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1. Ein Kral aus Glas und Beton

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Das Habitat des modernen Menschen

«Ein funktionierendes Büro soll aussehen wie ein Negerkral: Jeder hat seine Hütte, und dazwischen gibt es den Dorfplatz zur Kommunikation.»

So beschrieb, politisch total unkorrekt, der Braunschweiger Architekt Hans Struhk den Lebensraum des Menschen in der Dienstleistungsgesellschaft. Haben seine Kollegen sich daran gehalten?

Berlin, die Stadt, in der ich lebe, ist das ideale Studienobjekt. Nirgendwo in Deutschland findet man so viele Büros. Die meisten von ihnen stehen leer. Im optimistischen Rausch der Nachwendejahre wurde der Bedarf an Arbeitsplatz für Schreibtischmenschen grandios überschätzt. Nachts marschieren also einsame Hausmeister durch die leeren «Tower» und schalten in den oberen Etagen die Lichter an. Erstens, weil es den Immobilienfirmen peinlich ist, dass niemand ihre nach Feng-Shui-Kriterien ausgestatteten Glaspaläste mietet, und zweitens, damit keine Flugzeuge in ebendiese donnern.

Bei den Büros, die nicht leer stehen, gibt es zwei Extreme: Da sind zum einen die in mönchische Minizellen aufgeteilten Verwaltungstürme und zum anderen die Loftbüros, ehemalige Fabrikhallen, die im Grunde nach wie vor so aussehen, wie sie von den Industriearbeitern einst verlassen wurden: die Wände gesandstrahlte Klinker, die wuchtigen Heizungsrohre laufen in unüberschaubaren Mäandern an den Decken entlang und bieten Spinnen und anderen kulturfolgenden Insekten Heimstatt. Die Fenster sind riesig und schlecht isoliert, der Aufzug ein wenig vertrauenerweckendes Drahtgestell, ursprünglich vielleicht dazu gedacht, Motorblöcke von Etage zu Etage zu wuchten. Vor allem bei Werbeagenturen findet man es schick, in solchen Industriebrachen zu siedeln. Außerdem sind die Mietpreise für ein Loft meist ausgesprochen günstig, und die Flure sind so breit, dass der Agenturbesitzer am Tag vor dem Offenbarungseid alles brauchbare Technikmaterial bequem in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Gebäude schaffen kann. Ich selbst war schon Zeuge solch einer Aktion: Gegenüber meiner Wohnung gibt es ein mit Glaskuppel aufwendig verziertes Loft. Tagaus, tagein herrschte dort hektische Betriebsamkeit, man trank Cappuccino und las die Tageszeitung «Welt Kompakt». Eines Abends aber brannte bis tief in die Nacht Licht, Menschen machten sich an den Geräten zu schaffen, und am nächsten Tag war das Loft so blank wie das Haupt des Agenturchefs.

Eine der wenigen Veränderungen, die normalerweise in einem Loft vorgenommen werden, ist das Ersetzen der Linoleumfußböden durch Parkett und das Aufstellen eines riesigen amerikanischen Kühlschranks mit Eiswürfelautomat. Außerdem werden ein paar Flachbildschirme an die Wände geschraubt, auf denen in Endlosschleife das MTV-Programm von 1992 läuft, und ein paar leere Blumenvasen im iPod-Stil verteilt. Anschließend ist das Büro einsatzbereit – und es hat durchaus Vorteile: Da die Räume sehr groß sind und es keine Einzelbüros gibt, ist die Kommunikation im Loft durchweg besser. Statt Akte X mit der Rohrpost auf eine ungewisse Reise durch das Gebäude zu schicken, schlendert man kurz zum Empfänger und kann sie im besten Fall gleich wieder mitnehmen. Die kurzen Wege machen die Arbeit effektiver, weil mehr miteinander gesprochen wird. Durch starre Raumaufteilung eingerostete Strukturen lösen sich auf, es entsteht automatisch eine stärkere Identifikation mit den Kollegen, der Firma und dem Produkt. Das Loft ist die perfekte, wenn auch häufig ein wenig überdrehte Umsetzung des Großraumbüros.

Sie kennen die Bilder vom Kontrollzentrum der NASA in Houston? Alle sitzen in einem Raum, sind hochkonzentriert, Entscheidungen werden getroffen und sofort umgesetzt. Wäre dieses Team auf klassische Einzelbüros aufgeteilt worden, voneinander abgeschottet und nur durch Telefone verbunden – Apollo 13 wäre wohl verloren gewesen. Dennoch sind die meisten Gebäude heute noch parzelliert wie eine Schrebergartenkolonie.

