich auf die Abwicklung des Ein- und Ausfuhrverfahrens als solchen beziehen und die den Im- oder Export an Bedingungen knüpfen, die den Grenzübertritt der Waren behindern (insbesondere Grenzabfertigungsmodalitäten).[31] Wenn beispielsweise die Einfuhr deutscher Automobile nach Italien nur über eine Grenzabfertigungsstelle auf Sizilien möglich wäre, oder wenn bei der Einfuhr holländischen Käses in die Bundesrepublik Deutschland für jede Einheit gesondert eine Vielzahl von Formularen ausgefüllt werden müssten, dann ist zwar die Einfuhr nicht rechtlich verboten, aber faktisch so stark behindert, dass sie womöglich unterbleibt. Um derartige Störungen des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs schon im Ansatz auszuschließen, verlangt das Binnenmarktkonzept wie es in Art. 26 Abs. 2 AEUV definiert ist, die Herstellung eines „Raums ohne Binnengrenzen“, dh die Abschaffung überhaupt jeglicher Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten.[32]

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Handelsbeschränkende Wirkungen können aber auch Vorschriften haben, welche die Herstellung, die Zusammensetzung oder die Vermarktung von Produkten regeln. Wenn beispielsweise ein Mitgliedstaat vorschreibt, dass als „Bier“ nur Getränke vertrieben werden dürfen, die ausschließlich aus ganz bestimmten Grundstoffen hergestellt worden sind (so das deutsche „Reinheitsgebot“), dann bedeutet dies, dass Biere aus anderen Mitgliedstaaten, in denen keine solchen Anforderungen gestellt werden, praktisch von der Einfuhr in diesen Mitgliedstaat ausgeschlossen sind. Auf diese Weise würde der Biermarkt gespalten. Das liefe der Errichtung des Binnenmarkts zuwider, der voraussetzt, dass Waren, die in einem Mitgliedstaat legal im Verkehr sind, auch in den anderen Mitgliedstaaten vertrieben werden können.[33]

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Der AEUV trägt der Möglichkeit, dass nationale Regelungen oder Verwaltungspraktiken den zwischenstaatlichen Warenverkehr behindern, dadurch Rechnung, dass Art. 34 und 35 AEUV „Maßnahmen gleicher Wirkung“ wie mengenmäßige Beschränkungen der Ein- oder Ausfuhr verbietet. Allerdings verbietet der Vertrag solche Maßnahmen nur „zwischen“, nicht „in“ den Mitgliedstaaten. Das ist von entscheidender Bedeutung: Untersagt wird den Mitgliedstaaten demnach nicht, überhaupt Regelungen der genannten Art zu treffen; die Mitgliedstaaten haben also insoweit nicht etwa ihre nationale Regelungshoheit aufgegeben. Aber: kein Mitgliedstaat darf die Regelungen so anwenden, dass ihre handelsbeschränkenden Wirkungen zum Tragen kommen. Beispielsweise kann also die Bundesrepublik Deutschland daran festhalten, dass Bier im Inland nach dem sogenannten Reinheitsgebot nur aus bestimmten Grundstoffen hergestellt wird; aber diese Regelung darf nicht dazu benutzt werden, ausländische Biere vom Inlandsmarkt fernzuhalten. In solchen Fällen kann es also wieder zu einer „umgekehrten“ Diskriminierung dergestalt kommen, dass die inländischen Produzenten strengeren Auflagen unterliegen als die mit ihnen konkurrierenden ausländischen Wettbewerber. Es liegt nach Auffassung des EuGH aber nicht mehr im Bereich der Freiverkehrsregeln, auch solche Diskriminierungen zu verhindern. Diese Regeln verbieten also genau genommen nicht die Maßnahmen, sondern nur die handelsbeschränkenden Wirkungen (was sich allerdings oft nicht trennen lässt, so dass in vielen Fällen letztlich doch die Maßnahme selbst unterbleiben muss, wenn die Wirkung beseitigt werden soll).

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Das zentrale rechtliche Problem des Verbots von Maßnahmen gleicher Wirkung besteht nun in der Formulierung eines allgemeinen Kriteriums, anhand dessen bestimmt werden kann, ob eine nationale Regelung als Maßnahme gleicher Wirkung anzusehen ist oder nicht. Es wäre vergleichsweise einfach, wenn sich sagen ließe, dass Art. 34 und 35 AEUV alle Regelungen und Praktiken erfasst, die Import- bzw. Exportwaren schlechter behandelten als für den Inlandsmarkt bestimmte Waren. Das bloße Abstellen auf eine Diskriminierung würde aber zu kurz greifen. Denn – wie sich am Beispiel des Reinheitsgebots für Bier zeigt – ist es denkbar, dass auch nichtdiskriminierende Regelungen, die auf ausländische und inländische Waren unterschiedslos Anwendung finden, den zwischenstaatlichen Verkehr behindern. Letztlich bleibt daher nichts anderes übrig, als stets auf die handelsbeschränkende Wirkung einer Maßnahme abzustellen. Genau dies hat der EuGH in seinem grundlegenden Urteil Dassonville getan. Der Gerichtshof betrachtet danach als Maßnahme gleicher Wirkung ganz allgemein

„jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“.[34]

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Erforderlich ist also nicht der Eintritt der Handelsbehinderung, sondern die Eignung der Regelung, eine Behinderung des Warenhandels herbeizuführen. Die handelsbeschränkende Wirkung einer Regelung ist offensichtlich, wenn eine Ware, die in einem Teil des Binnenmarkts rechtmäßig hergestellt und in Verkehr gebracht worden ist, im Geltungsbereich dieser Regelung nicht vertrieben werden könnte. Das gilt für alle Regelungen (Produktstandards), die sich auf das Produkt beziehen, indem sie insbesondere die Produktbeschaffenheit abweichend vom Herkunftsstaat der Ware festlegen.

