Читать книгу Der Nagel - Rainer Homburger - Страница 21
London, Dienstag, 13. Juni 1944, 09:50 Uhr
ОглавлениеKaum hatten sie das Haus verlassen, explodierte in unmittelbarer Nähe ein gewaltiger Sprengsatz. Trümmer flogen umher und die Druckwelle fegte ihnen durchs Gesicht.
Frank hielt mit der einen Hand seinen Hut fest und zeigte mit der anderen zur Straße. »Da vorne steht der Wagen.«
Draußen war die Hölle los. Voller Panik rannten Menschen über die Straßen. Feuerwehrfahrzeuge rasten mit Getöse durch die Stadt. Dazwischen gewaltige Explosionen.
David lief in geduckter Haltung los, Frank folgte ihm. Soldaten kreuzten ihren Weg, dichter beißender Rauch nahm ihnen die Sicht und brannte in Augen und Lunge.
Baker ließ den Motor an, als er die beiden kommen sah. Einen Moment später saßen sie auf dem Rücksitz und Baker gab Gas, um dem Durcheinander zu entkommen.
»Verdammt nochmal, was ist das?« Frank sah David an, der durch das Fenster nach oben starrte.
»Irgendwelche Fluggeräte, kleiner als ein Jäger. Den Geräuschen nach kein Propellerantrieb.« David sprach, während er sein Gesicht an die Scheibe presste und nach oben sah.
Baker dirigierte den Wagen durch die Straßen der britischen Hauptstadt. Er musste höllisch aufpassen auf die Menschen, die panisch umherliefen und ohne jede Rücksicht auf den Verkehr den nächsten bombensicheren Platz ansteuerten. Mütter schleiften ihre Kinder mit. In einem riesigen Feuerball flog plötzlich ein Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite in die Luft. Steine und Glassplitter prasselten auf den Wagen und eine gewaltige Druckwelle drückte das Fahrzeug fast auf den Gehweg. Baker kämpfte wild mit dem Steuer, um die Spur zu halten. Dann trat er voll in die Eisen. David und Frank wurden auf die Lehnen der Vordersitze geschleudert. Mit quietschenden Reifen kam der Wagen unmittelbar vor einer Bushaltestelle zum Stehen.
»Verdammte Scheiße«, entfuhr es David, und als er auf seinen Platz zurückgerutscht war, entdeckte er das Loch in der Scheibe, genau an der Stelle, an die er kurz zuvor noch sein Gesicht gedrückt hatte. Er sah zu Frank, der das Loch anstarrte, dann ihn. David zog für einen Moment die Augenbrauen hoch und atmete tief ein und aus. Noch mal Glück gehabt, signalisiert er seinem Assistenten.
»Alles in Ordnung?« Auch Baker saß jetzt wieder aufrecht im Sitz. Mit der rechten Hand fuhr er über die schmerzende Stelle der Brust, wo es ihn auf das Lenkrad gedrückt hatte.
»Fahren wir weiter!«, versuchte David, keine Zeit zu verlieren.
Baker setzte den Wagen ein paar Meter zurück. Dann umfuhr er das Metallgerippe der zerstörten Bushaltestelle und bog an der nächsten Kreuzung links ab.
Der Wagen gab einige ungewohnte Geräusche von sich. Ich bin mal gespannt, wie der von außen aussieht, ging es David durch den Kopf, als er den Blick durch die zerstörte Seitenscheibe wieder nach oben richtete.
Frank tippte ihm auf die Schulter. »Hier für dich.« Er hielt David einen Ziegelstein hin, den er im Wagen gefunden hatte.
David lächelte ihn an. »Kannst du behalten, wenn du möchtest.«
Schon in der vergangenen Nacht war dieses gleichmäßige Brummen zu hören gewesen. Es klang ähnlich dem Geräusch eines laufenden Motors. Dann verstummte es plötzlich und kurz danach erfolgte in der Nähe eine schwere Detonation. Die Flak hatte unaufhörlich geschossen und die Flakscheinwerfer den dunklen Nachthimmel mit einem sich ständig ändernden Lichtmaschennetz durchzogen. David war aufgestanden und hatte das Schauspiel beobachtet. Ein paar Mal konnte er ein ungewöhnlich kleines Flugzeug erkennen, das im Strahl der Suchscheinwerfer durch den Himmel flog. Er war über die geringe Größe und die ihm unbekannte Silhouette erstaunt. Obwohl die Zahl der Detonationen deutlich zunahm, konnte es ihn aber nicht dazu bewegen, in den Luftschutzkeller zu gehen. Er hatte keine Angst, sie konnten ihm keine Angst einjagen. Seit Kates Tod war er bei Angriffen nicht mehr in einen Bunker gegangen.
