Читать книгу Helenas Vermächtnis - Rainer Keip - Страница 17

Оглавление

2.


Rech und die anderen Wissenschaftler schauten auf die Monitore, auf denen die Lebensfunktionen des Körpers aufgezeichnet wurden, der scheinbar leblos vor ihnen auf dem schmalen Krankenhausbett lag.

„Ob sie es geschafft hat?“, fragte Müller an die Adresse von Doktor Rech, der neben ihm stand und auf Diana Lenz Gestalt blickte.

„Auf jeden Fall ist ihr Geist wieder auf die Reise gegangen und wir können nur hoffen, dass sie in der richtigen Zeit angekommen ist. Ihre Körperfunktionen sind im normalen Bereich und sie ist in den gleichen katatonischen Zustand gefallen wie vor einem Jahr.“

„Haben wir schon Bilder empfangen?“

„Nein. Jetzt ist gerade ihr Schlafzentrum aktiv. Man kann also davon ausgehen, dass sie ruht.“

„Das ist ja schon einmal beruhigend“, sagte Müller leise und betrachtete den ruhig daliegenden Körper Dianas. Er bewunderte den Mut dieser Frau, die sich ohne zu zögern auf dieses Experiment eingelassen hatte. Und er ahnte, dass sie nicht nur wegen der verschwundenen Leute ihr Leben auf Spiel gesetzt hatte. Vielmehr ging es ihr darum, erneut die sozialen Kontakte mit den Menschen herzustellen, die sie als ihre Familie betrachtete. Er strich ihr zärtlich über die Stirn und wischte eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht.

„Viel Glück, Diana. Wir passen auf dich auf“, murmelte er und verließ leise den Raum.

*


Als Diana die Augen aufschlug, war es draußen noch stockfinster. Im Schein der Öllampen erkannte sie Julia, die ein paar ihrer Habseligkeiten in einen Beutel stopfte. Als Diana laut gähnte wandte sie sich um.

„Guten Morgen, Schlafmütze“, lächelte Julia sie fröhlich an.

Diana reckt sich und schlich zu einer Waschschüssel, die Julia schon mit warmem Wasser bereitet hatte. Diana zog die Tunika über ihren Kopf und begann mit ihrer Morgentoilette.

„Ein Brustband brauchst du immer noch nicht“, kicherte Julia und wich geschickt einem Lappen aus, den Diana lachend nach ihr geworfen hatte.

„Hast du irgendwelche Waffen im Haus?“, fragte Diana.

„Hier nicht, aber in der Schmiede findest du bestimmt etwas. Allerdings ist das nicht dieselbe Qualität wie die von Tullius“, entgegnete Julia und Diana sah, wie sich ein leichter Schatten über ihr Gesicht legte. Diana öffnete die Tür und trat ins Freie, wo sich gerade die Morgendämmerung einstellte. Alles war ruhig, als sie leise zur Schmiede ging und die Türe öffnete.

Nein, das war nun wirklich nicht dieselbe Schmiede wie zu Tullius Lebzeiten. Alles sah unaufgeräumt aus und Werkstücke lagen verstreut auf dem Boden herum. Sie nahm zwei Dolche sowie ein halbwegs taugliches Kurzschwert von der Wand, welches sie prüfend in ihrer Hand wog und beeilte sich, wieder nach draußen zu kommen. Der Wind peitschte ihr sofort ins Gesicht und sie flüchtete in die Hütte, wo Julia ihr bereits ein paar winterfeste Sachen herausgelegt hatte.

„Nicht gerade das beste Wetter für einen Ausflug“, frotzelte sie, aber das Leuchten in ihren Augen sprach Bände.

„Es wird keine Vergnügungsreise, meine Liebe“, bremste Diana ihre Euphorie. „Ich habe eine Mission zu erfüllen und die wird hart genug sein.“

„Eine Mission?“, schaute Julia sie fragend an.

„Ich kann dir nichts Näheres darüber verraten“, wich Diana ihrer Frage aus, „jedenfalls jetzt noch nicht.“

Julia zuckte mit den Schultern. „Ist mir auch egal, solange ich von hier wegkomme und nicht mehr mit Glaucos zusammenleben muss“, antwortete sie leichthin.

Diana schlüpfte in ein paar bequeme Stiefel, warf sich eine schwere Palla über, die sie halbwegs vor Wind und Wetter schützte und die beide Frauen brachen in Richtung Trier auf.

Nach einem langen Fußmarsch, die Sonne stand bereits hoch am Himmel, tauchten vor ihnen die ersten Gebäude von Spicarium auf. Dort herrschte längst geschäftiges Treiben und Diana war neugierig, ob die Schenke, in der sie damals untergekommen und auf Theophanos getroffen war, noch stand. Schon aus einiger Entfernung bemerkte sie das Haus, das sich allein schon durch seine Größe von den umliegenden Bauten abhob. Die beiden steuerten das Mansio an, um sich ein ausgiebiges Frühstück zu gönnen und betraten die Gaststube, wo sie von der Wirtin neugierig gemustert wurden.

„Julia!“, rief die Schankwirtin aus und begrüßte sie mit einer kurzen Umarmung. „Dass du hier einmal vorbeikommst ... Aber das hätte ich mir ja denken können. Du suchst bestimmt Glaucos. Der schläft oben seinen Rausch aus. Soll ich ihn wecken, um ihm Bescheid zu sagen, dass du da bist?“

Julia erschrak und wurde kalkweiß im Gesicht.