In den sechziger und siebziger Jahren, als der Bedarf an Büros immer größer, das Bauland aber immer teurer wurde, fanden auch deutsche Architekten heraus, dass Papier erstaunlich leicht ist und Bürogebäude daher – anders als Fabriken – in die Höhe wachsen können. So blieben die Grundflächen klein (und günstig), und die Büros wurden einfach übereinandergestapelt. Ein positiver Nebeneffekt war, dass die Chefs der Unternehmen sich in den oberen Etagen niederlassen konnten. Das verschaffte ihnen nicht nur einen phantastischen Blick über die Dächer ihrer Stadt, sondern gab auch dem soziologischen «Oben» und «Unten» eine architektonische Entsprechung. Aufstieg und Erfolg lassen sich auch in Stockwerken messen – ein zusätzlicher Anreiz, sich anzustrengen.

Doch die Firmen wuchsen schneller, als man es sich erträumt hatte. Der Platz reichte nicht mehr – es musste angebaut werden. Weil es aber schwer ist, zusätzliche Etagen auf ein Hochhaus zu setzen, entstanden rund um die Bürotürme metastasenartige Systeme von Nebengebäuden, von denen aus labyrinthische Wege zum Hauptgebäude führen. Der WDR etwa hat in Köln einen großen Teil der Innenstadt bebaut; durch unterirdische Gänge sind diese Bürokomplexe miteinander verbunden: Man kann ohne Probleme am Appelhofplatz in den öffentlich-rechtlichen Untergrund steigen, dort gefühlte zwei Kilometer zurücklegen und kurz vor dem Dom wieder ans Tageslicht kommen. In solchen Gebilden ist eine Orientierung ohne GPS unmöglich. Häufig stehen die einzelnen Trakte auf unterschiedlichen Bodenniveaus. Was hier Erdgeschoss ist, kann dort schon erster Stock sein. Fensterlose Flure geben keinerlei Ansatz zur Orientierung, man stößt auf die jetzt leer stehenden Bürozüge ehemals mächtiger und längst aufgelöster Abteilungen; in Momenten, in denen man ganz sicher ist, sein Ziel gefunden zu haben, endet der Weg in einer überdimensionierten Teeküche oder vor einer verriegelten Stahltür. Doch auch in Neubauten ist es unmöglich, problemlos von A nach B zu gelangen. Sackgassen, Flure, die ins Nichts führen, und verwinkelte Abzweige werden dort von Anfang an mit eingeplant. Dazu kommen kryptische Leitsysteme, erdacht von Menschen, die sich selbst wohl niemals in die fertigen Gebäude trauen würden: An jeder zweiten Säule ein Plan, auf dem Angaben wie «Fi2 nach G5j» stehen – der U-Bahn-Plan von Tokio ist leichter zu lesen.

Kein Wunder, dass die Bewohner dieser unwirtlichen und lebensfeindlichen Gebäude sich nach kräftigen Landmarken sehnen, die für eine klare Orientierung sorgen. Eine davon ist der Aufzug. Da die Zeit, die man in ihm verbringt, extrem begrenzt ist, sind verschiedene Dinge zu beachten. Als ausgesprochen unhöflich gilt es (zu Recht), den Blick starr auf die Tüte mit Bagels und den Coffee-to-go zu richten, die man auf dem Weg ins Büro gekauft hat. Für ein ausführliches Gespräch ist aber auch keine Zeit. Selbst mit Kollegen aus der gleichen Abteilung verbietet sich eine Konversation – Mitarbeiter aus anderen Stockwerken würden begierig die Ohren spitzen, alles missverstehen und das Gehörte brühwarm weitertratschen. Sagen Sie beispielsweise zu Ihrem Kollegen: «Mann, die neue SAP-4.5-Software ist echt happig», wird der Liftspion sofort die Meldung machen, dass man in Ihrer Abteilung unfähig ist, einen Computer einzuschalten. Persönliche Gespräche sind ebenfalls tabu. Ein Satz wie: «Das war eine Nacht gestern, meine Herren!», verwandelt sich beim nächsten Halt in die Erkenntnis: «In der Revision wird auch nur noch gesoffen.»

Häufig kommt es wegen Überfüllung eines Aufzugs zu einer gewissen physikalischen Dichte an Menschenkörpern – mit all den damit verbundenen Nachteilen. Einige Kollegen husten, andere riechen nach nassem Hund, weil sie sogar bei starkem Regen mit ihrem Mountainbike zur Arbeit fahren, wieder andere besitzen eine auffällig große, bestenfalls von innen und schlimmstenfalls von außen behaarte Nase, die sich nun direkt vor Ihren Augen befindet. Senken Sie verschämt den Blick, dann schauen Sie in das appetitliche Dekolleté der Sekretärin des Personalwesens – auch keine Alternative. Da in Stoßzeiten der Aufzug auf jedem Geschoss hält, kommt es unweigerlich zu Rempeleien.

