Читать книгу 15 Jahre länger leben - Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk - Страница 12
ОглавлениеHORMONMANGEL: FEHLENDER ANTRIEB
Lässt sich Altern durch die Gabe von Hormonen behandeln? Diese Frage gehört sicherlich zu den spannendsten, aber auch zu den umstrittensten im Bereich der Anti-Aging-Medizin.
Für die einen sind Hormontherapien eine Art endokriner Jungbrunnen. Nicht wenige betrachten diesen Behandlungsansatz aber auch mit Sorge: »Hormone lösen Thrombosen aus. Hormone verursachen Krebs«, so lauten zwei der am häufigsten geäußerten Befürchtungen. Oder – für viele der schlimmste aller Albträume: »Hormone machen dick.« Der Hoffnung auf die verjüngende, gesund erhaltende Kraft der Hormone stehen ebenso viele Ängste gegenüber. Zweifellos richtig ist sicherlich Folgendes: Hormontherapien sind ein hochwirksames Werkzeug. Falsch eingesetzt oder falsch dosiert können sie zu gravierenden Nebenwirkungen führen. Hormontherapien gehören daher unbedingt in die Hand eines Spezialisten. Sie müssen von diesem individuell auf die Person zugeschnitten werden, die solch eine Therapie nutzt. Sind diese Voraussetzungen allerdings erfüllt, gehören Hormone in der Lebensphase der nachlassenden körpereigenen Hormonproduktion zu den wirksamsten Substanzen überhaupt.
LEBENSWICHTIGE INFORMATIONEN
Bevor wir konkret in die Materie einsteigen, wollen wir uns zunächst die Frage stellen: Was sind eigentlich Hormone? Der Begriff leitet sich ab von dem altgriechischen Wort hormān, was so viel bedeutet wie »antreiben« oder »anstoßen«. Das erklärt es eigentlich schon ganz gut. Denn die Aufgabe vieler Hormone besteht darin, anderen Organen im Körper zu sagen, was sie tun sollen. In einem weiteren Sinne sind Hormone also Teil unseres körpereigenen Informationssystems.
»Multimedialer« Organismus
Wie entscheidend Informationen sind, braucht man im 21. Jahrhundert – dem Zeitalter von E-Mail und iPhone – niemandem mehr zu erklären. Um Informationen optimal zu verbreiten und zu nutzen, bedient sich der intelligente, gut vernetzte Zeitgenosse zumeist gleich mehrerer Medien. Genau das tut unser Körper auch. Sein Informationssystem beruht im Wesentlichen auf zwei Systemen. Da ist zum einen das Geflecht der Nerven, die – mit Telefondrähten und Breitbandkabeln vergleichbar – unseren Körper umfassend vernetzen und zur Informationsvermittlung elektrische Impulse nutzen. Andererseits verfügt unser Körper aber auch über ein Wireless-System, dem Handyverkehr vergleichbar. In diesem Fall setzt er zur Informationsübertragung Hormone ein – Botenstoffe, die Informationen durch unseren ganzen Körper transportieren. In den meisten Fällen nutzen sie dazu die Blutbahn. Es gibt aber auch Gewebshormone, die sozusagen gleich vor Ort auf die umgebenden Zellen einwirken.
Evolution der Hormone
Von Anfang an verfügten schon einzellige Lebewesen über Hormone. Als dann im Laufe der Evolution die Organismen immer komplexer wurden, nahm auch die Zahl an Hormonen zu. Vor allem das Aufkommen der Säugetiere erforderte eine nochmalige Weiterentwicklung des Hormonsystems. Im Gegensatz zu Vögeln, Fischen oder Reptilien wächst bei Säugetieren die Nachkommenschaft im Körper der Mutter selber zu einem lebensfähigen Wesen heran und wird dann über die Brustdrüsen der Mutter mit Nahrung versorgt. Diese Vorgänge erfordern einen deutlich höheren Aufwand als das simple Ablegen von Eiern.
Um die körperlichen Abläufe von der Befruchtung über die Schwangerschaft bis zur Geburt und zur Stillzeit richtig aufeinander abzustimmen und zu steuern, wurde eine Gruppe von Hormonen immer wichtiger: die Geschlechtshormone. Sie sind es, denen auch im Anti-Aging-Zusammenhang eine tragende Rolle zukommt. Geschlechtshormone stehen ganz im Dienste der Fortpflanzung und somit der Arterhaltung. Auf die ist in der Natur alles ausgerichtet.
