Читать книгу Dem Leben vertrauen - Rachel Naomi Remen - Страница 17

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Begegnung mit Mr. Richtig

Vor längerer Zeit, während einer Reise nach Kanada, besuchte ich einen alten Friedhof und kam an einen Grabstein mit folgender Inschrift: „Hier ruht George Brown, geboren wurde er als Mensch, gestorben ist er als Gastroenterologe“. Ich muss damals zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen sein und weiß noch, dass mich diese Inschrift begeisterte. Medizinischen Fachkenntnissen wurde in meinem Elternhaus mit Hochachtung begegnet. Der Verstorbene hatte also im Leben viel erreicht. Inzwischen bin ich von medizinischen Fachkenntnissen nicht mehr so begeistert. Der Wert des Lebens lässt sich wohl eher an der Güte und weniger an der Kompetenz eines Menschen ermessen.

Eine meiner früheren Patientinnen, eine Psychologin und überdies eine gute Sportlerin, joggte jeden Morgen im Park in der Nähe ihres Hauses, ehe sie in ihre Praxis ging. Dabei traf sie oft einen Kollegen, einen weithin bekannten Psychiater. Ohne sich zu verabreden, joggten sie mehrere Jahre lang immer zur gleichen Zeit. Als sie plötzlich an Krebs erkrankte, gab ihr Laufgenosse das Joggen auf. Meine Klientin ist eine starke und entschlossene Frau, und trotz einer schwierigen Operation und Chemotherapie lief sie weiterhin jeden Tag. Nachdem sie einige Monate lang allein gejoggt war, versuchte sie, den Psychiater in seiner Praxis anzurufen, aber er rief nie zurück.

Ein Jahr nach Beendigung der Chemotherapie wählte sie eines Morgens eine andere Laufstrecke und sah vor sich plötzlich den Psychiater laufen. Da sie zwanzig Jahre jünger war als er, holte sie ihn mühelos ein. Als sie nebeneinander herliefen, teilte sie ihrem ehemaligen Laufgenossen mit, dass sein Schweigen sie gekränkt habe. Die Berufsgemeinschaft, der sie beide angehörten, war klein, und fast jeder hatte von ihrem Krebs gewusst. Sicher hatte auch er davon gehört. Seine Antwort schockierte sie. Er erwiderte: „Tut mir leid. Was hätte ich sagen sollen? Mir ist einfach nicht das Richtige eingefallen.“

Ich fragte sie, was sie gerne von ihm gehört hätte. Sie lächelte traurig: „Oh, so etwas wie ‚Ich habe gehört, dass Sie ein schweres Jahr hinter sich haben. Wie geht es Ihnen jetzt?‘ Irgend etwas Menschliches.“

Dem Leben vertrauen

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