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London, Freitag, 9. Juni 1944, 09:50 Uhr

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»Gibt es schon was Neues?« Frank war mal wieder einfach so hereingeplatzt.

David sah ihn mit abwesendem Blick entgegen.

Frank verlangsamte den Schritt, zog die Augenbrauen zusammen und sah seinen Chef fragend an. »David?«

David reagierte noch einige Sekunden nicht, dann erwachte er plötzlich zum Leben.

»Wer war darüber informiert, dass Carl geheime Unterlagen im Koffer hatte?« Er warf den Stift auf den Schreibtisch, stand unvermittelt auf und ging durch sein Büro. Die linke Hand in der Hosentasche, den Zeigefinger der Rechten schwang er unablässig vor sich her. »Jemand muss es gewusst haben und hat versucht, Carl samt den Unterlagen aus dem Weg zu räumen. Es gibt Zeugen, die einen Mercedes gesehen haben, der mit hoher Geschwindigkeit dem Volvo gefolgt war.« David gab noch einmal die Fakten wieder, soweit sie ihnen bekannt waren. Das tat er oft, wenn er nachdachte und es half ihm, das weitere Vorgehen festzulegen. »Den Unfall selbst hat leider niemand beobachtet, sodass wir nicht wissen, ob der Mercedes wirklich darin verwickelt war. Da Carl noch nicht vernehmungsfähig ist, können wir bisher nur Vermutungen anstellen. Vieles spricht aber für eine Beteiligung des Wagens an dem Unfall und ist zudem die einzige Spur, die wir haben. Wer könnte in dem Auto gesessen haben?« Er stellte die Frage in den Raum, aber Frank fühlte sich angesprochen.

»Die schwedische Regierung hat mir versichert, dass sie alle Mercedesfahrzeuge im Raum Stockholm überprüft. Davon gibt es zum Glück nicht so viele. Trotzdem braucht das Zeit. Und natürlich kann der Wagen, soweit er bei dem Unfall beschädigt wurde, schon repariert worden sein. Dann blieben nur noch die Werkstätten, die man untersuchen könnte. Und wenn es ein Diplomatenfahrzeug war, kommen wir sowieso nicht dran«, stellte Frank fest.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein Diplomatenfahrzeug war. Die deutsche Gesandtschaft in Stockholm besitzt zwar einen, aber wenn die Deutschen davon gewusst hätten, dann hätten sie Carl doch bereits in Berlin verhaftet. Dann hätten sie sich einen Dreck darum geschert, ob Carl einen Diplomatenpass besitzt oder nicht. Davon können wir ausgehen.«

»Und was ist mit den Russen?«, warf Frank ein.

David blieb unvermittelt stehen und drehte sich zu ihm um. »Denen würde ich das zutrauen. Die würden wahrscheinlich alles daransetzen, dass wir die Unterlagen nicht in die Finger bekommen. Damit wären wir ihnen nämlich auf einen Schlag um viele Jahre voraus. Und das würde Stalin gewiss nicht gefallen. Allerdings wundert es mich dann, dass sie die Papiere nicht selbst an sich genommen haben.«

»Soweit ich von den Schweden erfahren habe«, fuhr Frank fort, »müssen unmittelbar nach dem Unfall die ersten Helfer zur Stelle gewesen sein, sodass sie vermutlich deshalb keine Chance hatten, die Koffer an sich zu nehmen. Die mussten sich verdrücken, damit sie nicht erkannt werden. Sonst hätte Stalin einige unangenehme Fragen beantworten müssen. Durch die Nähe zum Flughafen war auch die Flughafenfeuerwehr schnell zur Stelle. Dem Fahrer allerdings konnte niemand mehr helfen, der muss sofort tot gewesen sein.«

»Wie geht es Carl?«, wollte David wissen.

»Er ist schwer verletzt und wird wohl lange brauchen, bis er wieder halbwegs auf dem Damm ist.«

»Guten Morgen.« Ohne anzuklopfen betrat Patrick den Raum. Er war ein lockerer Typ, der sich nur begrenzt um Rücksichtnahme und Anstand kümmerte. Klopfen gehörte auf jeden Fall nicht zu seiner Art. Federnden Schrittes ging er auf die beiden zu und legte David einen Stapel Unterlagen mitten auf den Tisch.

