Читать книгу Helenas Vermächtnis - Rainer Keip - Страница 14

6.

Оглавление

Das Läuten der Türglocke riss Diana am nächsten Morgen unsanft aus ihren Träumen und sie schlich, nur mit einem Morgenmantel bekleidet und noch recht verschlafen zu ihrer Haustüre. Sie staunte nicht schlecht, als sie die Tür öffnete und ihr Blick auf Müller fiel, der mit einer Brötchentüte in seiner Hand im Rahmen stand.

„Sie hatte ich um diese Uhrzeit am allerwenigsten auf dem Schirm“, gähnte sie und ließ ihren frühen Gast eintreten.

„Es ist neun Uhr“, grinste er und betrat die Wohnung.

„Haben Sie eigentlich auch einen richtigen Vornamen“, fragte Diana ihn mit missmutiger Stimme, während er ihr ins Wohnzimmer folgte. „Heinz Müller ist ja wohl ein schlechter Scherz.“

„Sie können mich auch Sebastian nennen“, lachte er, „aber der Nachname bleibt.“

„Schon gut. Sie können uns schon mal einen Kaffee kochen während ich mich frisch mache. Die Maschine steht dort hinten“, nuschelte sie und zeigte auf einen Kapselautomaten, der sich auf der Arbeitsplatte befand, während sie in Richtung Bad verschwand. Müller schaute ihr nach und sein Blick glitt über ihre schlanke Figur, die von einem seidenen Morgenmantel umhüllt war.

„Und das nächste Mal ziehe ich einen Frotteemantel an“, hörte er ihre nun belustigte Stimme, als sie die Tür zum Badezimmer schloss. Müller musste grinsen und legte zwei Kapseln in die Maschine. Nach kurzem Suchen fand er Teller, Tassen und etwas Aufschnitt, während er aus dem Bad das Rauschen der Dusche hörte.

Dabei hatte er kurz Dianas Körper ohne ihren Morgenmantel vor Augen. Eine schöne Frau und zudem noch äußerst intelligent, dachte er bei sich, als das Geräusch der Dusche verstummte. Kurze Zeit später kam Diana mit Jeans und T-Shirt bekleidet aus dem Bad. Sie schnupperte den Geruch des frisch gekochten Kaffees und beide ließen sich zum Frühstück nieder.

„Sie wollten mich doch bestimmt nicht nur mit frischen Brötchen überraschen“, fragte sie ihn, während sie eine Hälfte mit einer Nussnougatcreme bestrich.

„Nicht nur. Ich wollte Ihnen den Einstieg in den Tag versüßen. Heute beginnt unsere Mission und dazu muss ich Sie leider entführen.“

„Dachte ich mir schon“, antwortete Diana und trank einen Schluck Kaffee. „Meine Sachen habe ich schon gepackt. Wo geht es hin?“

„Wir haben ein Haus in der Nähe des Schliersees ausgesucht, welches schön abgelegen liegt. Unser Wissenschaftsteam ist schon vor Ort, sodass wir direkt loslegen können. Dort ist man schon sehr gespannt auf Sie.“

„Kann ich mir vorstellen“, kaute sie auf ihrem Brötchen herum. „Für die Egg Heads muss ich so eine Art Alien sein.“

Müller lachte laut auf. „Ganz so ist es wohl nicht, aber es kommt der Sache schon sehr nahe. Wann hat man schon die Gelegenheit, einen Zeitzeugen aus der Antike zu befragen.“

*


Nachdem sie gefrühstückt hatten, holte Diana ihren Trolley und die beiden machten sich auf den Weg ins Voralpenland. Müller hatte nicht zu viel versprochen, als er von einem abgelegenen Haus berichtet hatte. Ihr Aufenthaltsort für die nächsten Tage war ein wunderschöner Berghof, und als sie auf die Terrasse ihres Zimmers trat, empfing sie ein fantastischer Ausblick auf den Schliersee.

„Ein herrliches Panorama“, hörte sie Sebastians Stimme, der ganz Gentleman ihren Koffer nach oben getragen hatte.

