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DIEB UND DIEBIN

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»Ferien für die Füße! Zwei Paar zum Preis von einem! Wunderschöne Flip-Flops in Hammerfarben, für jede Gelegenheit, in allen Größen!«

Klara fröstelte, rieb sich Arme und Beine. Der Winter war gerade erst vorbei, es wurde schlagartig kalt, sobald die Dämmerung einsetzte. Sie saß auf einer quietschbunten Decke, hatte ihre Ware fein säuberlich um sich herum ausgebreitet und sprach Passanten an, die auf dem Weg nach Hause an ihr vorbeieilten.

»Nur zwei fünfzig das Paar! Bombenqualität! Ganz weich! Damit laufen Sie bis ans Ende der Welt!«

Niemand blieb stehen.

Für Paul war es ein guter Nachmittag gewesen. So schrecklich, wie er aussah, hatte er genug Mitleid erregt, um das Geld für die Reinigung seiner Uniform zusammenzubekommen, und sie abgegeben. Allerdings schrie sein ausgemergelter Körper wieder nach Nahrung, als ob er von innen aufgefressen würde.

Ich hätte nichts essen sollen. Essen macht Hunger.

Am Anfang der ganzen Misere hatte Paul bei einer Obdachlosentafel gegessen. Beim zweiten Mal hatte ihn eine Frau an der Essensausgabe erkannt, mit dem Finger auf ihn gezeigt und sich geweigert, ihm was zu geben. Paul hatte versucht, sie zu beschwichtigen, woraufhin sie so einen Aufstand gemacht hatte, dass ihm die anderen auch nichts mehr geben wollten. Am nächsten Tag hatte Paul sich verkleidet und wieder in die Schlange gestellt, als plötzlich zwei Syrer hinter ihm begannen, hektisch miteinander zu flüstern und sich ständig über die Schultern zu sehen. Sie waren ihm unheimlich gewesen, weil er kein Wort verstanden hatte, und er war beruhigt, als sie kurz darauf verschwunden waren. Stattdessen standen nun zwei dicke Deutsche hinter ihm, die ihn zwei Sekunden später verprügelten, weil er ihnen nicht sofort Platz gemacht hatte.

Von da an war Paul nicht mehr zur Tafel gegangen.

Gedankenversunken wäre er beinahe ins Blickfeld des Golems gelaufen, aber er hatte ihn gerade rechtzeitig gesehen und sich versteckt, um zu sehen, wie der »Handel mit Waren aller Art« lief. Paul musste zugeben, dass Klara alles richtig machte. Sie war motiviert, fantasievoll und sprach die Leute gut an. Aber niemand schien Interesse an bunten Schlappen an einem kalten Frühlingsabend zu haben. Vielleicht sah sie auch einfach zu schräg aus.

Sehr gut. Das heißt, dass sie bald abhaut.

Paul wusste genau, dass die großen schwarzen Spinnenaugen ihn beobachteten. Er wusste genau, dass sie sahen, wenn er in einen ihrer Gänge eintrat und was er da machte. Und er wusste genau, wann er in ihren toten Winkel eintrat. Und da er nur etwas nahm, was darin lag, hatten die Spinnenaugen an der Decke des Supermarktes Paul bisher unbehelligt Nahrung stehlen lassen. Genau an der richtigen Stelle löste er den Klettverschluss an der Seitentasche seiner viel zu warmen Winterjacke, um ein paar Schokoriegel hineinfallen zu lassen.

Jetzt war er genau einer der Typen, die er früher hochgenommen hätte. Aus ihm war ein armseliger Heuchler geworden, ein Pharisäer, der minütlich die Prinzipien mit Füßen trat, für die er früher gelebt hatte.

Heuchelei. Ein Punkt auf deiner langen Warum-ich-mich-töten-will-Liste.

Paul brauchte nicht hinzusehen. Er wusste, dass er gerade in das Blickfeld des nächsten Spinnenauges eintrat. Der Adjutant der Spinne streunte durch den Parallelgang und empfing Spinnenbefehle über einen Knopf in seinem Ohr. Paul umrundete das Ende des Ganges und trat in den nächsten. Er hätte zu gerne eine Jumbotüte Chips mitgehen lassen.

Zu groß, zu laut.

Eine Frau mit einem quengelnden Kind kam ihm entgegen.

Mist!

Um unbehelligt stehlen zu können, war ein leerer Gang vonnöten. Dafür würde Paul einen weiten Bogen laufen müssen, und so, wie er aussah, kreidebleich mit verklebtem Vollbart und einer Kappe tief im Gesicht, zöge er die Aufmerksamkeit des Spinnenadjutanten auf sich.