»Hast du alle eingegangenen Meldungen dabei?«
Frank nickte.
»Es sieht ganz so aus, als ob die Deutschen eine neue Waffe einsetzen.« David sah auf seine Uhr, dann wieder nach draußen.
Als sie ein paar Minuten vor dem Termin eintrafen, waren Luftmarschall Harris und der amerikanische General Spaatz bereits im Konferenzraum und unterhielten sich aufgeregt. Duncan Sandys stand bei Ihnen. Auf dem Gang kam ihnen Churchill entgegen. Mantel und Hut hatte er bereits abgelegt. Der Stumpen einer Zigarre hingegen hing noch im linken Mundwinkel. Sie blieben an der Tür stehen und warteten. Churchill begrüßte David und Frank mit einem: »Guten Tag, meine Herren«. Dann ging er zu seinem Platz, blieb aber vor dem Tisch stehen. »General Spaatz, Marschall Harris«, sagte er, ohne zuvor den Stumpen aus dem Mund zu nehmen, dann ließ er sich in den Stuhl fallen. Auf dem Tisch lagen ein Stapel Papier, einige Stifte und ein großer Aschenbecher. Churchill drückte den Stumpen aus. Dann kam er umgehend zur Sache.
»Marshall Harris, können Sie mir etwas über den Angriff von heute Nacht und den jetzigen sagen?«
»Ja, Sir«, antwortete Harris. »Nach aktuellem Kenntnisstand setzen die Deutschen ein neues Fluggerät ein. Es hat, ganz grob gesagt, in etwa die Form eines kleinen Flugzeuges, wird aber nicht von einem Piloten gesteuert. Es trägt eine Sprengladung, die beim Aufschlag auf dem Boden explodiert. Die Fluggeräte, genauer gesagt sind es eigentlich fliegende Bomben, fliegen mit einer Geschwindigkeit von etwa 375 Meilen. Das haben unsere Jäger bei der Verfolgung festgestellt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt setzt dann wohl das Triebwerk aus und sie stürzen ab. Die Fluggeräte kommen aus verschiedenen Richtungen vom Festland, und fast alle hatten als Ziel die Hauptstadt. Es gab einige Einschläge weiter im Süden, doch die sind weitgehend wirkungslos auf dem Land runtergegangen. Die Fluggeräte haben keine Propeller. Das bedeutet, dass sie wohl von einem Strahltriebwerk angetrieben werden, vermutlich ähnlich dem, das bei Raketen zum Einsatz kommt.«
Eine starke Explosion ließ den Bunker erzittern. Churchill blickte kurz zur Decke und es sah so aus, als sollte seine nächste Frage durch den Einschlag mehr Nachdruck erhalten.
»Welche Maßnahmen haben wir bisher ergriffen, um die Angriffe abzuwehren?«
»Die beste Möglichkeit, die wir haben, ist, die Dinger einfach abzuschießen«, antwortete Harris. »Da sie nicht übertrieben schnell und auch nicht sonderlich hoch fliegen, kann man sie mit der Flak recht gut erwischen. Und auch unsere Jäger haben kein Problem, ihnen zu folgen und sie runterzuholen. Ich habe bereits angeordnet, die Flakgürtel an der Küste und südlich der Hauptstadt zu verstärken und die Jagdstaffeln in eine erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen.«
»Von wo aus werden sie gestartet?«
»Letzten Erkenntnissen nach vorwiegend aus Frankreich und Holland.«
»Vermutlich von den Startrampen, die wir bereits vor Monaten entdeckt und bombardiert haben«, ergänzte David. »Und die Form der Fluggeräte entspricht dem, was wir schon auf unseren Luftaufnahmen erkennen konnten.« David nahm ein paar Vergrößerungen aus seinem Aktenkoffer und gab sie Churchill. »Sehen Sie hier, Sir. Auf diesen Fotos können Sie die Fluggeräte gut erkennen.« David zeigte mit dem Finger auf die entsprechende Stelle eines der Bilder.
