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TOD

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Ein ohrenbetäubender Knall.

Paul zuckte heftig zusammen. Adrenalin schoss in seine Blutbahn. Seine Haut wurde von tausend Nägeln durchstoßen. Er rang nach Luft. Hielt sie an.

Stille.

Ein ohrenbetäubender Knall.

Der zweite Knall quälte ihn dahin zurück, wo er nicht sein wollte, in die Realität. Ließ ihn die Augen aufreißen. Licht fraß sich in seine Sehnerven. Er schwamm in eiskaltem Dunkelrot, in seinem Blut. Er presste die Lider aufeinander. Flecken tanzten dahinter. Stille.

Ein ohrenbetäubender Knall.

Panik überfiel ihn, Paul sprang auf, ohne Gleichgewicht, rutschte aus, schlug mit dem Knie hart auf den Wannenboden. Schmerz schoss in seinen Schädel, mit dem er kurz darauf auf den Wannenrand krachte. Mehr Schmerz. Mehr tanzende Flecken.

Paul schrie. Er kämpfte sich hoch, stand irgendwie. Stand und öffnete die Augen, sah alles schwammig und krumm, als hätte man ihm eine Qualle über den Kopf gestülpt.

Am Ausgang des Waschraums, genau da, wo er letzte Nacht gestanden hatte, lehnte der Tod. So schmal und mickrig er war, er ließ Pauls Lungen dennoch krampfen. Es fror ihn bis ins Mark. Fast verlor er wieder das Bewusstsein. Es wäre zu schön gewesen, denn der Tod sprach.

»Du bist ja gar nicht tot.«

Pauls Herz raste, aber nach ein paar grauenvollen Sekunden konnte er sich zwingen, seinem Tod in die Augen zu sehen. Sie waren von klarem Grau und fixierten Paul aus dunklen Höhlen in einem weißen, großen Schädel. Dann sprach er wieder, weich und ein bisschen rau.

»Wie heißt du?«

»W-was?!«

»Wie heißt du?«

Die Qualle um Pauls Kopf löste sich auf. Der Tod. Sein mickriger Tod, er war ein Mädchen. Paul wurde wütend.

»Das geht dich nichts an! Hau ab!«

»Ich bin Klara.«

Tod-Klara sah aus wie zwölf, war wild angezogen, mit Batikshirt, Weste, Schlaghose, gehäkelten Säumen, Jesuslatschen und geknoteten Tüchern, wie ein Hippie, nur dass alles, was sie anhatte, schwarz war. Über ihrem schmalen Körper leuchtete ein flächiges, rundes papierweißes Gesicht, aus dem dunkel umrandete Augen stachen, und aus ihren rabenschwarzen, kinnlangen Haaren standen zwei leuchtend weiße Ohren bemerkenswert weit heraus. Die einzige Farbe an ihr war das blasse Blau ihres schmalen Mundes, der gerade verbindlich lächelte.

Pauls Hirn summierte.

Sie sieht aus wie ein Golem.

»Ich sagte, du sollst abhauen!«

Golem-Klara machte keinerlei Anstalten.

Paul versuchte, groß auszusehen. »An deiner Stelle wäre ich vorsichtig. Ich könnte gefährlich sein!«

Klara musterte Paul, bis er sich nackt fühlte. »Du siehst aber nicht gefährlich aus, Herr Polizist.«

Paul stieg aus der Wanne und wankte auf Klara zu. »Aber ich bin kein Polizist.« Paul stand mit aufgerissenen Augen vor ihr. »Das sollte dir Angst machen!«

Als daraufhin nichts weiter passierte, zuckte Klara mit den Schultern und ging aus dem Waschraum, zur Vorderseite des breiten Spindschranks, der den Waschraum von der Werkstatt trennte. Paul konzentrierte sich, seine Stimme so tief herunterzuschrauben, dass sie Respekt einflößend klang.

»Also hast du dich gestern auch hier rumgetrieben.«

»Du meinst, als du dich umbringen wolltest?«

»Wer sagt, dass ich mich umbringen wollte? Ich habe nur gebadet«

»Das Wasser ist rot.«

»Und da wolltest du mal zusehen, wie einer verreckt.«

»Gerade hast du gesagt, du hast nur gebadet.«

Ein ohrenbetäubender Knall.

Pauls Kopf wollte explodieren. Ihm wurde schlecht. Er krallte sich an die Kante des Durchgangs.

Ein ohrenbetäubender Knall.

Paul schob seinen heftig pochenden Kopf um die Ecke. Klara stand stabil, holte mit einem schweren Hammer aus, während sie die Spitze eines ellenlangen Dachbalkennagels auf eine der Spindtüren drückte.

Ein ohrenbetäubender Knall.

Der Schlag trieb den Nagel in die Spindtür. Für Paul fühlte es sich an, als ob Klara ihn direkt in seine Stirn geschlagen hätte.

»Verdammt! Was soll das?!«

Ein ohrenbetäubender Knall.

»Scheiße! Lass das!«

Als der peitschende Schmerz in seinem Kopf nachließ, sah Paul das säuberliche Raster von kleinen Kreuzen auf den Spindtüren, auf denen Klara die Nägel jeweils einschlug.

Ein ohrenbetäubender Knall.

Paul musste vor Schmerz würgen, dann nahm er erschrocken zur Kenntnis, dass die meisten der angezeichneten Kreuzungspunkte noch keine Nägel trugen.

»Das ist Sachbeschädigung!«

»Das ist nicht deine Werkstatt.«

»Natürlich ist es meine! Raus hier! Ich bin…«

Ein ohrenbetäubender Knall.

»… zuerst hier gewesen.«

Ein ohrenbetäubender Knall.

Paul stapfte tropfend auf Klara zu und schaffte es irgendwie, ihr den Hammer abzunehmen.

»Was soll das hier?!«

»Das wird mein Lager. Ich deale.«

Paul ruderte wild mit den Armen. »Auf keinen Fall! Und mit was überhaupt? Mit Drogen?«

Klara verdrehte die Augen. Aus einem großen Sack lud sie sich einen Schwung knallbunter Flip-Flops auf den Arm und begann, sie geordnet nach Größen und Farben an die Nägel zu hängen. Paul beobachtete sie dumpf, aber als sie sich die nächste Charge auf den Arm laden wollte, stellte er sich ihr in den Weg.

»Wo hast du die geklaut?!«

Klara hielt Paul das gesprungene Display eines großen Smartphones so dicht vor die Nase, dass es ihn blendete. Er zog den Kopf zurück, bis er zwölfdreiundfünfzig lesen konnte, das Logo einer Kleinanzeigenseite erkannte und schließlich ein Foto von dem riesigen Sack, vor dem er gerade stand. Klara nutzte den Moment und entwand ihm den Hammer.

Paul gackerte. »Und du meinst, dass jemand so billige Plastiklatschen kauft.«

Ein ohrenbetäubender Knall.

Paul stolperte in den Waschraum und übergab sich in die Wanne. Klara hatte mindestens zehn Nägel in die Schrankwand geschlagen, bevor er wieder herauskam. Nass, wie er war, warf er sich auf die nasse Matratze und zog sich ein vollgesogenes Kissen über den Kopf. Es roch widerlich, aber die Nässe machte es so schwer, dass es den Lärm einigermaßen fernhielt. Nach fünf weiteren Nägeln war Paul tatsächlich weggetreten.

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