Um den meisten dieser Probleme zu entgehen, sollten Sie bei Fahrtbeginn möglichst links oder rechts vorne vom Ausstieg einchecken. Dort können Sie die Aufgabe des Liftboys übernehmen. Sie bietet das so dringend benötigte Smalltalk-Thema: «Welchen Knopf soll ich drücken?», ist eine höfliche und zugleich praktische Frage. Man wird Sie als umsichtigen Kollegen schätzen und Sie mit Ihrer Aufgabe weitgehend in Ruhe lassen.

Von vorneherein vermeiden können Sie jene Probleme, wenn Sie zwischen dem ersten und dem dritten Stock arbeiten – dann sollten Sie grundsätzlich das Treppenhaus benutzen. So wird außerdem Ihre Kondition gestärkt, und Sie kommen einen Tick frischer und vitaler an Ihrem Schreibtisch an. Ganz zu schweigen davon, dass es eine Zumutung für die Reisenden in die höher gelegenen Stockwerke ist, schon auf der ersten Etappe mehrmals zu halten. Und Sie ersparen sich und Ihren Mitreisenden den Standardspruch der notorischen Liftspaßvögel: «Der hält auch wieder an jeder Milchkanne, haha.»

In einigen wenigen Bürogebäuden gibt es noch Paternoster. Ich würde absolut für die Pflichteinführung dieser Menschenschaufeln plädieren. Nicht nur weil sie wahnsinnig praktisch sind, man stets eine Kabine für sich alleine hat (man traut sich so wenig, zu einem Fremden in den Paternoster zu steigen, wie man einen Ankerlift beim Skifahren mit einem Unbekannten nutzt) und sie bei der Durchfahrt im Keller oder Dachgeschoss einen gewissen Thrill erzeugen. Sondern vor allem, weil der Paternoster ein Spiegelbild der Seele, ein Kompass für die eigene Befindlichkeit sein kann. Tagsüber unterdrückter Ärger äußert sich bei mir immer in Albträumen, in denen sich der Paternoster so schnell dreht, dass ich keine Chance habe, abzuspringen. Erst wenn ich das Problem gelöst habe, normalisiert sich im nächsten Traum die Geschwindigkeit des Gefährts.

So mancher Vater und so manche Mutter legen auf dem Weg zum Schreibtisch noch einen Zwischenstopp im Betriebskindergarten ein. Das ist eine Einrichtung, die vordergründig der Unterbringung des Nachwuchses dient, in Wirklichkeit aber spiegeln sich auch hier die Hierarchiestufen der Firma. Oder denken Sie im Ernst, dass Vierjährige keine Ahnung haben, was ihre Eltern beruflich tun und wer ihnen unterstellt ist? Möchten Sie, dass Ihr kleiner Dennis abends nach Hause kommt und Sie fragt: «Du, der Justin hat gesagt, wenn ich ihn nicht mit meinem Playmobil-Piratenschiff spielen lasse, schmeißt sein Papa dich raus!»? Doch, doch: Kinder wissen so was. Mir selbst drohte der neunjährige Sohn eines Vorgesetzten mit ernsthaften beruflichen Konsequenzen, nur weil ich behauptet hatte, dass Eminem ein blöder Poser ist.

Also: Wenn es irgend geht, schicken Sie den Nachwuchs in einen ganz normalen Kindergarten. Am besten in einen katholischen. Auch von dort wird Ihr Kind wahrscheinlich irgendwann mit einem schweren seelischen Schaden nach Hause kommen, doch immerhin wissen Sie, dass dann die ungehaltene Schwester Hanfriedia schuld war und nicht der Satansbraten der Kollegin, die Ihnen letzten Monat die sicher geglaubte Beförderung vor der Nase weggeschnappt hat.

