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London, Mittwoch, 31. Mai 1944, 08:50 Uhr

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Die kleinen Scheibenwischer tanzten auf der Scheibe hin und her und führten einen fast aussichtslosen Kampf gegen den starken Regen. Obwohl schon kurz vor neun Uhr, war es an diesem Morgen noch ungewöhnlich dunkel. Lieutenant Baker saß hinter dem Steuer und wartete. Er stand bereits zwanzig Minuten vor dem Haus und beobachtete die Wassertropfen, die in breiten Strömen über die Frontscheibe liefen und am unteren Ende ohne erkennbare Logik nach rechts oder links abbogen. Es schüttete zeitweise so stark, dass man durch die Scheibe nichts mehr sehen konnte. Er schaltete wiederholt die Scheibenwischer ein, die sich mit unübersehbarer Mühe gegen den Regenschwall nach oben kämpften. Baker schaute auf seine Armbanduhr. Gleich neun Uhr. Lange durfte es nicht mehr dauern, sonst würden sie es nicht rechtzeitig zur Besprechung schaffen. Viele Straßen waren nur provisorisch geflickt. Es gab also keine Möglichkeit, Zeit gutzumachen. Und bei dem Sauwetter konnte er sowieso nicht schnell fahren. Das Prasseln auf das Autodach ließ etwas nach und Baker schaute durch die Frontscheibe in den Himmel. Soweit das Auge reichte, hingen graue Wolken über den Häusern und auch die Vorhersage machte keine Hoffnung auf eine baldige Änderung der Wetterlage.

Er zuckte zusammen, als die Tür hinter ihm aufgerissen wurde und mit einem »Shit« setzte sich ein Mann in einem dunklen Mantel auf den Rücksitz. Fast zeitgleich wurde die gegenüberliegende Tür geöffnet und ein zweiter sprang in den Wagen.

»Verdammtes Sauwetter.«

Lieutenant Baker startete den Motor und stellte das Gebläse an, damit die beschlagenen Scheiben wieder frei wurden. Ein kurzer Blick nach hinten, dann fuhr er los.

»Für wann ist der Termin bei Churchill angesetzt?«

»Die Besprechung beginnt um halb zehn, Mr Petrie. Wir werden rechtzeitig da sein«, sagte Baker in einem beruhigenden Ton, war sich aber nicht sicher, ob sie das schaffen würden.

Lieutenant Baker kannte Mr Petrie seit drei Jahren. Er war als persönlicher Fahrer für den Chef des MI5 abkommandiert und hatte mittlerweile viele weitere Aufgaben übernommen. Mr Petrie schätzte es nicht, ständig neue Mitarbeiter zu bekommen und so arbeitete er mit den meisten schon seit seiner Amtsübernahme 1941 zusammen. Er wusste, dass er sich auf Baker verlassen konnte. Und Baker kannte die Ansichten, die Marotten, wie auch die Vorlieben seines Chefs genau, sodass sich in diesen drei Jahren ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte und sie mittlerweile perfekt aufeinander abgestimmt waren.

»Wir brauchen unbedingt die Informationen aus Stockholm«, hörte Baker Petrie zu seinem Assistenten sagen. »Ich will Churchill nicht über unsere Aktivitäten unterrichten, ohne ihm gleichzeitig die ersten Erfolge aufzeigen zu können. Wenn das klappt, werden wir einen Triumph gegen die Deutschen feiern, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Dann werden wir ihre letzte Trumpfkarte vernichten und endgültig den Krieg gewinnen.« Er zögerte kurz, dann ergänzte er: »Und wenn nicht, haben wir ein riesiges Problem. Wann soll das Flugzeug in Stockholm landen?«

»So gegen halb elf.«

Petrie schaute auf seine Uhr. »Dann müsste er zumindest schon den deutschen Luftraum verlassen haben. Wir probieren später noch einmal, ob wir zur britischen Gesandtschaft durchkommen. Bei diesem Sauwetter kriegt man einfach keine vernünftige Verbindung.«

»Ich habe veranlasst, dass man uns auf jeden Fall informiert, sobald Informationen aus Schweden eintreffen. Auch wenn die Besprechung noch nicht fertig ist.«

»Gut, Frank.«

Petrie schaute aus dem Fenster. Die Straßen waren fast menschenleer. Einzelne Soldaten gingen mit eingezogenem Kopf durch den Regen, eine Frau kämpfte mit ihrem Regenschirm gegen den ständig wechselnden Wind.