„Ja, das muss man schon sagen“, antwortete sie. „Eigentlich hatte ich einen Bunker mit Stacheldrahtverhau und grimmig dreinschauendem Wachpersonal erwartet.“

Müller lachte leise auf. „Die Idylle täuscht etwas. Natürlich ist das Gebäude ...“

„Bewacht“, ergänzte Diana mit einem spöttischen Grinsen. „Ich habe das Aufblitzen eines Zielfernrohres wohl bemerkt und ein Objekt des MADs wird immer geschützt. Sie vergessen anscheinend, dass ich vom selben Verein bin.“

„Nicht im Geringsten, gnädige Frau“, frotzelte Müller und beide mussten lachen.

„Wenn Sie sich eingerichtet haben, melden Sie sich bitte unten. Die Herrschaften sind erpicht darauf, Sie kennenzulernen.“

„Geben Sie mir eine halbe Stunde. Ich komme dann hinunter.“

*


Diana betrat einen großen Konferenzraum und die Blicke aller Anwesenden richteten sich sofort auf sie. Ein großer Mann trat auf sie zu und begrüßte sie herzlich.

„Schön, Sie wiederzusehen, Frau Lenz“, hieß Doktor Rech sie willkommen.

„Hallo Doc. Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen wiedergetroffen“, lächelte Diana ihn an.

Müller machte sie nun mit den anwesenden Wissenschaftlern bekannt.

„Herr Doktor Ulrich Esters“, stellte er einen Mann in mittlerem Alter vor. „Sein Fachgebiet ist die Spätantike. Frau Doktor Inge Paulus, eine Kollegin von Doktor Rech auf dem Gebiet der Psychiatrie und Doktorin für Naturheilkunde. Wolfgang Schwahlen, seines Zeichens Militärhistoriker sowie Dekan Engelskirchen als Vertreter der Römisch-katholischen Kirche aus Rom. Dies sind die Personen, die Sie auf den nötigen Wissensstand bringen, das heißt, die Sie auf die Ereignisse im Jahr 324 n.Chr. vorbereiten sollen. Umgekehrt ist Ihr gesammelter Erfahrungsschatz natürlich für sie von unschätzbarem Wert.“

Diana schaute in die teils skeptisch schauenden Mienen der anwesenden Personen.

„Verzeihen Sie uns bitte unser Misstrauen, aber als wir über den Fall unterrichtet wurden, konnten wir Ihre Geschichte kaum glauben“, sagte Engelskirchen, worauf Schwahlen und Esters nickten.

„Das kann ich voll und ganz verstehen“, antwortete Diana ihm in fehlerfreiem Latein. „Das Latein, welches Sie verwenden, entspricht nicht ganz dem, wie es zur Zeit der Spätantike gesprochen wurde“, lächelte sie, als sie in der Sprache fortfuhr und amüsiert den verblüfften Gesichtsausdruck des Manns aus Rom studierte.

„Sie sind wirklich mit Helena zusammengetroffen?“, fragte er fast ehrfürchtig.

„Ja. Sie war mir eine gute Freundin und ich hoffe, dass ich sie mit Ihrer aller Hilfe bald wiedersehen werde.“

„Ich möchte Ihnen am liebsten tausend Fragen gleichzeitig stellen“, meldete sich Dr. Esters.

„Sie werden genug Zeit füreinander haben“, bemerkte Müller nun. „Dafür sind wir schließlich hier.“

*


In den folgenden Tagen wurde Diana mit Fragen bestürmt und immer wieder musste sie alle Einzelheiten ihrer Reise berichten. Engelskirchen war erpicht darauf, alles über die Frühkirche in Erfahrung zu bringen, während sich Esters für alles interessierte, was das allgemeine Leben in der Zeit betraf. Als Diana über ihren Werdegang in der Garde Constantins berichtete und dass sie eine Legion im Rang eines Legaten ins Feld geführt hatte, wurde Schwahlen fast ohnmächtig. Als sie ihm dann noch berichtete, dass sie Maxentius an der Milvischen Brücke eigenhändig getötet hatte, geriet er völlig aus der Fassung.

Er fragte sie die halbe Nacht über die Taktiken, Schlachtordnungen, Truppenteile und über deren Bewaffnung aus.

