Читать книгу Von Herzen - Peter Spans - Страница 8

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Frank zögerte, über die riesige Zunge in den aufgerissenen Frauenmund zu treten.

Am Ende des schummrigen Vorraums hatte er die hölzerne, weit ausgestreckte Zunge entdeckt, die durch volle Lippen, an weißen Zähnen vorbei tief in den Rachen des mannshohen Mundes führte, wo ein schwerer Samtvorhang den Blick in den Raum dahinter verwehrte. Frank wäre am liebsten umgedreht, aber er wollte sich nicht die Blöße geben, gleich wieder an der Dunkelroten vorbeizuschleichen, zumal er sich nicht erinnern konnte, wann er zuletzt so gefroren hatte. Er spähte durch einen Spalt im Samt.

Auf einer kleinen Tanzfläche, die von etwa einem Dutzend samtgepolsterter Sitznischen mit hohen Lehnen gesäumt wurde, saugte eine junge, kleine Kugelrunde im neonpinken Synthetikpullover am Hals eines älteren Hageren im teuren Anzug zu einem vor Wehmut triefenden Bossa nova. Er japste, als sie sich mit ihrem ganzen Gewicht an seinen Hals hängte, und musste niesen, als ihre Arme ihm Pulloverflusen in die Nase rieben. Nachdem er ihre Zehen ein paar Umdrehungen lang über das Parkett geschleift hatte, versuchte er sie abzustreifen. Schließlich resignierte er, schleppte sich mit ihr am Hals in Nische Nummer vier, über deren Eingang der Name Glamouria glitzerte wie eine Swarovski-Brosche, wie auch sonst viele Details in Strass glitzerten. Der Hagere fiepte, als sie sich auf ihn fallen ließ, dann hechelte er.

Frank sah das Klavier. Und drei Podeste mit Mikrofonen.

Scheiße, die haben ne Band. Aber vielleicht nicht jeden Tag.

Frank trat aus dem Vorhang. Ihm fiel auf, dass jede der Nischen ein Telefon besaß, immer passend zum Thema der Nische.

»Bäh!« Die Kugelrunde kippte dem Hageren seinen Rotwein ins Gesicht, packte den paillettenbesetzten Hörer des Glamour-Phones vom Glittertisch der Vier und wählte eine Nummer.

Licht blendete über der Nische auf, und die Musik trat in den Hintergrund. Der Begossene starrte ins Helle, als die Stimme der Kugelrunden aus allen Lautsprechern dröhnte.

»Halloo, hier ist eure Tina. Ich wollte nur sagen, dass ich immer, immer an die ganz, ganz große Liebe glaube, und ihr erreicht mich heute unter der Neun. Aber Mädels, wählt nicht die Vier. Außer, ihr wollt ein Hundefrauchen sein und euch von einem hechelnden Freak von oben bis unten ablecken lassen. Gebt nicht auf, die Liebe kommt! Gute Nacht!«

Das Licht erlosch, nachdem Tina den Hörer auf die Gabel geknallt hatte. Sie trat hoch erhobenen Hauptes aus der Vier, flanierte an den anderen Nischen vorbei, und als niemand von seiner Tischplatte aufsah, ließ sie sich in die Neun fallen, den Bergdieb, ein Crossover aus Dirndl und Krachlederner aus tiefgrünem Samt und besticktem Wildleder, das Tinas pinker Neonpullover überschrie.

Auf dem Weg zur Bar hielt sich Frank im Schatten, aber Tina entdeckte ihn trotzdem, presste sich lasziv in die Polster, leckte sich über die dünnen Lippen, streckte den Zeigefinger in seine Richtung und krümmte ihn verführerisch im Rhythmus der Polka, die gerade einsetzte. Frank schlich zu der prächtigen, hölzernen Bar und kletterte auf einen Hocker neben einen Gast, der in ein Gespräch mit der Frau hinter der Bar vertieft war. Frank versuchte, eine Gesprächslücke abzupassen, aber der Mann redete in einer Tour.

Diese Frau … feine Züge und helle, fast leuchtende Haut.

Frank überlegte, ob sie schön war. Schön, ja. Aber vor allem anders.

Zu anders zum Anbaggern.

Zumindest war unklar, was passieren würde, wenn man es versuchte.

»He, machst du mir n Bier, bitte?«

Sie hörte dem anderen mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu, wobei sie Anteil an jeder vorhersehbaren Wendung seiner banalen Erzählung nahm. Frank trat hinter ihn, machte ein durstiges Gesicht, dass seine geröteten Augen heraustraten, und wedelte mit seinen dünnen Armen, dass seine nassen Ärmel spritzten.

»He, Schöne, mach mir mal n Bier, bitte!«

Ihr Blick war nicht unfreundlich. Gar nicht. Er sagte nur, dass Franks Betragen ihm Strafminuten eingehandelt hatte.

Frank machte beschwichtigende Bewegungen, kletterte ein paar Meter weiter auf einen Barhocker und ließ den Geigenkoffer auf die Fußraste unten am Tresen fallen. Er war froh. Sie hatte nicht eine Miene über seine hohe Stimme verzogen.

Er überlegte, ob er hungrig war. Neben der Bühne warteten einladend gedeckte Tische in einem eigenen, schummrig gemütlichen Bereich. Ein einziger, dicker Mann saß da, sein kindliches Gesicht glühte rosig über einer Vorspeise, und als die Ranke in ihrem dunkelroten Leder eintrat, wedelte er mit seinen speckigen Ärmchen. Sie schwebte an seinen Tisch und wartete in umwerfender Pose, bis er genug Scheine aus einem perlenbestickten Portemonnaie in ihre Hand gelegt hatte, dass sie auf den Stuhl neben ihm glitt.

Durchnässt, wie er war, beschloss Frank, einfach sitzen zu bleiben und sich weiter umzuschauen. Er war immer noch ohne Bier und ohne eine Ahnung, was er hier sollte und wollte. Dennoch hieß ihn alles hier irgendwie von Herzen willkommen.

Von Herzen

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