David Petrie war seit 1941 Chef des Security Service MI5, dem britischen Inlandsgeheimdienst. Er hatte damals den erfolglosen Mr Harker abgelöst und war von Churchill beauftragt worden, aus dem MI5 eine schlagkräftige Truppe aufzubauen. Dazu stellte dieser ihm die entsprechenden Mittel zur Verfügung. Als die direkte Bedrohung durch die Deutschen, nach deren Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941, nachließ erleichterte dies seine Arbeit und es gelangen ihm verschiedene Erfolge. Der Größte war das sogenannte double-cross-System. Dabei wurde den in Großbritannien enttarnten feindlichen Spionen nach ihrer Verhaftung die Möglichkeit gegeben, falsche Informationen an den deutschen Geheimdienst zu senden und somit den Feind in die Irre zu führen. Im Gegenzug konnten die Agenten dadurch einer sicheren Todesstrafe entgehen. Petrie schaffte es, ein besonders effektives Netzwerk aufzubauen und in vielen Fällen gelang es ihm, den Gegner erfolgreich zu täuschen und zu falschen Reaktionen zu veranlassen. Er verbrachte seine gesamte Zeit damit, das System zu verbessern und arbeitete seit Jahren fieberhaft daran, den Deutschen immer größeren Schaden zuzufügen.

Ein unerwarteter Schlag erfasste plötzlich den Wagen. Das rechte Vorderrad sackte kurz ab, um sofort darauf mit Wucht wieder nach oben zu kommen. Lieutenant Baker riss das Steuer herum, damit nicht auch noch das Hinterrad in das Schlagloch fuhr.

»Passen Sie doch besser auf, Baker.« Petrie sammelte verärgert die Unterlagen zusammen, die er auf seinen Oberschenkeln liegen hatte.

»Entschuldigung«, erwiderte Baker.

Er hatte keine Chance gehabt, das Loch zu erkennen. Die Straße war durch den Regen mit Pfützen übersät, in jeder konnte sich ein Loch verbergen. Baker verringerte die Geschwindigkeit etwas, nur um kurz danach aber wieder zu seinem ursprünglichen Tempo zurückzukehren. Die Zeit drängte, wenn sie pünktlich bei Churchill sein wollten.

Lieutenant Baker lenkte den Wagen durch mehrere Nebenstraßen, um den Weg abzukürzen. Als sie wieder zu einer der großen Hauptverkehrsstraßen kamen, wurden Sie von einem Militärpolizisten angehalten, der mitten auf der Straße stand. Das Wasser lief ihm über den Stahlhelm und fiel von dort in einem breiten Vorhang auf seine Uniform. Er hatte die Arme ausgestreckt und versperrte ihnen die Durchfahrt. Hinter ihm passierte eine Militärkolonne die Kreuzung. Sie hatten Glück, denn nach fünf weiteren Lastwagen war die Kolonne durch und die Fahrbahn wurde wieder freigegeben.

London war in den letzten Monaten überfüllt mit Soldaten der verschiedensten Nationen. Die Vorbereitungen für die Invasion in Frankreich waren in vollem Gange. In einer logistischen Meisterleistung wurden eine Unmenge von Schiffsraum, Waffen und Ausrüstungen und eine große Zahl Soldaten für den bevorstehenden Sturm auf die Festung Europa an der britischen Küste zusammengezogen.

»Noch eine Minute, Sir.« Baker blickte in den Rückspiegel. Petrie hob seinen Kopf und die dunklen Augen sahen ihn kurz an.

»Danke, Baker.«

Der Regen hatte etwas nachgelassen, als Baker vor der Downing Street Nr. 10 in Whitehall hielt.

David Petrie klappte den Kragen seines Mantels nach oben, stieg aus und lief mit dem Koffer in der Hand in das Gebäude. Frank folgte ihm. Die beiden Wachposten neben der Tür nahmen Haltung an.

Der Nagel

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