Dann fiel Paul auf, dass die Frau nur auf ihr Kind einredete, als ob es quengelte. Sie ließ sich Zeit, studierte die Inhaltslisten auf den Produkten, um plötzlich aus heiterem Himmel mit ihrer Tochter zu schimpfen, die nichts Besonderes tat oder sagte. Während jeder ihrer Tiraden beugte sie sich zu ihr hinunter und ließ ein Produkt in ihre große Handtasche fallen. Schlau. Aber sie war kurz davor, in die nächste Spinnenaugenzone zu treten. Paul ging auf sie zu. Hätte er nicht einen Blick dafür, wäre ihm entgangen, dass sie drei weitere Teile eingesackt hatte, bis er in ihrer Nähe war. Er trat seitlich neben sie, nickte zur Decke und murmelte vor sich hin, als ob er ein Selbstgespräch führte.

»Sie sind im Sichtfeld der Kamera da drüben. Aber die hintere Hälfte des Ganges liegt im toten Winkel. Das ist bei den anderen Gängen auch so. Und Achtung vor dem Mann in der schwarzen Jacke. Das ist der Sheriff hier.«

Sie musterte ihn von der Seite, dann flüsterte sie auch. »Wow. Das ist aber … nett. Wissen Sie … ich mach das nur für meine Tochter.«

Das Mädchen sah Paul ausdruckslos an.

»So unter Dieben … Bei wem darf ich mich bedanken?«

»D-Dennis. Mein Name ist Dennis.«

Die Frau schien nachzudenken.

»Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen, Dennis?«

Paul senkte den Kopf. »Ich glaube kaum. Nein.«

Der schwarze Adjutant bog in den Gang ein.

»Die Dame, dürfte ich einen kurzen Blick in Ihre Tasche werfen, bitte?«

Die Frau zeigte mit spitzem Finger auf Paul.

»Wissen Sie, wer das ist?!«

Der Ladendetektiv schaute Paul müde an.

»Nein, aber er kommt öfters mal her.«

»Das ist der Typ aus den Nachrichten!«

Paul hob abwehrend die Hände. Sie baute sich auf.

»Das ist der Perverse! Der perverse Polizist!« Sie wurde schrill. »Dass Sie so einen hier reinlassen! Hier sind Kinder!«

Es war kaum zu merken, aber sie blinzelte dem Mädchen zu. Es begann zu schreien.

Die Frau schrie auch wieder, bis ihre Stimme kippte. »Meine Tochter musste mit ansehen, wie er mich bedroht!«

Der Ladendetektiv drehte Paul nur halbherzig einen Arm auf den Rücken. Pauls steifen Knochen tat es trotzdem weh, er ließ seinen Oberkörper bereitwillig nach unten klappen. Der Adjutant stützte sich auf Paul wie auf einen Tisch.

»Keine Sorge, der tut Ihnen nichts. Darf ich jetzt bitte einen Blick in Ihre Tasche werfen?«

Die Frau blinzelte. Das Kind schrie.

»Verhaften Sie ihn! Sehen Sie nicht, dass meine Tochter einen Schock hat?! Der ist gefährlich! Schauen Sie keine Nachrichten?!«

Der Ladendetektiv drehte Pauls Arm in die entgegengesetzte Richtung, was seinen Oberkörper nach oben klappen ließ. Er musterte ihn.

Die Frau setzte nach. »Stellen Sie ihn sich ohne Bart vor.«

Die Augen des Ladendetektivs weiteten sich. Diesmal drehte er Paul den Ellenbogen mit erbarmungsloser Härte ins Kreuz. Paul klappte ab.

»Entschuldigen Sie bitte. Ich kümmere mich um ihn.« Er stieß Paul unnötig brutal zum Hinterausgang.

Verdreht, wie er war, konnte Paul sehen, wie die Frau noch mehrere Tüten Lakritz mitgehen ließ, während sie ihnen folgte.

»Wegsperren müssen Sie das Schwein! Wegsperren!«

Der Ladendetektiv stieß die Tür des Hinterausgangs auf. Die Frau rauschte mit ihrer Tochter an ihnen vorbei nach draußen.

Der Ladendetektiv stieß Paul hart aus der Tür, sodass er über seine eigenen Beine stolperte. In Zeitlupe sah er den Asphalt auf sein Gesicht zukommen. Dann kam der Schmerz. Und die Schokoriegel, die der Aufprall aus seiner Tasche schleuderte. Der schwarze Adjutant trat hart zu.

Paul hatte ihn zu oft freundlich gegrüßt.

Von Herzen

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