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NACH HAUSE

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Frank öffnete die Augen.

Er atmete schwer, als er Violine und Bogen sinken ließ. Marthe massierte ihre rosaroten Handflächen. Tränen ließen Eckerds Wangen glänzen. Frank stutzte. War er so gut gewesen? Es musste so sein. Er verneigte sich tief vor dem Publikum vor ihm und in ihm, dann kletterte er vom Tresen wie von einer morschen Dachbodenleiter.

»Das war der Wahnsinn. Ich hab’s wirklich vor mir gesehen. Eine ganze Philharmonie. Tolle Leute. Wie war ich? Ganz ehrlich.«

Eckerds Ärmel tupfte Tränen. »Ich hatte noch nie so eine Gänsehaut.«

Franks Erwartung hechelte hinüber zu Marthe, die sie mit einem bombastischen Lächeln fütterte. Es passte nicht zu ihren müden Augen.

Eckerd trat hinter den Tresen und legte einen Arm um sie. »Maestro, wollen Sie nicht Ihre allergrößte Verehrerin nach einem harten Arbeitstag verabschieden?«

Frank machte einen Kratzfuß. »Natürlich! Wie grob von mir. Gute Nacht, Schöne.«

Marthe machte einen Knicks, umrundete die Bar und stieg die Stufen im Schatten der Bar hinauf. Frank sah ihr nach.

»Das war so groß! Tausend Dank, Eckerd. Jetzt weiß ich, wofür ich meine Eier lassen musste.«

Mehr Tränen liefen über Eckerds Wangen.

»Wunderbar, dass du das so sehen kannst.«

Frank machte betroffen, dass seine Darbietung Eckerd offensichtlich tieftraurig gemacht hatte. Wahrscheinlich hatte sie lange verschüttete Emotionen in ihm aufgewühlt, die er erst noch verarbeiten musste. So etwas konnte passieren. Und auch wenn Frank sich nicht freute, dass Eckerd traurig war, freute es ihn über alle Maßen, dass sein Spiel eine solche Wirkung hatte.

Eckerd stellte ein frisches Bier auf den Tresen und schaute zu, wie Franks Adamsapfel von innen gegen seinen dürren Hals boxte, während er trank. Sie schwiegen eine Weile, wobei Frank nicht entging, wie sehr es in Eckerd arbeitete.

»Worüber denkst du nach?«

»Nur mal für einen Moment, ganz hypothetisch. Was ist, wenn es nicht klappt? Wenn aus dir kein Solist wird?«

»Das wäre, also ob mir tausend Eier auf einmal abgeschossen würden. Aber das wird nicht passieren. Meine Musik hat den Menschen so viel zu geben. Das ist meine Aufgabe. Ich bin monogam, quasi. Ich brauche nichts anderes.«

Eckerd schnäuzte in ein Küchenpapier. »Das hast du sehr schön gesagt. Und zur Not kannst du ja wieder machen, was du bisher gemacht hast.«

»Dass ich extra scheiße spiele, bis mich jemand bezahlt, dass ich abhaue? Wie soll das gehen, nach heute? Ich werde Menschen begeistern. Wie heute Abend. Heute war der Anfang. Und den hast du mir geschenkt, Eckerd. Und Marthe. Ich bin euch so dankbar, dass ihr aus mir herausgeholt habt, was immer schon in mir war.«

Eckerd lehnte sich über den Tresen, nah an Frank heran. »Vielleicht gibt es ja noch ganz andere Perspektiven, an die du noch gar nicht gedacht hast, falls es nicht klappt.«

Frank kippte sein Bier hinunter und setzte das Glas hart auf. »Zerbrichst du dir nicht ein bisschen sehr meinen Kopf?«

»Entschuldigung. Ich dachte nur, vielleicht hast du bald eine heiße neue Freundin oder so?«

»Wie denn, ohne Eier?«

»Was ist mit Freunden?«

»Ich hab’s nicht so mit Freunden. Ich glaub, ich war denen immer zu kreativ. Künstler sind einsame Wölfe. Wo soll die ganze Inspiration sonst auch herkommen.«

»Was ist mit deiner Familie?«

»Tot. Man kann ja nicht alles haben.«

»Aber du hast nichts.«

Frank zuckte mit den Schultern.

