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BALTHASAR

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Pfarrer Balthasar war lange Opfer seiner Gier gewesen. Jetzt war er ihrer endlich Herr geworden. Er hatte es geschafft, ihre negative Energie – Gier war bekanntlich eine Todsünde – in etwas Positives zu verwandeln.

In Vorfreude.

Seitdem hatte er viele Pfunde abgenommen und fühlte sich schon deutlich agiler als vorher, obwohl es noch einige Zeit dauern würde, bis er sein Ziel, dass sein Gewicht in den Messbereich seiner Waage kam, erreicht haben würde. Aber auch so war er stolz. Nur ein bisschen natürlich, denn Stolz war schließlich nicht besser als Gier.

Eckerd kuppelte aus, stoppte den penetrant knatternden Zweitakter seines Kleinsttransporters und ließ sich fast lautlos die leicht abschüssige Straße hinunterrollen. Ein paar Häuser vor einer Kreuzung lenkte er auf eine Auffahrt, um zwischen zwei überfüllten Müllcontainern zu bremsen. So, wie der rote Minilaster jetzt stand, waren die Logos des Von Herzen an den Seiten des Kastenaufbaus nicht zu sehen. Eckerd stellte einen Müllsack vor das Kennzeichen, schlug den Kragen hoch, überquerte die Straße und ging über einen hübsch angelegten Vorplatz auf eine rußgraue, gotische Kirche zu.

Hinter der Pforte zwängte Eckerd ein Bündel Scheine in den Opferstock, schlich gesenkten Blickes in großem Bogen um den Altar, bekreuzigte sich mehrmals, um nach dem geräuschvollen Einwurf von viel Hartgeld eine komplette Reihe Kerzen unter Mutter Marias Statue anzuzünden. Dann blickte er in die Flammen. Es dauerte, bis sein Atem sich beruhigte.

Die Vorfreude war wie eine Fürbitte. Jeden Tag wollte sie aufs Neue gehalten werden, am besten in Klausur. Balthasar hatte sich in seinen Lieblingsbeichtstuhl zurückgezogen, um ihr zu huldigen. Er wickelte die siebzig Zentimeter Croque, die er im Laden vor dem Halbieren gerettet hatte, auf den Knien aus und beugte sich so tief, wie es seine Fülle gestattete, um den Duft von Zwiebeln, Remoulade, knusprigem Bacon, gekochtem Ei, saftigem Schinken, Salat, Gurken, Tomaten und geschmolzenem Käse auf knusprigem Brot zu inhalieren. Früher hätte er seine Zähne gedankenlos hineingeschlagen und nicht aufgehört zu schlingen, bis die siebzig den Schlund hinuntergezwängt waren. Wie wenig Genuss damals geblieben war! So wenig, dass er an schlechten Tagen gleich wieder in den Laden zurückgekehrt war, um das Ganze zu wiederholen – mit dem Vorsatz, diesmal auf die Aromen zu achten, wenn er sie brutal an seinen Geschmacksknospen vorbeizwang –, nur um am Ende resigniert festzustellen, dass er sich wieder nur aufs Schlingen konzentriert hatte.

Doch nun war alles anders. Seine knusprige, schlanke Freundin lag duftend auf seinen Knien. Sie freute sich, genossen zu werden, und er freute sich auf sie.

Umso ärgerlicher war das Knarzen, das Balthasar signalisierte, dass ein Sündenfälliger die andere Seite des Beichtstuhls betreten hatte. Die Breite des Schattens, der an dem stoffbespannten Sprechgitter vorbeizog, legte nahe, dass es ein Mann war. Das zweite Knarzen war ein hölzernes Ächzen und signalisierte, dass der Sündenfällige, der sich nun gesetzt hatte, recht schwer war.

Balthasar führte das Croque dicht an der Nase vorbei und nahm einen tiefen Zug.

»Was kann ich für dich tun, mein Sohn?«

»S-segne mich, Vater. Ich habe gesündigt.«

»Erleichtere deine Seele, mein Sohn.«

Eckerd räusperte sich. »Ich … ich bin der Sohn eines Schweinebauern.«

»Das ist eine ehrbare Profession, mein Sohn.«

»Mein Großvater war auch Schweinebauer.«

Balthasar verschob einige Zwiebelringe auf den Tomaten, bis sich ein Muster ergab.

Toll. Olympiaringe.