Nachdem sie ihnen fast alle Fragen beantwortet hatten, gingen sie zu dem Teil über, der sie selbst betraf. Schwahlen berichtete ihr über die Schlachten im Jahr 324, deren bekannten angewandten Taktiken und über deren Ausgänge und Engelskirchen gab Auskunft über die bekannten Begebenheiten der Pilgerreise Helenas ins Heilige Land, während Esters sie noch etwas über die Gepflogenheiten schulte, obwohl ihr diese bestens bekannt waren. Frau Dr. Paulus gab ihr indessen Nachhilfe in der Naturheilkunde, deren Wissen sie bestimmt benötigen würde.

Nach einer Woche hatten sie alle Informationen ausgetauscht und Diana suchte Müller auf, der sich in dieser Zeit recht rar gemacht hatte.

„Ich glaube, wir sind durch“, teilte sie ihm mit, als sie zusammen das Mittagessen einnahmen.

„Ich habe mit ihren Gesprächspartnern gesprochen und diese sind ebenfalls der Meinung. Wenn ich das Leuchten in deren Augen richtig gedeutet habe, haben Sie ihnen wertvolle Erkenntnisse überbracht.“

„Besonders Engelskirchen war begeistert und hat mir Löcher in den Bauch gefragt“, grinste sie. „Wann können wir loslegen? Ich brenne darauf, wieder in den Einsatz zu gehen.“

„Gönnen Sie sich noch drei Tage. Bis dahin haben wir alle Vorbereitungen getroffen und Sie können sich mental auf Ihre Aufgabe vorbereiten. Nervös?“

„Wie ein Rennpferd vor dem Start“, beantwortete Diana seine Frage. „Und gleichzeitig Vorfreude. Kann ich Georg kontaktieren?“

„Natürlich. Er hat eine so hohe Geheimhaltungsstufe; da sehe ich kein Problem.“

„Gut. Dann mache ich mich gleich auf nach München und bereite mich auf das Unternehmen vor. Wir sehen uns dann in drei Tagen.“

*


Diana verabschiedete sich von Müller sowie den anderen und machte sich auf den Weg zurück in die bayerische Landeshauptstadt.

Dort fuhr sie schnurstracks zum Franz-Josef-Strauß-Flughafen, nahm eine Maschine nach Köln und stand am späten Nachmittag vor Georgs Haus, dem sie vorher in einer WhatsApp-Nachricht ihr Kommen avisiert hatte.

„Sehnsucht nach deinem alten Bruder?“, begrüßte er sie herzlich und umarmte seine Schwester.

„Das auch“, lächelte sie, „aber der eigentliche Grund meines Kommens ist ein anderer.“

Sie erzählte ihm ausführlich von den Ereignissen der letzten Tage und Georg hörte ihr schweigend zu.

„Ich habe von dem Verschwinden der Leute gehört“, sagte er, als sie ihre Schilderung beendet hatte, „und ich hatte so meine Vermutung. Du gehst also wieder zurück!“, stellte er fest.

„Ja und ehrlich gesagt, kann ich es kaum erwarten.“

„Trotz der Risiken?“, wandte Georg ein.

„Derer bin ich mir bewusst.“

Sie teilte Georg ihre Bedenken wegen der Nichterwähnung in Helenas Pergament bezüglich ihres zweiten Aufenthalts mit.

„Das kann tausend andere Gründe haben“, sagte er lapidar.

„Und das ist meine Hoffnung. Aber sei es wie es ist. Ich habe mich entschieden und wollte dich auf jeden Fall vor meiner Abreise ins Ungewisse noch einmal treffen“, lächelte Diana ihn an.

Die beiden verbrachten zwei unbeschwerte Tage miteinander und schließlich hieß es Abschied nehmen.

„Pass gut auf dich auf“, sagte Georg, als er seine Schwester in den Arm nahm und herzlich drückte. „Und viel Erfolg.“

„Mach ich, großer Bruder“, flüsterte sie. „Ich schaffe das schon.“

Diana schnappte sich ihren Trolley und ging zu dem bereits wartenden Taxi, das sie zum Flughafen Köln/Porz brachte.