Churchill betrachtet die Aufnahme. »Gut«, sagte er dann in die Runde, »verstärken sie die Flugabwehr und die Anzahl der Jäger, damit können wir die weiteren Angriffe hoffentlich besser abwehren. Untersuchen sie auch andere Maßnahmen, besonders solche, mit denen wir den Einflug der Bomben schon früher unterbinden können. Wenn wir die Startrampen zerstören, dann können die Deutschen die Flugbomben nicht mehr starten, oder?«
»Das ist richtig, Sir.« Harris vermutete schon, woraus Churchill hinauswollte.
Wieder ein Einschlag ganz in der Nähe. Einen Moment später kam ein Soldat herein. Vom Gang her drangen Schritte und Stimmen in den Raum, die eine gewisse Unruhe und Nervosität vermittelten. Der Soldat ging auf Churchill zu und gab ihm ein Papier. Churchill nickte und las die Meldung.
»Es werden weitere Einflüge aus verschiedenen Richtungen gemeldet. Als Ziel kommt fast ausschließlich London infrage.« Er gab den Anwesenden den Inhalt der Meldung wieder, ohne vom Papier aufzusehen. Dann blickte er zu Harris. »Wir müssen so schnell wie möglich Luftangriffe auf alle bekannten Startplätze fliegen und dadurch die Starts verhindern oder wenigstens einschränken.«
»Sir, mit Verlaub. Seit einer Woche läuft die Landung unserer Truppen in der Normandie. Die Deutschen leisten erbitterten Widerstand und wir kommen an vielen Stellen nicht so voran, wie wir das erhofft hatten. Zudem erwarten wir dort täglich den Ansturm der deutschen Panzerdivisionen, die sie bisher zurückgehalten haben. Wir brauchen die Bomber für die Angriffe auf die feindlichen Verteidigungsstellungen und Nachschubwege. Unsere Aufklärung hat in den letzten Monaten eine Vielzahl von Startplätzen ausgemacht. Eine effektive Bombardierung all dieser Startrampen würde eine große Zahl unserer Flugzeuge erfordern. Ich sehe im Moment keine Möglichkeit, diese Angriffe durchzuführen, solange wir uns in Frankreich nicht eine sichere Basis erkämpft haben. Wir müssen alles daransetzen, die Brückenköpfe zu halten und zu erweitern. Wir haben bereits über dreihunderttausend Mann an Land gebracht, ganz zu schweigen von dem Material. Wir dürfen unsere Soldaten und die Landung in der Normandie nicht gefährden, indem wir jetzt die Bomber abziehen, die wir für die Unterbindung der gegnerischen Maßnahmen dringend brauchen.«
Churchill überlegte, dann wandte er sich an den amerikanischen General.
»General Spaatz. Wie sieht es mit ihrer Luftflotte aus?«
»Mr Churchill. Wie Marshall Harris schon sagte, sind die meisten der verfügbaren Kräfte in Frankreich eingesetzt, einige wenige noch zur Aufrechterhaltung der Luftangriffe gegen deutsche Städte und Rüstungsindustrien. Das gilt gleichermaßen für die amerikanischen Bomber. Da die Situation in Frankreich noch auf der Kippe steht, schlage ich vor, unsere Luftstreitkräfte an dieser Front zu belassen und einige Flugzeuge von den deutschen Städten abzuziehen. Ich würde nicht empfehlen, die Luftangriffe in der Normandie zu reduzieren. Ein vorübergehender Abzug weiterer Bomber von den Städten aber ist vertretbar, und da wir nicht wissen, was möglicherweise noch kommt, vielleicht sogar unabdingbar. Als wir die Flugbomben auf Aufklärungsfotos entdeckt haben, hatte doch niemand ernsthaft damit gerechnet, dass sie gegen uns eingesetzt werden könnten. Zumindest nicht in einer so kurzen Zeit. Ich werde umgehend veranlassen, dass ein Teil der Bomber für Angriffe auf die Startrampen zur Verfügung gestellt wird.«
