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PLAT DU JOUR

»Keine Speisekarte?«

»Heute und morgen bieten wir nur ein einziges plat du jour, dafür aber ein einzigartiges.«

»Das nenne ich Entscheidungsfreiheit … Fahren Sie fort.«

»C’est un ciel plein de violons, ein Himmel voller Geigen.«

»Französisch ist mir geläufig, merci. Inspirierter Titel. Qu’est-ce que c’est?«

»Eine aufwühlende Sinfonie von Gartengemüsen, begleitet von einem Orchester erlesener Zutaten, reduziert auf ein wahres Crescendo von einer Jus, an einer Kantate, was sage ich, einem Engelsgesang von einem Filet.«

Der Mann quittierte die Darbietung mit einem distinguierten Nicken, als er von trockenem Husten geschüttelt wurde. Er sog an einem Inhalator, um gleich wieder zu seinem Respekt gebietenden Habitus zurückzufinden. »Stammt das Filet aus biologischer Aufzucht?«

»Soweit ich weiß, wurden ihm zuletzt keine Medikamente oder Ähnliches verabreicht. Nur ein wenig Harz.«

»Wurde es frei laufend gehalten?«

»Ich habe es frei laufen sehen, ja.«

»Na dann … D’accord, je voudrais bien le ciel plein de violons, s’il vous plaît.«

Als Eckerd gegangen war, ließ der Mann drei Brausetabletten in seinen Barolo fallen. Dann drückte er noch verschiedene andere Tabletten aus ihren Plastikstreifen, bis sich in seiner Handfläche ein kleiner Hügel türmte. Sein ausgeprägter Adamsapfel wippte, als er sie mit wenigen großen Schlucken des rosa schäumenden Weins hinunterspülte.

21:43

Paul träumte.

Leider nicht von Bärenmutter-Babette, sondern von der Stimme im Schwarz. Der Stimme, die an allem schuld war. Die hohe Männerstimme war ganz nah bei ihm, sie flüsterte, sanft und rau, immer wieder, fast wie ein Reim.

»Hamster, kleiner Hamster.«

Der, dem die Stimme im Schwarz gehörte, machte etwas mit Pauls Hals, das wehtat. Paul versuchte, sich zu entziehen, aber er konnte sich nicht bewegen. Plötzlich war die Stimme weg, und Paul wusste, dass jetzt das Schlimme begann. Das Schwarz lichtete sich, und Paul starrte auf viele kleine Lackschuhe vor ihm auf einem hässlichen Teppich. Er selbst lag auf etwas Weichem, Feuchtem. Er hob seinen tonnenschweren Kopf und starrte in die pechschwarzen Augen der hamstergesichtigen Dreijährigen in ihren überbordenden Rüschenkleidchen, die auf ihn herunterstarrten. Hinter ihnen wuchsen böse Türme in größeren Kleidern, und als sie realisiert hatten, dass Paul nackt war, stießen sie schrilles Fauchen aus, das zu einem Kreischen anschwoll, bis sich eine riesenhafte, rasselnde Silhouette durch den Pulk aus quiekenden Prinzessinnen und kreischenden Türmen schob. Tausend Blitz Gorden, ein Hüne aus tausend klappernden Kameras und scheppernden Blitzgeräten, stapfte auf Paul zu. Er feuerte Salven aus gleißendem Licht, die Pauls Augen tränen ließen. Und als er sich ganz nah an ihn herangearbeitet hatte, zündete er alle Blitze auf einmal. Pauls Sehnerven schrien nur noch Weiß, und das nagende Sirren und Klicken von tausend Auslösern zersetzte ihn, zersetzte, wer er war.

Schweißgebadet schreckte Paul auf. Seine Kehle klebte, und sein Hunger nahm langsam bedrohliche Formen an. Er schleppte sich in den Waschraum und hielt sich die Nase zu, als er an seinem Erbrochenen vorbeikam, das in der Zinkwanne auf dem blutschwarzen Wasser trieb. Er trank Rostbraunes aus dem Hahn unter dem Badschrank und fragte sich, wie lange er geschlafen hatte. Die Golem-Göre saß immer noch auf ihrem Lager, aber sie murmelte keine Mantras mehr. Sie atmete tief und gleichmäßig, ihr Kopf lag schwer auf einem Paar Flip-Flops, das sie in den Händen hielt, die Ellenbogen auf die Knie gestützt.

Paul schlich an sie heran und tastete vorsichtig nach ihrem Mobiltelefon, von dem aus immer noch ein Ohrstöpsel zu ihrem pinken Ohr führte. Er tippte auf den Screen. 21:43.

Wenn er Glück hatte, konnte er einen Kiosk oder einen Supermarkt finden, der noch aufhatte. Oder eine Pommesbude.

Paul hockte sich vor den Rucksack des Golems, der an einer Seite der Werkbank lehnte, zog möglichst lautlos den Verschluss auf und redete sich ein, dass er nach Klaras Adresse suchte. Er ertastete Bücher und Hefte.

Schulsachen, sieh an.

Klara Meyer. Gut zu wissen. Aber keine Adresse.

Paul förderte eine Federmappe zutage. Innen steckten ein Zwanziger und zwei Zehner hinter einer Reihe von Buntstiften.

Ein Zug raste über die Werkstatt hinweg. Paul duckte sich.

Wenn der Golem jetzt von dem Lärm hochschreckte und ihn sah, wie er das Geld aus dem Rucksack stahl …

Wie unfassbar erbärmlich.

Paul wurde schlecht von dem Gedanken. Er wartete, bis der Lärm sich so weit entfernt hatte, dass er Klara schnarchen hören konnte. Dann stahl er dreißig und verstaute die Federmappe wieder im Rucksack.

Bestehlen einer Zwölfjährigen. Definitiv ein Punkt für die Warum-ich-mich-töten-will-Liste.

Paul schob sich durch das marode Tor, um in den dichten Regen zu treten.

Einen Moment später glitt Klara von der Werkbank, schlich zum Tor, spähte hinaus und wartete, bis Paul hinter der nächsten Ecke verschwunden war.

Dann folgte sie ihm.

Von Herzen

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