*


Diana lag in einem abgedunkelten Raum, etliche Messgeräte waren an ihrem Körper befestigt und sie lauschte der Stimme von Dr. Rech.

„Wir werden dasselbe Procedere durchführen wie beim letzten Mal. Dieselben Fragen und derselbe Ablauf. Sie hatten uns geschildert, dass Sie auf das spezielle Ereignis in der Vergangenheit erneut reagiert haben.“

„Ja, das ist richtig. Da es sich ziemlich am Ende meines Aufenthaltes ereignete, halte ich es für möglich, dass die Spannungen, oder Schwingungen, ganz wie sie wollen, in meinem Geist zugenommen haben und ich deshalb so empfindlich reagierte. Zu diesem Zeitpunkt stand ich unter einer seelischen Belastung und das kann die Ursache für meine Ohnmacht gewesen sein.“

Absolute Ruhe legte sich über den Raum und nur Dr. Rechs ruhige Stimme war in der Stille zu vernehmen. Gespannt beobachteten Esters, Engelskirchen und Schwahlen das Geschehen an ihren Monitoren. Irgendwie erwarteten sie wohl, dass bläuliche Blitze durch den Raum zucken würden, wenn Diana sich auf ihre spezielle Reise begeben würde, aber alles blieb ruhig. Der Raum war lediglich in ein dunkelgrünes Dämmerlicht getaucht und man hörte die monotone Stimme von Rech.

„Atmen Sie tief und ruhig ein und aus, ein und aus, ein und aus“, sagte Rech in leisem Tonfall. Man konnte spüren, wie sich Dianas Körper entspannte und ihr Bauch sich unter ihren ruhigen Atemzügen hob und senkte.

„Wir gehen fünf Jahre zurück. Was erleben Sie gerade?“

„Ich komme von einem Einsatz zurück und erstatte Blankenstein Bericht über ein Terrorlager des IS. Zwei deutsche Frauen habe ich dort herausgeholt und den irakischen Sicherheitskräften übergeben.“

„Ein schönes Gefühl?“

„Ja, ungemein befriedigend“, sagte Diana leise.

„Gehen wir weitere fünf Jahre zurück.“

Dianas Miene wurde angespannter.

„Ruhig weiter ein- und ausatmen, ein und aus“, wirkte Rech beruhigend auf sie ein.

„Wir stehen unter Beschuss in Mumbai. Terroristen haben Anschläge auf Hotels begangen, in denen sich deutsche Staatsbürger befinden. Es gibt viele Tote.“

„Weitere fünf Jahre zurück“, erklang die leise Stimme von Rech.

Alle hielten den Atem an und die Nerven der Anwesenden waren bis zum Zerreißen gespannt. Dianas Augenlider fingen an zu flattern.

„Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe?“, schrie sie plötzlich und ihr ganzer Körper erbebte.

„Ich will das nicht noch einmal erleben. Warum tun Sie mir das an?“

„Was sehen Sie?“, fragte Rech mit immer noch ruhiger Stimme und nickte einer Assistentin zu, die damit begann, Dianas Gehirn mit der Reizüberflutung der gesammelten Aufzeichnungen über das Jahr 324 zu überschütten.

„Ich bin kein Monster! Ich habe das nicht gewollt! Kinder sind ...“, kreischte sie und ihr Körper bäumte sich erneut auf, um kurz darauf wie ein Ballon, dem man plötzlich die Luft entzogen hatte, in sich zusammen zu fallen. Rech setzte die Injektionsnadel und spritzte ihr das Mittel, das sie schon vor einem halben Jahr in der gleichen Situation erhalten hatte.

Dianas Körperfunktion sanken auf ein Minimum herab, waren aber gleichzeitig stabil.

„Genau derselbe Zustand wie damals“, resümierte Rech. „Sie hat es, denke ich, geschafft.“

„Jetzt fragt sich nur, ob auch alles andere so funktioniert, wie wir es geplant haben“, sagte Müller, der aus dem Dunklen hervorgetreten war.

Helenas Vermächtnis

Подняться наверх