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Ein Platz in der ersten Reihe

Es fällt schwer, an etwas zu glauben, das man nicht sehen kann. Nach sieben schweren Operationen hatte ich manchmal Schwierigkeiten, an meine Genesung zu glauben. 1981 bekam ich einige Tage nach einer sechsstündigen Bauchoperation eine Bauchfellentzündung und eine Infektion, als die Fäden aufgingen. Bis die exakte Diagnose endlich feststand, war mein Zustand bereits kritisch geworden. Man rollte mich in aller Eile in den OP, wo mir eine weitere Operation wahrscheinlich das Leben rettete. Ich erinnere mich noch daran, wie ich in rasender Fahrt den Gang hinuntergeschoben wurde, wie die Lichter an mir vorbeihuschten, und ich sehe noch vor mir, wie der Chirurg, ein Freund von mir, neben meiner Krankenbahre herlief. Wie üblich in Medizinerkreisen, sprach er über meinen Fall, als unterhielten wir uns im Speiseraum des Krankenhauses über einen gemeinsamen Patienten. „Du weißt ja“, sagte er im Plauderton, „wegen der Infektion werden wir die Wunde offen heilen lassen.“ Vollgepumpt mit Medikamenten und ziemlich fertig, dachte ich damals: „Offene Wundheilung also. Du weißt ja, was das bedeutet.“ Dann ging alles sehr schnell, und ich vergaß das Ganze.

Einige Stunden später erwachte ich im Beobachtungsraum und stellte verwirrt fest, dass ich wieder einmal überlebt hatte. Kaum bei Bewusstsein tastete ich mit dem Finger meinen Bauch ab. Dort befand sich wie vor der Operation der große, weiche Verband. Beruhigt, etwas Vertrautes vorzufinden, schlummerte ich wieder ein.

Am nächsten Tag kam eine Krankenschwester zu mir, um den Verband zu wechseln. Freundlich plaudernd entfernte sie die Kompressen. Ich schaute nach unten, in der Erwartung, den üblichen Fünfunddreißigzentimeterschnitt mit der Naht und hundert oder mehr Stichen zu sehen. Stattdessen klaffte da eine völlig offene Wunde, wie ich sie schon oft im OP gesehen hatte. Blitzartig fielen mir die Worte meines Chirurgen ein – und nun wusste ich, was offene Wundheilung bedeutete. Solange eine Infektion vorliegt, wird die Haut in der Regel nicht zusammengenäht. Man schließt lediglich Bauchfell und Muskelhaut, lässt aber die Wunde offen, damit sie von selbst heilt.

Zutiefst erschrocken betrachtete ich meinen verwüsteten Bauch. Ich dachte damals: „Das ist sicher eine tödliche Wunde. Völlig unvorstellbar, dass so etwas heilt.“ Die Krankenschwester merkte nicht, wie entsetzt ich war, und plauderte fröhlich weiter. Nachdem sie den neuen Verband mit Heftpflaster befestigt hatte, verließ sie das Zimmer. Auch am nächsten Morgen kam sie zum Verbandswechsel. Diesmal drehte ich den Kopf zur Seite, um nichts sehen zu müssen. Sie redete munter mit mir, während sie ihre Aufgabe erledigte. Ich gab keine Antwort. Ich war verzweifelt.

Mehrere Tage lang wiederholte sich die Prozedur: Sie nahm den Verband ab, redete mir gut zu, ich wandte den Kopf zur Seite und wartete auf das Ende. Nach ungefähr einer Woche dämmerte es mir, dass ich entgegen jeder Wahrscheinlichkeit immer noch am Leben war. Vielleicht würde ich an dieser Wunde doch nicht sterben, dafür aber mit ihr leben müssen. Damit war die Bühne für ganz andere Bedenken und Zwangsvorstellungen frei. Wie sollte ich mit diesem großen Loch da vorne leben können? Vielleicht würde es im Laufe der Jahre zuwachsen – und eine fünfunddreißig Zentimeter lange und mehrere Zentimeter breite Narbe hinterlassen. Bis dahin würden enge Jeans und Badeanzug tabu sein. Ob ich Kleider in Übergröße würde tragen müssen? Oder die tiefe Furche in meinem Bauch mit Watte ausstopfen und verpflastern, sodass man sie nicht sehen würde?

Nachdem ich tagelang darüber nachgegrübelt hatte, wurde mir klar, dass ich mir die Sache, wenn ich schon mit ihr leben sollte, ansehen musste. Als die Schwester das nächste Mal den Verband entfernte, zwang ich mich hinzuschauen und erwartete, die klaffende Wunde von vor zehn Tagen zu sehen. Aber sie hatte sich verändert. Erstaunt stellte ich fest, dass sie sich von unten her zu schließen begonnen hatte und eindeutig kleiner geworden war. Tag für Tag konnte ich nun beim Verbandswechsel beobachten, wie diese große Wunde sich langsam, im Tempo aller natürlichen Abläufe, zu einer haarfeinen Narbe schloss. Und ich, eine Ärztin, hatte keinen Einfluss darauf. Es war demütigend. Aber immerhin hatte ich bei diesem Heilungsprozess einen Platz in der ersten Reihe. Viel später erst begriff ich, dass ich im Grunde seit Beginn meines Medizinstudiums auf diesem Platz saß. Die Lebenskraft, von der ich mich am eigenen Leib hatte überzeugen können, ist eine Mitgift, mit der wir alle von Geburt an ausgestattet sind.

Dem Leben vertrauen

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