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2. Materieller Begriff

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Den materiellen Begriff des Sozialrechts zu beschreiben ist weit schwieriger. Dies setzt voraus, auf dem Hintergrund des bisher Entstandenen rechtswissenschaftlich zu formulieren, was Sozialrecht inhaltlich bedeutet. Dies zu definieren ist bisher nicht gelungen und wird auch nicht zufriedenstellend gelingen können. Bei der Bestimmung des Begriffs würde zudem über die Grenzen des deutschen Rechts hinaus gedacht werden müssen; oft wird im Ausland das Arbeitsrecht zum Sozialrecht gerechnet, was wir als Sozialrecht bezeichnen, wird international unter dem Einfluss des angloamerikanischen Rechts social security law, Recht der sozialen Sicherheit, genannt[1]. Man muss sich dem materiellen Begriff des Sozialrechts, auch wenn er sich nicht definieren lässt, aber wenigstens nähern:

a) Dabei orientiert man sich am besten an § 1 SGB I. Er formuliert die Ziele des Sozialrechts, die durch das Mittel der Sozialleistungen erreicht werden sollen: Gemäß § 1 Abs. 1 SGB I soll das Sozialrecht zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gestalten. Es soll im Näheren dazu beitragen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen[2]. Es ist das Anliegen des Sozialrechts, den Sozialstaat zu verwirklichen. Bekanntlich ist dieses Anliegen jedoch keineswegs auf das Sozialrecht beschränkt. Etwa auch das im BGB geregelte Recht der Wohnungsmiete, das Verbraucherschutzrecht oder das gesamte Arbeitsrecht folgen diesem Anliegen. Das Sozialrecht unterscheidet sich von der Vielzahl der dem Anliegen sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit verpflichteten Regeln aber dadurch, dass seine Vorschriften auf die Leitvorstellungen der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Sicherheit in besonderem Maß ausgerichtet sind. Im Ergebnis bezieht man sich bei der Bestimmung des materiellen Begriffs des Sozialrechts also auf die Aufgaben des Sozialrechts. Die damit verbundene Unschärfe wird man in Kauf nehmen müssen.

b) Soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit erschöpfen sich dabei nicht in der Abwendung von Notlagen. In wichtigen Teilbereichen strebt das Sozialrecht die Absicherung eines gesellschaftstypischen Standards an, der über dem Mindeststandard liegen soll. Das gilt namentlich für die Bereiche der Sozialversicherung: In diesen Bereichen des Sozialrechts wird nicht fürsorglich ein Almosen gewährt, sondern es wird, dem auch im Privatrecht geläufigen Prinzip der Versicherung entsprechend, auf ein typisches Risiko (Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Unfall, Invalidität und Alter, Arbeitslosigkeit) vorsorglich reagiert. Diese Vorsorge ist auf Beitragsleistungen gegründet, sozusagen erkauft, sie führt damit zu selbst erworbenen individuellen Ansprüchen auf die Gegenleistung. Auch bei einem privatrechtlich organisierten Versicherungsmodell würde man eine solche Vorsorge nicht auf die Abwendung von Notlagen beschränken. Genauso wenig geschieht dies in der Sozialversicherung.

Sozialrecht muss nicht ausschließlich darauf gerichtet sein, einen Leistungsempfänger zu begünstigen. So wie das Steuerrecht neben der Erzielung von Einnahmen für den Staat zugleich auch Lenkungsfunktionen wahrnimmt, verfolgen auch sozialrechtliche Regelungen nicht selten mehrere Zwecke. Das Ausbildungsförderungsrecht und das Arbeitsförderungsrecht (das auch Ausbildung und Umschulung regelt) etwa haben auch den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften im Auge. Man wird diese Regelungen aber trotzdem ohne Zweifel dem Sozialrecht zuordnen, weil die durch das Anliegen sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit motivierte Förderung des Einzelnen im Vordergrund steht.

1. Teil Einführung in das Sozialrecht§ 2 Begriff und Aufgaben des Sozialrechts › II. Aufgaben

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