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Die Zentrale

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Wenn die Kantine das große Lagerfeuer ist, um das sich der Stamm schart, ist die Zentrale der Königspalast. In vielen Betrieben wird das Wort «Zentrale» nur flüsternd oder überhaupt gar nicht ausgesprochen, sondern durch den Namen der Stadt ersetzt, in der der Hauptsitz sich befindet. «Stuttgart möchte wissen, wo die Revisionsakten bleiben», wird man in Außenbetrieben von Mercedes-Benz sagen.

Die Zentrale verkörpert alles, was in einer Firma Angstschübe auslösen kann: Macht, endgültige Entscheidungen oder Karriere-Aus. Oberste Befehlsgewalt. Olymp. Ruft auch nur eine Sekretärin aus der Zentrale in einer Filiale an, verfällt das gesamte Büro in Aufregung. Verbindet sie dann mit einem der Olympier, folgt die Schockstarre. Üblicherweise übernimmt der Filialleiter die Verhandlungen. Findet das Telefonat im Großraum statt, werden die Mitarbeiter einen Halbkreis um ihn bilden und versuchen, aus seinen Antworten den Inhalt des Gespräches zu rekonstruieren. Da niemand ein Wort sagen darf, führt das zu einer grotesken Scharade, bei der die Mitarbeiter sich bemühen, die «Entlassungswelle» oder «Fusionierung» pantomimisch darzustellen. Telefoniert der Chef allerdings in seinem Büro, pressen Dutzende Kollegen ihre Ohren an die Tür. Denn sicher geht es irgendjemandem (wahrscheinlich allen) an den Kragen – gute Nachrichten erwartet man aus der Zentrale nicht. Schweigt der Chef nach einem solchen Gespräch (vielleicht, weil es um etwas Privates ging), ist allen klar: Wir sind gefeuert! Sofort beginnen die Recherchen. Einschlägige Besserwisser haben mehrere «Quellen» in der Zentrale (zumindest geben sie das glaubhaft vor) – Kollegen etwa, die sie aus der Ausbildung kennen, die inzwischen Karriere gemacht und es nach «Hamburg» geschafft haben. Die wissen selbstverständlich genauso wenig wie die Mitarbeiter in den Filialen. Dennoch werden Gerüchte gesät und kolportiert und diskutiert. Ein Anruf aus der Zentrale kann locker einen Arbeitstag vernichten.

Es gibt Situationen, in denen ein Kollege «nach München» geschickt wird, etwa um dort eine Urlaubsvertretung zu übernehmen. Auf diese Reise wird er vorbereitet wie ein kambodschanischer Reisbauer, der einen Auftrag im Angkor Wat des 18. Jahrhunderts zu erfüllen hat. Er wird mit Tipps und Ratschlägen ausgestattet, wie er sich wem gegenüber zu verhalten habe, wem er vertrauen könne, vor wem er sich in Acht zu nehmen habe und welche Fallen und Gefahren zu vermeiden seien.

In der Filiale stellt man sich die Zentrale wie das Hauptquartier eines der bösen Gegenspieler von James Bond vor: Vielleicht eine riesige Unterwasserkapsel, in der der oberste Chef vor einem Panoramafenster sitzt, hinter dem Haie ihre Zähne blecken; unliebsamen Besuch lässt er in einen Tiefseekrater stürzen – ein Knopfdruck, und die Falltür öffnet sich. Denkt man an die Kollegen in der Zentrale, sieht man eine Masse gleichförmiger Klonkrieger, grimmig, grausam, maulfaul.

Als junger Mann meldete ich mich einmal für einen Botengang in die Zentrale der «Rheinischen Post» nach Düsseldorf. Ich wollte mich selbst von den Zuständen dort überzeugen und bei der Gelegenheit den einen oder anderen wichtigen Redakteur so vollschleimen, dass mir ein persönlicher Vorteil entstehe. Nach eineinhalbstündiger Fahrt mit meinem Käfer erreichte ich das Verlagsgebäude, einen schmucklosen Industriebau weit vor den Toren der Stadt. Ich parkte, meldete mich bei einem lustlosen Pförtner, fuhr mit dem Aufzug und fand das Büro des Chefs vom Dienst, dem ich einen Umschlag mit einem Foto vom Hochwasser in Schenkenschanz übergeben sollte. Michael Hamerla, so hieß der Mann, murmelte etwas, was man mit viel Phantasie als «Danke» interpretieren konnte. Dabei blickte er noch nicht einmal auf. Mein Gott, die Zentrale hatte gewonnen.

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