„Bloß nicht“, raunte sie ihr im verschwörerischen Ton zu. „Ich habe mich von ihm getrennt und will ihn nie mehr wiedersehen.“

„Recht so, Kind“, antwortete die Wirtin mit einem verschmitzten Lächeln. „Du hast jemand anderen verdient als diesen Trunkenbold. Kein Sterbenswörtchen werde ich verraten, dass du hier warst. Und wer ist deine Begleiterin?“

Sie musterte Diana von oben bis unten und plötzlich erhellt sich ihre Miene.

„Die Bardin“, rief sie erfreut aus. „Wenn das mein Didius, Gott habe ihn selig, noch hätte erleben dürfen.“

Sie umarmte Diana wie eine alte Freundin und schob die beiden zu einem Ecktisch.

„Dein Mann ist verstorben?“

„Ja. Ihn haben vor zwei Jahren die Blattern geholt“, sagte sie mit einem Seufzer in ihrer Stimme.

„Das tut mir leid. Er war ein guter Mann.“

„Das war er. Aber das Leben geht weiter“, antwortete sie mit müder Stimme. „Ihr wollt sicher ein Frühstück“, beeilte sie sich zu sagen und verschwand flink in der Küche.

„So, so. Glaucos ist also hier“, stellte Diana fest. „Aber das soll uns nicht kümmern. Wenn er uns hier noch antreffen sollte können wir ihn direkt vor vollendete Tatsachen stellen. Und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm“, sagte Diana.

„Wenn du bei mir bist, habe ich keine Angst vor ihm“, antwortete Julia mit fester Stimme.

Bald darauf kehrte die Wirtin mit einem Laib frischem Brot, Schmalz und etwas Käse zurück. Dazu servierte sie ihnen einen Becher warmen Mulsum (Wein mit Honig gemischtes Getränk), den die beiden Frauen gierig leerten. Nachdem sie das Mahl sichtlich genossen hatten, standen die beiden auf und wandten sich zur Türe, als sie hinter ihnen eine laute Stimme hörten.

„Hattest du Sehnsucht nach mir und mich deshalb gesucht?“

„Es ist eigentlich gut, dass wir uns hier treffen“, sagte Julia ruhig und drehte sich um.

Glaucos stand in der Mitte der Treppe und schaute sie mit höhnischem Grinsen an.

„Ja, das stimmt. Und jetzt schwinge deinen Hintern aus der Schenke und mach das du nach Hause kommst“, rief er ihr zu.

Nun drehte sich auch Diana um.

„Du scheinst vergessen zu haben, was ich dir gestern Abend gesagt habe“, sagte sie mit einem gefährlichen Unterton in ihrer ansonsten ruhigen Stimme.

„Ich war völlig betrunken. Ansonsten hätte ich dir schon Manieren beigebracht“, zischte er. „Und jetzt geh mir aus dem Weg oder willst du mein Messer spüren?“

Glaucos zog einen Dolch aus seinem Gürtel und fuchtelte damit wild herum.

Ein paar frühe Gäste standen hastig von ihren Tischen auf und beeilten sich, die Schenke zu verlassen, während die Wirtin auf Glaucos einredete, um ihn dazu zu bewegen, das Messer wegzustecken.

„Ich habe noch eine Rechnung mit der Metze zu begleichen“, knurrte er und bewegte sich auf Diana zu, die wie ein Fels mitten im Raum stand.

„Du kannst bezeugen, dass ich mich nur verteidigt habe“, wandte sie sich ruhig an die Wirtsfrau und wartete Glaucos plumpen Angriff ab. Er stieß mit dem Messer nach vorne und Diana wich der Attacke mühelos aus.

„Glaucos!“, rief Julia mit schneidender Stimme. „Diese Frau hat ganz alleine Festus und drei seiner Männer erledigt. Und auch nach allem, was du mir angetan hast, will ich nicht, dass du genauso endest wie sie. Bitte, geh deiner Wege und lass uns in Frieden ziehen. Diana wird dir keine zweite Chance geben.“

Glaucos’ Blick wurde unsicher. Natürlich hatte er von der Geschichte gehört, die sich vor langer Zeit in seinem Dorf abgespielt hatte und Diana war dort zu einer Art Legende geworden. Er schaute zu Julia und dann kreuzte sein Blick den Dianas, die ihn mit eiskalten Augen musterte.

„Sie hat recht. Bis jetzt habe ich dich nur ihretwegen verschont, aber auch meine Geduld hat Grenzen. Versuche es und du wirst hier und heute sterben. Wir drehen uns jetzt um und gehen. Und sei gewiss, wenn du mir noch einmal über den Weg läufst, werde ich dich töten. Das ist keine Drohung, sondern ein Versprechen.“

Die beiden wandten sich um, verließen die Schenke und ließen einen vor Wut bebenden Mann zurück.

„Danke“, sagte Julia leise und fasste Dianas Hand.

„Ich hätte ihn nicht getötet“, antwortete sie. „Er mag zwar ein Scheusal sein, aber den Tod hat er nicht verdient. Soll er zur Schmiede zurückkehren und dort versauern. Wir haben Wichtigeres zu tun.“

Die beiden schlenderten in Richtung des Marktplatzes, wo sich Diana wieder mit dem Nötigsten eindeckte.

„Und jetzt machen wir uns auf nach Augusta Treverorum.“

„Hast du dort etwas bestimmtes vor?“, fragte Julia neugierig.

„Ich hoffe, dort ein paar alte Bekannte wiederzutreffen.“

„Etwa auch die vornehme Dame?“

„Die auch“, schmunzelte sie und beschleunigte ihren Schritt.

Helenas Vermächtnis

Подняться наверх