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3.


Alessandro Metello stand in einem blauen Morgenmantel gekleidet auf der Terrasse seiner Villa, die sich inmitten einer alten Parklandschaft auf einem kleinen Hügel im Stadtteil Parioli im Norden von Rom befand.

Es war früher Morgen und er lauschte auf das Zirpen der Zikaden, die sich in den Zypressen niedergelassen hatten und den sonnigen Apriltag begrüßten. Alessandros Blick fiel auf den Tiber, dessen braunes, träges Wasser langsam in die ewige Stadt floss, so wie schon seit tausenden von Jahren.

„Was hast du schon alles gesehen?“, sinnierte er und vor seinen Augen sah er die prachtvollen Bauten seiner Vorfahren, von denen größtenteils nur noch Ruinen übriggeblieben waren. Sein Blick schweifte weiter über die Villa Borghese und in der Ferne erblickte er die gewaltigen Umrisse des flavischen Amphitheaters und des Forum Romanums. Gedankenverloren nippte er an seinem Espresso und wieder schweiften seine Gedanken in die ferne Vergangenheit. Es schien ihm fast so, als hätte er das Geschrei der fünfzigtausend Zuschauer vernehmen können, welche den Spielen in der antiken Arena ihre Aufmerksamkeit widmeten und er stellte sich vor, wie seine Ahnen ebenfalls in Jubelstürme ausbrachen, wenn die Gladiatoren zu ihren Kämpfen in der Arena erschienen. Und die Vorstellung war gar nicht so abwegig.

Alessandros Familienstammbaum reichte bis in die Antike zurück, genauer gesagt bis in das Jahr 284 vor Christus. Er gehörte einem Zweig der Gens Metelli an, die zu den wichtigsten und reichsten Plebejerfamilien in Rom gehörten und deren Mitglieder viele Male den Posten eines Konsuls innehatten. Die Fähigkeit zum Regieren hatte sich anscheinend in ihren Genen vererbt, da er als Staatssekretär im Auswärtigen Amt Italiens tätig war und einen hohen Machteinfluss besaß, wie fast alle seine männlichen Vorfahren, die zum Hochadel der italienischen Gesellschaft gehörten.

„Was beschäftigt dich am frühen Morgen?“, hörte er die seidenweiche Stimme seiner Frau Chiara an seiner Seite.

„Nichts Besonderes“, lächelte Alessandro und legte seinen Arm um ihre Schulter. „Die Aussicht fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Hier kann ich Ruhe und Kraft tanken. Wird ein schwerer Tag heute.“

„Wann fliegst du nach Schanghai?“

„Um fünfzehn Uhr. Allerdings muss ich vorher noch ins Amt, um die restlichen Details zu besprechen. Monti legt, wie du weißt, großen Wert auf Perfektion. Aber bis dahin haben wir noch genug Zeit“, antwortete er und ging mit seiner Frau ins Speisezimmer.

Sie betraten den eleganten Salon, wo die Hausangestellten ein üppiges Frühstück für sie bereitet hatten. Alessandro und seine Frau nahmen an einem Tisch Platz, der sich direkt vor der Veranda befand und ebenfalls einen herrlichen Ausblick gewährte.

Er nahm einen Schluck Kaffee zu sich und spürte plötzlich ein leichtes Kribbeln, das sich von seinen Füßen aus auf seinen ganzen Körper ausdehnte, gleichzeitig jedoch eine gewisse Leichtigkeit in ihm verbreitete. Verdutzt schaute er auf seine Hand, die ihm im morgendlichen Licht der Sonne fast durchsichtig erschien. Er blickte genauer hin und erkannte das Blut, das durch seine Adern strömte. Er hörte einen leisen Schrei, hob seinen Kopf und sah in das vor Schreck erstarrte Gesicht Chiaras, die ihn mit weit aufgerissenen Augen entsetzt anschaute. Alessandro schob den Ärmel seines Morgenmantels nach oben und sah, dass sein Arm denselben Zustand aufwies wie seine Hand. Voller Panik entledigte er sich des Mantels und musste feststellen, dass sein ganzer Körper von diesem Phänomen betroffen war. Ein lautes Scheppern von zerbrechendem Porzellan brachte ihn wieder in die Realität zurück. Chiara war aufgesprungen, schrie nach Hilfe und eilte auf ihn zu. Sie legte ihre Hände um seinen Kopf und schrie etwas, was er jedoch nicht verstand und die Umgebung um ihn herum schien plötzlich wie in trüber Milch getaucht zu sein.

„Was geschieht hier mit mir?“, war sein letzter Gedanke als sich das Licht schlagartig auf einen Punkt zusammenzog und für immer erlosch.

*


Chiara Metello starrte fassungslos auf den seidenen Morgenmantel, der halb auf dem Stuhl lag, auf dem sich vor wenigen Sekunden noch ihr Mann befunden hatte. Alessandro hatte sich praktisch vor ihren Augen in Luft aufgelöst und war verschwunden. Chiara wurde schwarz vor den Augen und sank leblos in die Arme einer Hausangestellten, die auf ihren Hilferuf sofort in den Salon geeilt war. Sie rief nach dem Hausherrn, aber niemand antwortete und ihr fragender Blick fiel auf den dunkelblauen Morgenmantel, der ausgebreitet auf dem Boden lag.

Helenas Vermächtnis

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