ÖSTROGENE UND PROGESTERON
Fortpflanzung gelingt am besten, wenn die Individuen, welche sich fortpflanzen, über eine optimale Fitness verfügen: Sie sollten möglichst gesund und möglichst wenig gealtert sein. Genau das ist der Grund, warum Geschlechtshormone neben ihrer primären Funktion für die Fortpflanzung so viele zusätzliche Wirkungen auf die allgemeine Gesundheit haben und uns vor dem vorzeitigen Altern schützen. Drei Beispiele sollen das erläutern.
JEDER MÖCHTE LÄNGER LEBEN. ABER KEINER WILL ALT SEIN.
JONATHAN SWIFT (1667 – 1745)
Altern des Gefäßsystems
Ausgangspunkt einer jeden kardiovaskulären Erkrankung ist die Arteriosklerose, also die zunehmende Versteifung und Verhärtung der Blutgefäße. Im gesunden Zustand sind Blutgefäße hochelastisch, denn sie müssen die unterschiedlichen Drucke ausgleichen können, die entstehen, wenn das Herz Blut in die Blutbahnen pumpt. Dazu bedienen sich die Blutgefäße einer Substanz namens Stickmonoxid (NO), die im Endothel, also der Innenauskleidung der Blutgefäße, gebildet wird. Stickmonoxid sorgt dafür, dass sich die Gefäßwände entspannen und die Durchblutung insgesamt verbessert wird. Letztlich ist NO selbst ein Hormon, also ein Botenstoff, der Geweben und Organen Anweisungen übermittelt. Östrogen unterstützt die Funktion von Stickmonoxid, schützt das Endothel und verhindert somit eine Arteriosklerose. Sinken die Östrogenspiegel in den Wechseljahren ab, so sinkt auch die Konzentration von NO im Blut. Die Blutgefäße verlieren zunehmend ihre Elastizität. Eine Hypertonie (Bluthochdruck) entsteht. Damit steigt das Risiko für einen Herzinfarkt. Weibliche Geschlechtshormone sind also Gefäßschutzhormone.
Altern des Skelettsystems
Für die typische Verformung der Wirbelsäule bei einer Osteoporose gibt es im Volksmund den unschönen Ausdruck »Witwenbuckel«. Damit ist auch bereits klar, welche Bevölkerungsgruppe am meisten von Osteoporose betroffen ist: Es sind die älteren Frauen nach den Wechseljahren, die sich in einem Östrogenmangel befinden.
In der Tat schützen Östrogene, das zeigen übereinstimmend alle entsprechenden Studien, vor Osteoporose. Der Grund ist wieder einmal in der Fortpflanzungsbereitschaft zu suchen. Während der Schwangerschaft muss die Mutter das in ihr heranwachsende Kind mit einer großen Menge von Kalzium versorgen, damit dieses sein eigenes Skelettsystem aufbauen kann. Die Mutter benötigt dazu mehr Kalzium, als sie mit der Nahrung aufnehmen kann. Deshalb muss sie auf ihre körpereigenen Kalziumreserven zurückgreifen. Die befinden sich hauptsächlich im Knochen: Rund 99 Prozent des körpereigenen Kalziums sind dort deponiert. Östrogene sorgen dafür, dass der »Kalziumspeicher Knochen« immer gut gefüllt ist. Sinken sie ab, beginnt die Entkalkung der Knochen – eine Osteoporose entsteht.
Neuere Studien zeigen, dass der Knochen aber auch noch sehr viel weiter gehende Aufgaben hat, als lediglich das Stützskelett unseres Körpers zu bilden. Knochen besteht im Wesentlichen aus zwei Anteilen – einem äußeren, der kortikalen Hülle, und einem inneren, dem trabekulären (balkenförmigen) Knochenmark. In diesem inneren Anteil reifen die Knochenmarkstammzellen, die vor allem für die permanente Regeneration des Blutes verantwortlich sind. Bedingt durch den Östrogenmangel vermindert sich der trabekuläre Knochenanteil. Dadurch steigt nicht nur die Gefahr eines Knochenbruches, es schwindet auch der »Wohnraum für die Stammzellen«. Stammzellenverlust ist ebenfalls ein wichtiger Alterungsfaktor (siehe >). Östrogene sind also auch in Bezug auf die Knochen Anti-Aging-Hormone, und das in doppelter Hinsicht.
Altern des zentralen Nervensystems
Auch wenn man es nicht glauben mag: Für die Fortpflanzung ist auch das Gehirn wichtig. Daher spielen Geschlechtshormone für unser Oberstübchen ebenfalls eine Schlüsselrolle. Östrogene tun dies schon allein aufgrund ihrer gefäßerweiternden Wirkung. Ein so energieintensives Organ wie unser Gehirn benötigt natürlich auch eine effektive Versorgung mit Blut und Nährstoffen. Dazu sind funktionierende Blutgefäße erforderlich, und diese brauchen für den Erhalt der Elastizität ihrer Gefäßwand wiederum die Östrogene.