»Tradition ist eine seltene und wertvolle Tugend in diesen Tagen, mein Sohn.«

»Wir keulen Schweine, seit Generationen.«

Balthasar zog ein Stückchen Bacon unter einer Gurke hervor und leckte die Remoulade ab. »Mein Sohn, der Akt des Schlachtens mag in diesen modernen Tagen archaisch wirken, aber er ist immer noch unverzichtbar. Wir alle müssen essen. Wie zu lesen ist im ersten Buch Mose, Vers achtundzwanzig, Machet euch die Erde untertan …«

Eckerd beendete das Zitat. »… und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.«

»Oh … wie wunderbar, dass ein bibelkundiger Christ meinen Rat sucht. Aber, mein Sohn … da gibt es eine wichtige Einschränkung.«

Eckerd knetete sich nervös die Hände. »Und die wäre?«

»Das Töten ist nur in Einheit mit dem Willen des Herrn, wenn es in vollstem Respekt vor der lebenden Kreatur geschieht. Nur dann.«

»Das kann ich garantieren. Ich habe geweint.«

»Das musst du nicht. So ist die Natur.« Balthasar wickelte Ei, Tomate, Remoulade, Gurken, Zwiebeln und Bacon in den gekochten Schinken, der darunterlag. Kein Knuspern verriet ihn, als die Remoulade unter seinem Biss aus dem fleischigen Paket quoll. Balthasar verdrehte lustvoll die Augen.

Die Stimme des Mannes klang brüchig. Der Arme schien mit den Tränen zu kämpfen. »Was ist mit Menschen?«

Balthasar drückte den Bissen mit der Zunge in die Backentasche, um sprechen zu können. »Menschen?«

Eckerd krächzte. »Ja, Menschen

»Also, es sollte wohl im Sinne der Menschen sein, wenn es im Sinne des Herrn ist, oder nicht? Oder findest du etwa keine Frau, die den Weg des Versorgers mit dir teilen möchte? Das kann bei den jungen Damen heute schwierig sein.«

»Nein, das ist kein Problem.«

Balthasar schluckte den Speichel, der sich in seinem Mund gesammelt hatte. Schließlich konnte er nicht anders, als den wunderbaren Ball in seiner Backentasche hinunterzuschlucken, ohne seine Geschmäcker zu würdigen. Er spürte Ärger in sich aufsteigen.

»Nun dann, mein Sohn, das war jetzt nicht so schwer, oder? Geh mit Gott und tue, was immer er dir sagt, das du tun sollst.«

Eckerd nickte, aber er stand nicht auf. »Sollte ich nicht Buße tun?«

Der Duft des Croques fraß Balthasars Geduld.

»Wenn du unbedingt musst … Schaden wird es nicht. Ein Vaterunser pro … wie sagt man … Akt sollte dem Herrn genug sein.«

»Hochwürden, darf ich Sie noch bitten, mir die Absolution zu erteilen?«

Balthasar konnte förmlich fühlen, wie labberig das Brot nach der Absolution sein würde.

»Ich sehe nichts, wofür du eine Absolution erhalten müsstest. Du hast nichts Unrechtes getan. Gehe weiter deinen Weg! Tue den Menschen Gutes! Füttere sie! Augenscheinlich hat dich der Herr dazu auserkoren, mein Sohn. Mach es im Sinne des Herrn, und du stehst unter seinem höchsteigenen Schutz.«

»Danke Vater. Vielen Dank!«

Balthasar hörte das dritte Knarzen, das ihm sagte, dass der Mann aufstand. Er synchronisierte den ersten, tiefen Biss in das Croque mit dem vierten Knarzen, das unweigerlich entstand, wenn man auf die Schwelle des Beichtstuhls trat, um ihn zu verlassen. Seine Geschmacksknospen feuerten Myriaden von Signalen, die ihn schwindlig werden ließen. Er konnte spüren, wie der Rhythmus seines Kiefers seinen Magen anstachelte, reichlich Saft für kommende Aufgaben einzuleiten.

Ein seltenes, fünftes Knarzen ließ Balthasar innehalten. Der Mann kam zurück. Kein sechstes Knarzen. Offensichtlich hatte er nicht vor, sich wieder zu setzen.

»Hochwürden, Sie sagten, ich sei … darf ich das so sagen … auserkoren? Ich stünde unter dem Schutz des Herrn. Heißt das, er hat einen Auftrag für mich? So etwas wie eine Mission?«

Balthasar würgte den Bissen wütend hinunter. »Eine Mission? Wenn du es so sehen möchtest, bitte.«

»Wirklich?«

»Ja. Ja, du hast eine Aufgabe von Gott. Glückwunsch.«

Eckerd verrieb Tränen mit dem Handrücken. »Ich danke Ihnen, Hochwürden. Ich werde ihn nicht enttäuschen.«

»Einen wundervollen und heiligen Tag, mein Sohn.«

Balthasar lauschte dem erneuten Knarzen der Schwelle und den verhallenden Schritten. Er fühlte sich gut. Er hatte diesem netten und bescheidenen Christen einen klaren und pointierten Rat gegeben. Und er hatte sich dabei demütig selbst kasteit, wie sich das für einen Gottesdiener gehörte. Dafür durfte er sich jetzt weidlich belohnen.

Eckerd trat aus dem kalten Schatten der Kirche in die warme Morgensonne.

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