»Vielen Dank, General«, sagte Churchill. »Mr Harris, auch von Ihnen erwarte ich entsprechende Maßnahmen. Prüfen Sie, wie viele Flugzeuge Sie abstellen können. Stimmen Sie sich mit General Spaatz ab. Ich will über ihr Vorgehen und über jeden ihrer Schritte informiert und über deren Ergebnisse auf dem Laufenden gehalten werden.« Damit gab sich Churchill erst einmal zufrieden. »Kommen wir jetzt auf die neuen Fluggeräte, Flugbomben oder wie auch immer wir die Dinger nennen wollen, zurück, Mr Petrie.« Damit wandte er sich David zu. »Ich vermute, dass das aber nicht die Raketen sind, über die Sie uns bereits vor einigen Tagen berichten wollten. Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, wie diese Dinger da ...«, und dabei zeigte er mit dem Finger auf die Luftaufnahmen, die vor ihm auf dem Tisch lagen, »... bis nach Amerika fliegen sollen.«
»Das ist richtig, Sir. Das können die auch nicht. Wie schon angesprochen, starten die Flugbomben nach unseren Erkenntnissen von den Startrampen in Frankreich und Holland. Sie sind also eher als unbemannte Flugzeuge zu betrachten, auch wenn sie eine Art Raketenmotor besitzen. Die Raketen, von denen ich Ende Mai gesprochen habe, starten senkrecht nach oben, haben eine andere Form und sind mit den Flugbomben überhaupt nicht zu vergleichen.«
David stockte kurz und überlegte, wie er es anstellen sollte, Churchill über die vergangenen Vorfälle zu berichten, ohne dabei zu viel preiszugeben. Er wusste, welche Auswirkungen es nach sich ziehen könnte, wenn herauskäme, dass er wichtige Informationen vorenthalte und auf eigene Faust handelte. Trotzdem hielt er sich zurück. Er sah Churchill an, der beide Unterarme auf dem Tisch liegen hatte, den Oberkörper nach vorne gebeugt und fordernd auf Informationen wartete.
»Vor einigen Wochen wurde uns vom schwedischen Außenministerium mitgeteilt, dass ihrem Gesandten in Deutschland detaillierte Informationen über das deutsche Raketenprogramm zugespielt wurden. Carl, der Sohn des schwedischen Gesandten in Berlin, Mr Richert, hatte sich bereit erklärt, die Informationen bei seinem nächsten Flug mitzunehmen. Das war vor zwei Wochen gewesen. Carl ist es gelungen, die Unterlagen unentdeckt nach Stockholm zu bringen. Auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt hatte er einen schweren Autounfall, bei dem ein Teil der Papiere leider verbrannte. Es spricht vieles dafür, dass der Unfall absichtlich von jemandem verursacht worden war, der damit verhindern wollte, dass die Unterlagen in unsere Hände gelangen. Die genaue Ursache konnte bis heute nicht geklärt werden. Tatsache ist, dass ein wichtiger Teil der Dokumente bei dem Feuer verloren gegangen und die Auswertung der verbliebenen Papiere noch nicht abgeschlossen ist. Daher kann ich Ihnen noch nicht im Detail sagen, was darinsteht und ob uns diese weiterbringen. Die Analysen laufen, und sobald ich genauere Ergebnisse habe, erhalten Sie von mir umgehend einen ausführlichen Bericht darüber.«
David musste aufpassen. Er durfte nicht zu viele Informationen zurückhalten. Auch wenn sich die feindlichen Truppen an den meisten Fronten im Rückzug befanden, so war noch lange nicht sicher, dass der Krieg für sie verloren war. Wenn es den Deutschen gelang, die alliierten Truppen in Frankreich zurück ins Meer zu werfen, würde es Jahre dauern, bis diese noch einmal eine so gewaltige Armada an Schiffen und Soldaten aufbringen konnten für einen zweiten Versuch. Die Deutschen könnten dann einen großen Teil ihrer in Frankreich stationierten Truppen an die Ostfront werfen, um diese zu stabilisieren. Wie es dann weitergehen würde, war völlig offen. Denn die massiven Luftangriffe auf die deutschen Städte und Rüstungsbetriebe bewirkten scheinbar keinerlei Rückgang der Produktion und auch die Moral der Bevölkerung litt nicht spürbar darunter. Im Gegenteil.
Es war ein gefährliches Spiel. David riskierte mit seinen Alleingängen, dass mögliche Gegenmaßnahmen zu spät ergriffen wurden und die daraus resultierenden Auswirkungen waren nicht abschätzbar. Aber er war besessen davon, den Deutschen persönlich einen großen Schaden zuzufügen, aus Rache für den Tod seiner geliebten Frau.