Vor allem wenn es um unser Gehirn geht, spielt aber auch das zweite weibliche Geschlechtshormon eine Schlüsselrolle: Das auch als Gelbkörperhormon bekannte Progesteron ist das dominierende Hormon der zweiten Zyklushälfte und das Leithormon der Schwangerschaft. Welche Wirkungen Progesteron auf das Gehirn hat, lässt sich schon im Alltag beobachten. Ist eine Frau schwanger, so ändert sich häufig ihr Riechverhalten. Sie nimmt plötzlich Gerüche wahr (gelegentlich bis zur Übelkeit), die ihr Partner nicht wahrnimmt und die sie selbst vorher auch kaum wahrgenommen hat. Wie neuere Untersuchungen zeigen, sind dafür die Schwangerschaftshormone Progesteron und Prolaktin (das »Milchbildungshormon«) mitverantwortlich. Sie führen zu einem Aussprossen der Hirnstammzellen im Riechhirn, was eine Verbesserung und Verfeinerung der dortigen Sinneswahrnehmung zur Folge hat.
Progesteron ist also ein sogenanntes neurotropes Hormon: Es erhält und nährt das Nervengewebe. Vonseiten der Evolution ergibt dies auch einen Sinn: Vor Jahrtausenden gab es keine Babynahrung in Schachteln und Gläschen. Allein die mütterliche Aufmerksamkeit konnte sicherstellen, dass das Kind nicht mit schlechten und verdorbenen Nahrungsmitteln gefüttert wurde. Für diesen Zweck wurde der Geruchssinn der Mutter durch Progesteron und Prolaktin verstärkt.
Progesteron hat also einen die Stammzellen stimulierenden Effekt. Es regt die auch im Gehirn befindlichen Progenitorzellen (das sind Stammzellen mit festgelegtem Funktionsbereich) dazu an, sich weiter zu teilen, was dem Alterungsprozess des Gehirns entgegenwirkt.
JUNGBRUNNEN HORMONE?
Nach allem, was wir nun an Positivem über die weiblichen Geschlechtshormone gehört haben, stellt sich natürlich die folgende Frage: Wenn Geschlechtshormone so viel Gutes bewirken, warum hat ihre Verabreichung dann ein so schlechtes Image? Und gibt es nicht auch Studien, die nachgewiesen haben, wie gefährlich eine Hormonersatztherapie (HRE) ist? Diese Studien gibt es in der Tat. Vor allem die amerikanische Womens-Health-Initiative (WHI-Studie) war ein Schock für alle, die glaubten, der Ersatz der Hormone nach den Wechseljahren beuge Alterserkrankungen vor und sei eine ideale Anti-Aging-Therapie. Ein Teil dieser Studie wurde im Jahr 2002 vorzeitig abgebrochen. Der Grund: Entgegen allen Erwartungen hatten Frauen, die im Rahmen der WHI-Studie Hormonersatzpräparate eingenommen hatten, im Durchschnitt nicht weniger, sondern sogar mehr Herzinfarkte als diejenigen, die lediglich ein Scheinmedikament (Placebo) geschluckt hatten. Gleichzeitig bestätigten sich Risiken von Hormonersatztherapien, wie zum Beispiel eine erhöhte Rate an Thrombosen oder ein vermehrtes Auftreten von Brustkrebs.
Fragwürdige Ergebnisse
Die WHI-Studie bedeutete damals für viele das »Ende der Östrogen-Ära«. Inzwischen liegt sie gut 15 Jahre zurück. Seitdem ist viel diskutiert, analysiert und weitergeforscht worden. Mit dem Wissen von heute lässt sich das Debakel dieser Studie gut erklären, und im Jahr 2016 haben die Autoren der WHI-Studie im »New England Journal of Medicine« auch selbst die Aussagefähigkeit ihrer Studie zurechtgerückt und die zugrundeliegenden Fehler bedauert. Zum einen wurden die falschen, nämlich synthetische Hormone gegeben. Dadurch steigt das Brustkrebsrisiko. Die Hormone wurden zudem ausschließlich oral, also in Form von Tabletten, verabreicht. Oral gegebene Östrogene werden zunächst einmal in die Leber transportiert und aktivieren dort gerinnungsaktive Substanzen. Das erhöht das Thromboserisiko. Und schließlich wurde auch noch das falsche Patientenkollektiv behandelt, nämlich hauptsächlich ältere Frauen mit bereits massiv geschädigten Blutgefäßen. Aus welchem Grund für diese Patientinnen das Östrogen zu einem Risiko wurde, lesen Sie auf der nächsten Seite.