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Allerdings gibt es auch Regelungen, die sich nicht auf das Produkt (die Produktbeschaffenheit) beziehen und die dennoch den Vertrieb ausländischer Waren im Inland behindern können. Zu denken ist an Herstellungs-, Vermarktungs- oder Verwendungsregelungen wie beispielsweise das Verbot der Verwendung bestimmter Materialien oder bestimmter Verfahren bei der Herstellung, das Verbot bestimmter Werbemaßnahmen oder Verkaufsmodalitäten oder das Verbot der Nutzung der Produkte für bestimmte Verwendungszwecke. Solche Regelungen unterscheiden gewöhnlich nicht zwischen in- und ausländischen Waren, dh sie erschweren in der Regel den Vertrieb aller Waren gleichermaßen. Die Anwendung des Verbots des Art. 34 AEUV auf solche Regelungen ist nur gerechtfertigt, wenn sie dennoch den Marktzutritt behindern. Das ist gewöhnlich nur unter der Voraussetzung denkbar, dass sich bei genauerer Wirkungsanalyse herausstellt, dass sie ausländische Waren letztlich doch stärker behindern als inländische. Im Urteil Keck[35] hat der EuGH daher „produktbezogene“ von „vertriebsbezogenen“ Regelungen unterschieden und die letzteren unter der Voraussetzung für unbedenklich erachtet, dass sie nicht zu Lasten ausländischer Waren diskriminieren, dh

„sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“.[36]

Dieser Ansatz unterläuft das Marktzutrittskriterium und stellt einen Rückschritt gegenüber dem im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit bereits erreichten Grad der Integration dar. Der EuGH ist denn auch im Hinblick auf vertriebsbezogene Regelungen (Verkaufsmodalitäten) inzwischen wieder zur Prüfung der marktzutrittsbeschränkenden Wirkung zurückgekehrt.[37]

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Im Hinblick auf Ausfuhrbeschränkungen hat der EuGH den Art. 35 AEUV generell als bloßes Diskriminierungsverbot ausgelegt.[38]

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Die Nichtanwendbarkeit handelsbeschränkender Regelungen aufgrund der Warenverkehrsfreiheit hat demgemäß zur Folge, dass Waren, die in einem Mitgliedstaat nach den dort geltenden Vorschriften rechtmäßig hergestellt worden sind, im gesamten Binnenmarkt verkehrsfähig sind. Nach Maßgabe der Art. 34 und 35 AEUV geht das Ziel der Warenverkehrsfreiheit den nationalen Regelungszwecken vor. Allerdings macht der AEUV Ausnahmen, indem er in Art. 36 AEUV bestimmten überragenden Gemeinwohlinteressen doch einen Vorrang vor der Warenverkehrsfreiheit einräumt: Ein Mitgliedstaat braucht in seinem Hoheitsgebiet Waren, die in anderen Mitgliedstaaten verkehrsfähig sind, dann nicht zum inländischen Vertrieb zuzulassen, wenn dies aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, oder zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums erforderlich ist (Verhältnsimäßigkeitsprinzip). Es handelt sich um im AEUV ausdrücklich vorgesehene Rechtfertigungsgründe, mit denen eine Beschränkung des Warenverkehrs legitimiert werden kann.

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Die handelsbeschränkende Wirkung der Ausübung geistiger Eigentumsrechte bzw. gewerblicher Schutzrechte (Patente, Marken, Urheberrechte, Schutzrechte für Muster und Modelle, Urheberrechte etc.) resultiert daraus, dass sie dem Territorialitätsprinzip unterliegen. Diese Rechte bestehen grundsätzlich nur im Rahmen nationaler Rechtsordnungen. Die zu ihrem Schutz vorgesehenen Abwehrrechte haben daher ihre Grundlage im jeweiligen territorialen Geltungsbereich des Schutzrechts. Beispielsweise wird einem Erfinder der Patentschutz grundsätzlich nur im Rahmen und im Geltungsbereich jeder einzelnen nationalen Patentrechtsordnung gewährt. Daher kann der Patentinhaber die Vermarktung von konkurrierenden Importwaren, die sein nationales Patent verletzen, grundsätzlich unterbinden. Die Geltendmachung von Abwehrrechten wirkt sich daher notwendigerweise als Handelsbeschränkung aus. Art. 36 AEUV akzeptiert diese Konsequenz zwar im Interesse der nationalen Schutzrechtsordnungen. Schutzrechtsbedingte Ausnahmen von der Warenverkehrsfreiheit des AEUV sind aber nur insoweit gerechtfertigt

„als die Ausnahmen zur Wahrung der Rechte, die den spezifischen Gegenstand des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums ausmachen, dh dem Schutz vor Konkurrenten, notwendig sind“.[39]

Darin kommt das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip zum Ausdruck (vgl. dazu Rn. 141). Es ist nicht mehr gewahrt, wenn der Schutzrechtsinhaber selbst, eine von ihm rechtlich oder wirtschaftlich abhängige Person oder ein Dritter mit seiner Zustimmung die Ware bereits in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht hat. Da ein Schutzrecht seinem Inhaber typischerweise das Recht vorbehält, den geschützten Gegenstand erstmals in Verkehr zu bringen, ist das Schutzrecht dann „erschöpft“ (Erschöpfungsgrundsatz). Sonst könnte der Schutzrechtsinhaber den Binnenmarkt für seine Produkte wieder in nationale Märkte aufteilen, was zur Wahrung des spezifischen Gegenstandes eines Schutzrechts nicht notwendig ist.[40]

Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht

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