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FLEISCH

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Schweigend warteten sie im Dunkel der Küche, hörten dem Sirren der mannshohen Kühlschränke zu, dem Kanon ihrer Kompressoren, die ab einer bestimmten Kälte scheppernd erstarben, um bald darauf gequält wieder anzuspringen.

Lolita lehnte an dem Regal, das die Küche vor Blicken durch die Bullaugen der Doppelschwingtür schützte. Marthe kauerte auf der Anrichte neben der offenen Durchreiche, durch die sich auf Umwegen ein kleines bisschen Mittagssonne verirrte, und Raphael saß auf einem Servierwagen im Schatten. Alle starrten auf den Toten in ihrer Mitte, der immer noch selig lächelte, als ob ihm ihre Gesellschaft gefiel.

Marthe stand auf und umkreiste Frank, dann schob sie ihre Hände unter seinen Kopf. Unter der Kopfhaut ließen sich Stücke der Schädeldecke unter leisem Schaben gegeneinander verschieben. Raphael würgte leise. Marthe kehrte zu ihrem Platz zurück.

Nach endlosen, schalen Minuten hob sich ein Pfeifen aus dem Gemenge der hereindringenden Straßengeräusche. Es gewann an Kontur, nachdem die Eingangstür lautstark aufgestoßen wurde, und wurde penetrant, als es hinter der Küchenschwingtür vorbeizog. Kurz darauf trat es wieder in den Hintergrund und brach ab.

»Hallo?! Jemand da?«

Niemand hatte Lust zu antworten. Eckerds Kopf erschien hinter Marthe in der Durchreiche.

»Da seid ihr ja.«

Das Pfeifen wanderte den Weg zurück, bis die Küchentüren aufgestoßen wurden und Eckerd eintrat, als ob eine frohe Botschaft zu verkünden wäre. Er schaltete das fahle Deckenlicht ein und schaute gut gelaunt in die düstere Runde. Niemand grüßte. Nur Frank sah aus, als ob er sich freute.

»Ah. Genau darüber wollte ich mit euch reden.«

Lolita stellte einen Pumps an das Regal hinter sich und verschränkte die Arme, Marthe hatte die Augen zu wütenden Schlitzen zusammengekniffen. Raphael beugte sich auf dem Servierwagen weit nach vorn.

»Wie kommst du dazu, mir eine Leiche ans Bett zu legen?! Ich hätte einen Herzinfarkt bekommen können! Seine ganze Pisse ist in meinem Bett!«

»Auf der Tanzfläche hätte Frank zu Missverständnissen führen können. Jedenfalls dachte ich das. Jetzt weiß ich, dass es egal ist.«

»Egal? Gott, der Typ ist tot! Wie kann das egal sein?!«

»Es ist nicht egal, dass er tot ist. Wo er liegt, ist egal.«

»Es ist egal, also landet die Leiche an meinem Bett?!«

»Frank in die Küche zu legen, machte am meisten Sinn, ja. Wie kam es, dass er dir ins Bett gemacht hat?«

»Es ist aus ihm herausgelaufen!«

»Ah.«

Lolita zündete eine Zigarette an und inhalierte tief, nach einer langen Pause atmete sie aus.

»Warum musste er sterben?«

»Sehr gute Frage! Frank hat sich nichts sehnlicher gewünscht, als ein großer Violinist zu sein. Aber er wäre unter gar keinen Umständen zu einem Punkt gekommen, an dem sein Spiel irgendjemandem Freude gemacht hätte, geschweige denn, dass er ein großer Solist geworden wäre. Es war ihm einfach nicht gegeben. Könnt ihr euch vorstellen, wie wahnsinnig traurig das ist, einen Lebenstraum zu haben, der absolut unerreichbar ist?«

Raphael hob ein unsichtbares Glas. »Willkommen im Club, Frank. Einem sehr großen Club. Aber wie schlägt man jemandem bitte derart den Schädel ein?«

»Mit der Keule meines Großvaters. Es geht blitzschnell. Sieh ihn an. Er hat nicht leiden müssen. Er hatte niemanden auf der Welt und seinen sehnlichsten Herzenswunsch konnte er nicht ansatzweise erreichen.«

»Wie kannst du dir da so sicher sein?«

»Ein Mensch kann nichts werden, wenn es ihm nicht von Gott gegeben ist. Und ihm war es in keinster Weise gegeben zu erkennen, wo er im Leben stand und welche Chancen er hatte. Es war furchtbar. Du hast doch gehört, wie er spielt.« Eckerd sah traurig aus.

Raphael musste lachen. »Wenn du alle keulen willst, die dieses Problem haben, wirst du ganz schnell einen Tennisarm bekommen.«

»Über so was macht man keine Witze! Der arme Frank tut mir in der Seele weh! Gerade von dir habe ich gedacht, dass du das nachempfinden könntest. Aber vielleicht bist du einfach zu selbstbezogen.«

»Ich? Selbstbezogen?! Bei dem, was ich habe?!«

»Bei dir ist das doch was ganz anderes.«

»Ach ja?!«

»Du hast eine Aufgabe. Du hast Freunde. Du hast Talent. Er hatte nichts davon.«

Raphael war es nicht bewusst, aber er saß auf einmal viel aufrechter. Eckerd sah in die Runde. Er sah Trotz und Wut, aber niemand widersprach. Er wandte sich an Marthe.