»Da habt ihr den ersten Teil. Hat mich zwei Tage und Nächte gekostet, aus dem Altpapier noch was rauszuholen. Ich hab‘s kopieren lassen, sodass ihr mit den Kopien arbeiten könnt, ohne sie mit Samthandschuhen anfassen zu müssen.«

David griff sich einen Teil vom Stapel und sah ihn flüchtig durch. »Wie sieht‘s aus? Kann man die Informationen noch verwerten?«

»Also, was ihr hier seht, sind Kopien von dem, was noch halbwegs lesbar war. Da sind viele Textdokumente, also Berichte und Ähnliches dabei, einige Zeichnungen und Pläne von Raketen und eine Handvoll Briefe. Ich habe mir die Kopien mal ein bisschen genauer angeschaut, allerdings ist mein Deutsch dann doch nicht so gut. Ob was Brauchbares dabei ist, kann ich nicht beurteilen. Ich habe einen Teil bereits zur Übersetzung gegeben, aber die wird auch ihre Zeit brauchen, da Fachbegriffe zur Raketentechnologie nicht gerade jedem bekannt sind.« Er begann, die restlichen Unterlagen auf dem Schreibtisch auseinanderzuschieben. »Eins ist mir aber aufgefallen. Das wollte ich euch noch zeigen«, sagte er, während er die Papiere durchsah. Das gesuchte Dokument fand er aber nicht. Dann blickte er zu David, der noch einige Kopien in der Hand hielt. Ohne zu fragen, nahm er sie ihm ab und blätterte darin herum. »Da ist es. Schaut euch das mal an.«

David und Frank drängten sich um Patrick, der das Dokument vor Ihnen auf den Schreibtisch legte.

»Das ist die Skizze einer Rakete und die sieht ähnlich aus, wie wir sie in jedem Buch über Raketen wiederfinden. Interessant ist aber das, was hier oben steht.« Er zeigt mit dem Finger auf die obere linke Ecke der Zeichnung. Dort stand der Begriff A10, gefolgt von dem Wort Amerika. »America schreibt man im Deutschen mit k statt mit c«, fuhr Patrick belehrend fort, »der Rest ist gleich, ist also einfach zu verstehen. Ob das nun der Name der Rakete darstellt oder das Ziel, zu dem diese fliegen soll, das herauszufinden wird jetzt eure Aufgabe sein.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf das Wort, dann wandte er sich um und wollte zur Tür. »Ach übrigens.« Er blieb kurz stehen. »Ich habe noch einige Dokumente im Labor, die - sagen wir mal - etwas mehr Aufmerksamkeit verlangen. Das wird noch ein bisschen dauern, aber ich denke, da kriegen wir noch was raus. Allerdings bleibt auch ein riesiger Berg mit Asche zurück. Sobald es was Neues gibt, lass ich wieder von mir hören.«

Damit ging er und ließ die Tür offen stehen.

David nahm die Skizze mit der Rakete in die Hand und betrachtete die Überschrift. »A10 Amerika«, sagte er in Gedanken versunken leise vor sich hin.

»Meinst du, die Deutschen haben bereits eine Rakete entwickelt, die bis nach Amerika fliegen kann?«

»Ich weiß es nicht.« David zog die Schultern hoch. »Aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass da was läuft. Wenn die Nazis dazu in der Lage sind, dann haben sie durchaus noch die Möglichkeit, diesen verdammten Krieg zu gewinnen, auch wenn wir mittlerweile einen großen Teil der von Ihnen besetzten Gebiete wieder befreit haben.«

David wurde still und Frank beobachtete ihn. In seinem Kopf arbeitete es, das konnte man ihm ansehen.

Im Büro herrschte absolute Stille, als David unvermittelt sagte: »Ich muss herausfinden, was sie vorhaben.« Und nach einer weiteren Pause ergänzte er: »Und ich werde das verhindern. Das bin ich Kate schuldig.«

Der Nagel

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