In der Abteilung angekommen, führt der erste Weg in den Gemeinschaftsraum. Nach einem kurzen Blick aufs Schwarze Brett, an dem immer noch der Aufruf zur Betriebsratswahl von 1989 hängt – zwischen der Werbung für die Tischtennisgruppe der Betriebssportgemeinschaft («Kollegen sind Sportkameraden») und der Todesanzeige des verdienten Pensionärs Johannes Schlömer, der fünfunddreißig Jahre genau Ihren Job gemacht hat –, marschieren Sie zur Kaffeemaschine. Dieses Ritual wird auch dann nicht abgeschafft werden, wenn in allernächster Zukunft um die Bürogebäude herum nur noch Starbucks-Filialen stehen. An der Kaffeemaschine nämlich gilt es, sich über die wichtigsten Ereignisse der vergangenen zwölf Feierabendstunden (Wie war «Wetten, dass …?»? Ist Rolf wieder bei seiner Frau eingezogen? Gibt es neue Praktikantinnen?) zu informieren. Hier treffen Sie die Herolde des Büro-Olymps. Dass der Kaffee ungenießbar ist, weil irgendjemand gestern wieder vergessen hat, die Maschine auszustellen, und der eingebrannte Bodensatz die Zweizentimetermarke überschritten hat, soll Sie nicht stören. Schnappen Sie sich einfach einen der Becher aus dem Schrank (und zwar möglichst nicht die private «Prinzessin-Diana-Gedächtnis»-Tasse der Chefsekretärin) und hören Sie sich ein bisschen um. Die eigene Zunge sollen Sie allerdings hüten. Ansonsten wird man, sobald Sie den Raum verlassen haben, über Sie reden. Und das wollen Sie ja wohl nicht – es sei denn, Sie waren maßgeblich am spektakulären Schmutke-Abschluss beteiligt (oder können halbwegs glaubhaft so tun, als seien Sie es gewesen).

Anschließend aber heißt es: An den Schreibtisch – wenn auch noch nicht an die Arbeit. Denn vorher muss der Kampf um das Raumklima ausgetragen werden.

Es ist eine Tatsache, dass unsere Umgebungsluft (jedenfalls bis zu einer Höhe von tausend Metern über dem Meeresspiegel) einen Sauerstoffgehalt von einundzwanzig Prozent aufweist. Selbst sogenannte verbrauchte Luft ist noch mit genügend O2 versetzt, um das Hirn in Gang zu halten – es sei denn, Sie lassen in Ihrem Papierkorb verräterische Akten in Flammen aufgehen, weil eine Finanzprüfung ins Haus steht und der Schredder gerade in der Chefetage dringender benötigt wird. Dennoch ist der Ruf «Ich brauche meinen Sauerstoff!» das Totschlagargument derjenigen, die meinen, dass sie nur bei offenem Fenster ihre ganze Produktivität entfalten können. Vielleicht gehören Sie ja selber zu denen, die es vollkommen normal finden, mit einem dicken Schal (bei Minusgraden auch mit Handschuhen und Pudelmütze) am Schreibtisch zu sitzen. Ich nicht! Mir ist das unheimlich. Für mich ist das geschlossene Fenster der Urzustand eines Raumes, denn um sie zu schließen, sind sie schließlich eingebaut worden. Lüften sollte also sparsam betrieben werden. Dreimal täglich einige Minuten halte ich für angemessen. Bei Regen und vor allem bei Sturm sollte man ganz darauf verzichten. Um das Gehirn mit einem Zusatzkick an Klarheit zu versorgen, ist beispielsweise die Mittagspause eine gute Gelegenheit. Statt in der Kantine in Frittierfettschwaden zu baden – laufen Sie einmal um den Block! Anschließend sind Sie frisch und erholt und haben vielleicht an einem Obststand einen Apfel aus regionalem Anbau erworben, der sicherlich gesünder ist als der übersüßte Obstsalat, den Ihre Kollegen zum Nachtisch hatten. Oder, wenn Sie unbedingt mögen, gehen Sie in den nächsten «Coffee-to-go»-Shop. Dort ist die Luft immer frisch, da man nicht rauchen darf, und es gibt außer gutem Kaffee jede Menge Getränke, die gesund sind oder zumindest den Preis von etwas außerordentlich Gesundem haben.

Genauso wenig verstanden haben die Idee des Fensters aber die Architekten, denen geschickte Händler die ersten Klimaanlagen verkauften. Um diese zu betreiben, dürfen die Fenster nämlich niemals geöffnet werden. Das ist in vielen Fällen technisch auch gar nicht möglich. Überhaupt sind Klimaanlagen eine unangenehme Erfindung, nichts anderes als Umwälzstationen für schlechte Luft. Sie stellen sicher, dass Sie am eigenen Leib erfahren können, mit welch seltenen Viren die Abteilung Immobilien-Controlling drei Stockwerke unter Ihnen derzeit kontaminiert ist. Klimaanlagen können den Lebensraum Büro schwer schädigen, indem sie ganze Abteilungen durch die Verbreitung eingeschleppter Krankheiten arbeitsunfähig machen.

Umgeben von Glas, das in eine Struktur aus Beton gesetzt wurde, und schlechter Luft – so verbringen wir also den Großteil unseres Lebens. Hans Struhks Kral-Ideal wurde nur selten umgesetzt. Das moderne Büro gleicht eher einem Aquarium. Manche sagen zu Recht: einem Haifischbecken. Doch bevor es um Jagen und Gejagtwerden geht, muss dieser Lebensraum genauer erkundet werden.

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