Читать книгу Von Herzen - Peter Spans - Страница 29
HUBERTINE
ОглавлениеNachdem der Adjutant der Spinne alle Aggression an ihm ausgelassen hatte, war Paul auf dem Asphalt liegen geblieben, um eine Art Systemcheck durchzuführen. Alles tat weh, aber offensichtlich waren keine vitalen Systeme beschädigt.
Steh auf! Du fühlst dich nur so scheiße wie sonst auch.
Er machte sich auf Richtung Werkstatt. Seine Rippen schmerzten von den Tritten, sein Gesicht war um den linken Wangenknochen herum geschwollen, und der trocknende Schorf spannte unangenehm auf den Schürfwunden, aber insgesamt tat ihm das Gehen gut.
Es war völlig anders, wenn man verprügelt wurde, als wenn man es selbst tat. Vielleicht, weil die Geringschätzung in den Schlägen des anderen mehr schmerzte als die Schläge selbst. Wenn man sich selbst schlug, tat es weh, aber es ließ sich besser aushalten. Man wusste ja ungefähr, wann man aufhören würde.
Paul konnte sich erinnern, dass er vor einiger Zeit über eine Morgenerektion so wütend geworden war, dass er sich selbst in die Hoden geboxt hatte. Da es nichts in seinem Leben gab, das eine Erektion verdiente, fühlte er sich von seinem Penis verhöhnt und hatte seine Hoden dafür bestraft. Nachdem er sich wimmernd auf der stinkenden Matratze gewälzt hatte, stellte er fest, dass die Hoden um das Vierfache angeschwollen waren. Er hatte gehofft, daran zu sterben, aber zu seiner Enttäuschung war die Schwellung nach drei Tagen abgeklungen. Immerhin hatte er eine Weile lang richtig Eier in der Hose gehabt.
Paul hatte das Hodenboxen noch einige Male praktiziert, es aber aufgegeben, als seine Morgenerektionen tatsächlich ausblieben. Das hatte ihm Sorgen gemacht, und noch mehr Sorgen zu haben, hatte ihn so wütend gemacht, dass er begonnen hatte, den Kopf gegen die Wand zu schlagen. Da, wo all die Probleme saßen. Er hatte sie sich aus dem Schädel rammen wollen.
Als Nächstes hatte er versucht zu verhungern, aber es erwies sich als so langwierig, dass es ihn irgendwann doch vor die Tür trieb. Da er keine Mütze hatte, unter der er die Beulen und blauen Flecken verstecken konnte, knotete er Hubertine zu einen Turban.
Hubertine war ein metallicblaues Satinnachthemd, dessen ursprüngliche Trägerin eine schwarz bebrillte, anorektische Ökologiestudentin Mitte dreißig gewesen war, die neben Hubertine Leggins mit bunten Katzenpfoten, schlabbrige, selbst gehäkelte Pullover aus Wollresten und ausgeleierte türkise Frotteeunterhosen im Korb hatte.
Paul machte die Erfahrung, dass ein Mann mit einem metallicblauen Satinnachthemd um den Kopf deutlich mehr Unbehagen auslöste als ein Mann mit Beulen und blauen Flecken am Kopf. Mit Beulen und blauen Flecken sah man zwar aus, als ob man eine Schlägerei verloren hatte, aber nicht, als ob man eine anzetteln würde. Trug man hingegen ein metallicblaues Nachthemd um den Kopf, wechselten die Leute die Straßenseite, denn so jemand war zu allem fähig.
Auf diese Weise hatte Paul mit Hubertine samstagmorgens eine völlig überlaufene Einkaufsstraße durchschritten wie Moses, der das Meer teilt. Leider war er bald von der Polizei aufgegriffen worden, musste in einer Ausnüchterungszelle schlafen und am nächsten Tag lange mit Psychologen reden. Das war der Tag gewesen, an dem Paul zum Dieb geworden war, indem er in einem Souvenirladen eine Baseballkappe hatte mitgehen lassen.
Diebstahl. Ein weiterer Punkt auf der Warum-ich-mich-töten-will-Liste.
Paul nahm sich vor, die blutschwarze, vollgekotzte Wanne zu entleeren, herumliegenden Müll zu entfernen und auch sonst die Werkstatt halbwegs in den betagten, aber ordentlichen Zustand zurückzuversetzen, in dem er sie damals vorgefunden hatte. Eine gewisse Ordnung in der Werkstatt würde einen positiven Effekt auf den Eindruck haben, den seine Leiche hinterlassen würde, und das konnte letzten Endes die Chancen auf die Rehabilitation seines Andenkens erhöhen.
Also, Arschloch, hier ist eine ganz einfache To-do-Liste für dich:
Ein letztes Mal aufräumen.
Die saubere Uniform anziehen.
Sterben.