»Stimmt. Ich bin wie mein Schwanz. Allein, ganz ohne Eier. Da ist nur meine Musik. Was hältst du davon: Ich komme ein- oder zweimal die Woche und spiele hier für deine Gäste. Mach ich ganz umsonst, dann kann ich nebenbei noch ein bisschen üben. Allein üben ist nämlich doof. Wie wäre das?«

Eckerd schien das Gesagte verarbeiten zu müssen.

Frank bettete seine Violine in den alten Koffer, legte den Bogen dazu und streichelte darüber, schloss behutsam den Deckel und ließ die Verschlüsse zuschnappen, dass es ledrig klackte. »Kannst du ruhig annehmen. Muss dir nicht unangenehm sein.«

Eckerd fuhr die Maserung des Tresens mit einem Finger nach.

Frank griff sich den Geigenkoffer. »Na ja. Dann werd ich mal gehen. Morgen wird vorgespielt.«

Eckerds Miene formte ein zuversichtliches Lächeln. »Soll ich dich ein Stück begleiten?«

»Wirklich?«

»Ehrensache. Warte kurz.«

Eckerd tauchte ab und begann in den Fächern unter dem Tresen zu kramen. Frank stützte sich auf seine Ellenbogen. So eine große Vorstellung war anstrengend. Er beobachtete, wie Eckerds Hand immer wieder auftauchte und allerlei Dinge auf dem Tresen parkte. Sein schlauer, mitfühlender Freund Eckerd. Frank spürte, wie sich sein Gesicht erwärmte. Falls er nach einem Geschenk für ihn suchte, würde ihn das zutiefst beschämen.

Eckerd murmelte unter dem Tresen vor sich hin. »Er hat nichts. Er wird nichts haben. Gar nichts.«

Dann tauchte er wieder auf und sah Frank an. Es machte ihn unsicher.

»Was ist?«

»Du hast keine Chance, nur ein halbwegs passabler Geiger zu werden.«

»Danke! Das tut gut, dass gerade du das sagst. Mittelmaß geht für mich auch überhaupt nicht. Ich steige ganz oben ein, versprochen.«

Eckerd kam um den Tresen herum. »Du glaubst das wirklich, oder? Hast du nie Zweifel?«

Frank hielt Daumen und Zeigefinger ganz nah aneinander. »Nur noch ein winziges Stück zum Glück.«

Eckerd senkte den Kopf zu einem Nicken, dass man die Tränen nicht sah, die aus seinen Augenwinkeln liefen. Er rieb sich mit dem Ärmel durchs Gesicht, als ob es juckte. »Gehen wir?«

»Sehr gern.«

Frank schritt Richtung Ausgang. Er fühlte sich leicht. Er straffte sich, als er seinen zielgerichteten Gang in der Reflexion eines antiken, fleckigen Spiegels am Rande der Tanzfläche entdeckte. Das war der Aufbruch. Hinter sich sah er seinen großartigen neuen Freund Eckerd, der ihm nachkam, um ihn zu begleiten. Ein Schauer durchfuhr ihn. Eckerd hatte geweint. Und Marthe hatte geklatscht. Und gelächelt. Ein besserer Moment konnte kaum mehr kommen. In dem alten, fast stumpfen Spiegel sah Frank, wie Eckerd hinter ihm den Arm hob.

Es krachte.

Ein schönes, trockenes Krachen, wie von lange abgelagertem Holz, und es schien von überallher zu kommen. Als ob der Kasten barst, durch dessen kleine Ritzen seine Inspiration bisher zu ihm sprechen musste. Jetzt hatte er sie auf einmal ganz. Goldglitzernde Funken sprühten aus unbekannten Räumen hinter seinen Augen in sein Blickfeld und nahmen ihm die Sicht auf jede Beschränktheit. Die Kiste seines Bewusstseins erweiterte sich zu einer Halle von schwindelerregenden Ausmaßen, viel größer als sein Ziel, das plötzlich winzig wurde.

Es verblasste immer mehr, und es war in Ordnung. Als ob er eine Stufe übersprungen hatte. Als ob er längst alles hatte, nach dem er strebte.

Frank war, weil er war, und nicht, weil er etwas sein wollte.

Es würde offen bleiben müssen, ob aus ihm ein großer Violinist geworden wäre.

Aber wenn er ganz ehrlich zu sich war, hatte er nie gerne geübt und war froh, es nie wieder tun zu müssen.

Frank war frei.

Von Herzen

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