Читать книгу Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46 - Rainer Huhle - Страница 11
Die Struktur der Anklage
ОглавлениеDie von den vier Mächten ausgearbeitete Anklageschrift trägt in allen wesentlichen Teilen die Handschrift der Amerikaner. Zu den meistdiskutierten Besonderheiten der Nürnberger Anklage gehört zum einen, dass sie nicht nur gegen (ursprünglich) 24 Personen, sondern auch gegen sechs Organisationen gerichtet war. Das zweite waren die vier Anklagepunkte Verschwörung, Angriffskrieg, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit, die bis auf den Punkt Kriegsverbrechen auch unter den Anklägern umstritten waren. Vor allem der Anklagepunkt der Verschwörung, der im Londoner Statut noch nicht als eigener Anklagepunkt enthalten war, wurde von Jackson mit großem Nachdruck vorgetragen.
Diese beiden entscheidenden Elemente der Anklageschrift wurden ebenfalls von den Analytikern des OSS vorgeformt, vermutlich wieder von Franz Neumann, der auch während der Beratungen in London im amerikanischen Stab anwesend war. Unter den OSS-Dokumenten für die Vorbereitung des IMT findet sich eines, das speziell der Anklage der NS-Organisationen gewidmet ist.40 Zweck des Dokuments war es, die Verantwortlichkeit der verschiedenen NS-Organisationen detailliert zu benennen. Der Entwurf setzt voraus, dass sowohl Personen als auch Organisationen angeklagt werden. Die Anklagepunkte, die den Organisationen darin vorgehalten werden sollen, stimmen mit den späteren Punkten der Nürnberger Anklage überein:
„Anklagepunkt 1: Verschwörung zum Zwecke der Weltherrschaft“
„Anklagepunkt 2: Illegale Kriege und Aggressionen sowie die Verletzung internationaler Abkommen“
„Anklagepunkt 3: Verletzung internationaler Regeln der Kriegführung“
„Anklagepunkt 4: Verbrechen im Inland“
Alle Anklagepunkte werden in dem Dokument detailliert ausgearbeitet und den zahlreichen NS-Organisationen und ihren Untergliederungen zugeordnet. Bemerkenswert ist der vierte Anklagepunkt, der später in der Nürnberger Anklage als „Verbrechen gegen die Menschheit“ erscheint. Aus der Formulierung „Verbrechen im Inland“ wird der Ausgangspunkt dieses Tatbestands deutlich, der gerade die nationalsozialistischen Verbrechen erfassen sollte, die nicht mit dem Krieg zusammenhängen, aber dennoch so gravierend sind, dass sie unter internationales Recht fallen.41 Diese Intention wurde schon im Art. 6 c) des Londoner Statuts verwässert und im IMT-Urteil dann vollends fallen gelassen.