»Du warst doch gestern dabei, als er sich abgemüht hat.«

Marthe schaute Eckerd in einer Weise an, dass Raphael Angst bekam, aber Eckerd ließ sich nicht beirren.

»Wir konnten ihm gestern den besten Moment seines Lebens schenken. Für uns war er ein großer Violinist. Er war so unglaublich glücklich. Das war er doch, oder?«

Raphael hatte Angst, dass Marthe gleich aufspringen und ein Messer in Eckerd rammen würde. Eckerd sah jedem nacheinander tief in die Augen.

»Ihr hättet sehen sollen, wie glücklich er war.«

Raphael äffte Franks Grinsen nach. »Sieht man doch.«

Lolita hockte sich an Franks Kopfende. Sein Hinterkopf lag wirklich seltsam flach auf der Platte.

»Also hat er dich darum gebeten, dass du ihm den Schädel zertrümmerst?«

»Ich habe es ganz genau gefühlt. Ich bin mir noch nie so sicher gewesen.«

Raphael massierte sich die Schläfen. »Und wohin jetzt mit ihm?«

Eckerd zeigte auf Raphael. »Sehr guter Punkt! Wie schenken wir Frank einen letzten großen Auftritt? Ich finde, er hat ein großes Finale verdient.«

Raphael schnaubte verächtlich. »Wir stopfen ihm einen Apfel ins Maul und machen Frankferkel aus ihm.«

»Zynisch formuliert, aber gut.«

»Das war n Witz.«

»Das ist perfekt!«

»Also zerlegen und braten.«

»Kürzer hätte ich es nicht fassen können.«

»Und dann servieren.«

Eckerd wirkte ergriffen. »Ich wusste, dass du es verstehst. Du hast erkannt, auf was für eine wunderbare Weise das Sinn macht! Der Einsame geht auf in den anderen Einsamen. Menschen, die er mit seiner Kunst nicht beglücken konnte, beglückt er mit sich. Das ist tief, oder? Gott will abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein. Das ist aus der Offenbarung. Einundzwanzig vier.«

Raphaels Stimme kippte in Hysterie. »Das war ein Witz! Ich werde definitiv keinen Mann zerlegen! Schon gar nicht einen so hässlichen! Das ist total unästhetisch.«

»Wir wissen doch alle, wie fantastisch du kochen kannst.«

»Das ist krank.«

»Du hast es doch vorgeschlagen. Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm. Okay, das ist ein bisschen hoch gegriffen, weil das Jesus gesagt hat, aber du siehst, wer schon damals den Gedanken hatte. Ist übrigens Johannes sechs sechsundfünfzig.«

»Nein!«

Eckerd dachte nach, dann nickte er schwer und entschlossen. »Wie immer ist hier alles freiwillig. Du kannst gehen, wenn du das möchtest. Aber dann bitte jetzt, auch wenn es mir furchtbar leidtäte.«

Raphael sprang von dem Servierwagen und trat direkt vor Eckerd ins Licht. Sein Gesicht war ledrig verschorft mit Rissen, in denen das Rohe darunter zu sehen war. Die wenigen nicht betroffenen Stellen waren feuerrot vor Aufregung.

»Du weißt genau, dass man mich sofort erkennen würde!«

Lolita hatte sich wieder an das Regal gelehnt. »Warum tust du dann, als ob du eine Wahl hättest?«

»Dann mach du es doch!«

»Bin ich Koch?«

»Ich werde keinen Menschen zerteilen!«

Ein scharfes, metallisches Hacken ließ sie alle zusammenfahren.

Marthe hielt ein Küchenbeil. Alle starrten auf Franks Hand, die sauber getrennt vor dem Armstumpf lag.

Raphael sank zitternd zurück auf seinen Servierwagen und verbarg sein Gesicht in den Händen.

»Oh Gott. Wir wandern alle in den Knast.«

Lolita zündete sich eine Zigarette an.

»Sagtest du nicht mal, du magst es da?«

»Die töten mich da, so wie ich aussehe. Wir gehen alle in die Hölle.«

Eckerd wirkte größer.

»Der gute Markus sagte schon, alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. Wir gehen nirgendwo hin. Nicht ins Gefängnis, nicht in die Hölle. Wir sind von ihm beschützt, denn das, was wir tun, ist, was er will.«

»Das glaubst du doch selbst nicht.«

»Klar glaube ich das. Aber das Beste ist: Ich weiß es. Also wollen wir, bevor er verdirbt?«

Raphael schlug auf das Blech des Servierwagens ein.

»Scheiße! Aber wir machen das nie, nie wieder! Versprich, dass das nie wieder vorkommt!«

»Wollen wir?«

Lolita blies Rauch aus.

»Hatten wir uns nicht geeinigt, dass ich meinen Teil zahle und dafür keine Küchendienste leiste?«

»Es ist alles freiwillig hier. Aber ich fände es furchtbar, wenn wir dich verlieren. Andererseits: Was du tust, kannst du auch woanders tun. Aber es ist das Letzte, was ich möchte.«

Lolita hob stolz den Kopf.

»Was soll mit den Knochen passieren?«

Eckerd wandte sich zum Gehen.

»Das überlasse ich eurer Kreativität.«

Raphael konnte nur noch krähen. »Du gehst

»Das war ein gewaltiger Tag heute. Ich muss mich sammeln.«

Sie starrten Eckerd hinterher, bis Marthes nächster Hieb sie zusammenzucken ließ. Franks Fuß stand neben seinem Bein.

Frank lächelte.

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