In seinen Gedanken sah er Kate erneut vor dem brennenden Haus liegen, ihr Körper halb bedeckt von der Plane und die blauen Augen in ihrem rußverschmutzten Gesicht, die kalt und leer in den Himmel starrten. Er streckte den Rücken in ein leichtes Hohlkreuz. Mit der Hand fuhr er sich über das rechte Auge und spürte die Feuchtigkeit. Ein kurzes Räuspern, dann war er gedanklich wieder in der Besprechung zurück. Churchill interessierte sich glücklicherweise nicht dafür, wie die Unterlagen nach London gelangt waren.
General Spaatz schaltete sich nun in das Gespräch ein und verhinderte so, dass in diese Richtung überhaupt Fragen gestellt wurden. »Ich glaube, nach momentanem Stand sind wir uns einig, dass die neuen Fluggeräte der Deutschen nicht diejenigen sind, die es bis nach Amerika schaffen könnten. Das bedeutet entweder erstens, dass keinerlei Bedrohung in dieser Hinsicht für unser Land besteht und die bisherigen Informationen falsch waren. Oder zweitens, dass die Deutschen verschiedene neue Waffen entwickelt haben, von denen die Erste seit heute Nacht eingesetzt wird und wir nach wie vor einem möglichen Angriff auf die Vereinigten Staaten ausgesetzt sind. Konnten Sie denn in den Unterlagen aus Schweden schon erkennen, was uns möglicherweise noch erwartet?« Die Frage war wieder an David gerichtet.
»General Spaatz. Bei unserem letzten Treffen haben wir bereits über eine neue Rakete, das Aggregat 4, gesprochen und ich bin nach wie vor überzeugt, dass eine solche Rakete existiert. Diese Rakete hat, unseren bisherigen Informationen nach, zwar nur eine Reichweite von unter 200 Meilen und stellt somit nur eine Bedrohung für England dar. Was wir bisher den Unterlagen entnehmen konnten, ist eine Bestätigung dessen, worüber wir bereits gesprochen haben.« David machte eine absichtliche Pause, dann fuhr er fort. »Wir haben auf einem Papier ganz eindeutig einen Hinweis erhalten über ein Aggregat 10. Das Dokument, von dem ich hier spreche, habe ich selbst in Händen gehalten. Es war der Teil einer Skizze einer großen Rakete mit der Überschrift«, er wartete ganz bewusst noch einen kleinen Moment, bevor er mit betonender Stimme fortfuhr, »A10 Amerika.«
David sah das Erstaunen im Gesicht von General Spaatz. Für Washington war dies ein heikler Punkt und Präsident Theodor Roosevelt glaubte diesen Informationen mehr als es Churchill tat. Daher war General Spaatz von höchster amerikanischer Ebene damit vertraut worden, hierzu einen genauen Bericht zu erstellen, der die Möglichkeiten der Existenz einer solchen Waffe klar aufzeigen sollte und ebenso die Gefahr und Auswirkungen, die eine solche Rakete für Amerika und den weiteren Kriegsverlauf haben könnte, zu analysieren. Roosevelt hatte bereits einer Kommission den Auftrag gegeben, die politischen Auswirkungen zu erarbeiten, die bestehen, wenn eine solche Waffe tatsächlich eingesetzt werden würde.
»Mr Petrie«, warf nun Churchill in einem deutlichen Ton ein. »Wenn ich es richtig verstehe, fehlen noch einige der Informationen, die Sie uns zugesagt hatten. Gut. Dafür können Sie nichts. Ich wünsche aber, dass Sie mit allen Mitteln herausfinden, was an den Langstreckenraketen dran ist. Ich will nicht noch einmal eine Überraschung erleben, wie es heute Nacht der Fall war.«
»Jawohl, Sir«, antwortete David. Ein angenehmes Gefühl durchfuhr ihn. Die Aussage des Premierministers erfüllte ihn mit Genugtuung, da er dies als Freibrief auslegen konnte und so seine Schritte legitimiert sah. Natürlich wusste er auch, dass er ihm die vorliegenden Informationen und die in die Wege geleiteten Maßnahmen nicht dauerhaft vorenthalten durfte. Er musste die Aktivitäten mit Churchill absprechen. Er durfte nicht zu viel auf eigene Faust handeln. Das Risiko war zu groß. Es stand so viel auf dem Spiel. Doch noch musste er warten, sonst würde der ihm womöglich sein Vorhaben durchkreuzen. Es war sein Plan und er setzte sich dafür ein, dass die Alliierten diesen Krieg gewinnen werden. Er allein wollte dazu entscheidend beitragen.