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Ankunft 1.

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Diana schlug fröstelnd die Augen auf und ihr Körper zog sich vor Kälte zusammen. Im Gegensatz zu ihrer ersten Reise wusste sie sofort, was geschehen war. Sie befand sich nicht mehr in dem Haus am Schliersee, sondern wieder in der freien Natur. Fast augenblicklich setzten ihre Sinne ein und sie spürte wieder das Besondere, Einzigartige, Fremde und zugleich doch so Bekannte. Ihr war kalt, bitterkalt und der eisige Wind gepaart mit kräftigem Regen, der wie kleine, eisige Nadelstiche auf ihren Körper prasselte, ließ sie erschauern.

Der Zeitsprung war gelungen, das war ihr sofort bewusst. Sie richtete sich leicht auf und inspizierte vorsichtig ihre Umgebung. Wie schon damals konnte sie keine Menschenseele erspähen, nur das Geplätscher des nahen Flusslaufes kam ihr bekannt vor.

Das ist doch nicht möglich, dachte sie und ließ sich auf allen Vieren nieder. Wieder war sie nackt, aber dieser Umstand erstaunte sie diesmal nicht sonderlich. Vorsichtig schlich sie in die Richtung des Flusses und erkannte schlagartig, dass sie sich an derselben Stelle wie vor über einem Jahr befand.

Hier muss irgendeine Anomalie im Raum-Zeitgefüge herrschen, dachte sie, während sie ihre Arme um ihren nackten Körper schlug und ihn rieb. Das Ganze konnte kein Zufall sein. Aber es hatte einen durchaus positiven Aspekt. Sie wusste genau wo sie sich befand und war mit der Umgebung vertraut.

„Zunächst brauche ich wie damals etwas zum Anziehen und zwar so schnell wie möglich, sonst hol ich mir hier den Tod“, sagte sie zu sich und wandte sich in die Richtung des kleinen Dorfes, in dem sie damals fast eine Woche verbracht hatte.

Diana schlug den geraden Weg dorthin ein und schon nach kurzer Zeit erblickte sie die kärglichen Hütten des Weilers. Eine der Behausungen stach ihr besonders ins Auge und ein warmes Lächeln umspielte ihre vor Kälte blauen Lippen.

Mittlerweile war das fahle Tageslicht fast verschwunden und die Dämmerung trat ein. Vorsichtig näherte sie sich der Hütte und beobachtete ihre Umgebung. Nach einiger Zeit öffnete sich die Türe des kleinen Hauses und eine weibliche Gestalt verließ das Gebäude.

*


„Wohin willst du wieder?“, hörte sie die herrische Stimme eines Mannes, der offensichtlich stark angetrunken war.

„Nur die Töpfe säubern“, antwortete die Frau mit müder Stimme und Dianas Herz machte vor Freude einen Sprung. Das war Julia, aber wer war der Mann? Seine Stimme glich in keiner Weise der von Tullius und nie hätte er in diesem Tonfall mit ihr gesprochen. Etwas an der Haltung Julias war Diana sofort aufgefallen. Das war nicht die junge, fröhliche Frau die sie kannte. Diese Julia ging mit schleppenden Schritten zu dem Anbau, von dem Diana wusste, dass dort die Speisen zubereitet wurden. Mit matten Bewegungen begann sie, langsam die kupfernen Töpfe zu reinigen. Im Nu war Diana auf den Beinen und schlich auf die Frau zu, die gedankenverloren mit Sand den Kupfertopf bearbeitete.

„Erschrecke nicht, Julia, und gib keinen Laut von dir“, flüsterte Diana der Frau zu, als sie diese erreicht hatte. „Ich bin es, Diana.“

Julias Gestalt erstarrte wie zu einer Salzsäule und der Topf entglitt mit einem Gepolter ihren Händen.

„Was ist denn da draußen los?“, hörte Diana die aufgebrachte Männerstimme aus dem Inneren der Hütte. „Was hast du jetzt schon wieder angestellt, du dumme Kuh?“

Diana legte ihre Hände um Julias Schultern und drehte sie langsam herum. Als Diana in die Augen der Frau blickte, bemerkte sie die dicken Tränen, die deren Wangen hinunterkullerten.

„Du bist wieder da“, flüsterte sie und legte ihre Hände auf Dianas Wangen. Dann löste sich ihre Starre und ihre Arme flogen um Dianas Körper, um sie fest zu umarmen. Sie heulte wie ein Schlosshund und Diana streichelte ihr übers Haar.

„Alles wird gut, Kleines“, raunte sie ihr zu, „was immer hier auch geschehen ist.“

Plötzlich ging ein Ruck durch die junge Frau. Sie löste die Umarmung, schaute Diana an und ein Lächeln umspielte ihre Lippen.

„So wie immer“, sagte sie leise mit einem ironischen Ton, als sie Dianas nackte Gestalt musterte, die zitternd vor Kälte vor ihr stand.

Diana hatte plötzlich eine andere Frau vor sich. Mit durchgedrücktem Rücken wandte sie sich der Hütte zu und verschwand in deren Innerem, während Diana wieder die Stimme des Mannes hörte.

„Verfluchtes Weibsstück. Kein Tropfen Met ist im Haus. Los, hol mir sofort einen neuen Schlauch.“

„Hol ihn dir gefälligst selbst, du versoffenes Miststück“, vernahm Diana Julias Stimme, die unmittelbar danach mit einer dicken, wollenen Tunika zurückzukehrte, die sich Diana rasch über den Kopf warf.

„Na warte. Ich werde dir schon zeigen, wer hier der Herr im Haus ist“, hörte sie, begleitet von einem Rumpeln und Poltern die Männerstimme aus dem Inneren der Hütte. Mittlerweile waren die Bewohner der benachbarten Katen neugierig vor ihre Türen getreten, um zu sehen, was sich da abspielte. Diana schaute Julia an, die sich nun rasch hinter ihrem Rücken versteckte, als ein großer, vierschrötiger Mann schwankend im Türrahmen erschien. Wie Diana schon vermutet hatte, war es nicht Tullius, sondern ein ihr völlig Unbekannter.

Er schaute sich suchend um und entdeckte Julia, die sich hinter Diana befand. Leicht schwankend stapfte er auf die beiden Frauen zu.

„Wer bist du denn?“, lallte er, „Dich habe ich hier noch nie gesehen!“

„Eine alte Freundin von Julia. Ich war hier in der Nähe und dachte mir, dass ich sie einmal besuche“, entgegnete Diana mit ruhiger Stimme.

„Verschwinde von hier. Meine Frau braucht keine Freundin. Und jetzt geh aus dem Weg, damit ich ihr Manieren beibringen kann.“

„Weil sie dir versoffenes Schwein kein Met gebracht hat?“, fragte Diana ihn mit einem gefährlichen Unterton

Das Gesicht des Manns lief puterrot an.

„Wie hast du mich genannt?“, zischte er und schob sich näher an Diana heran.

„Ein versoffenes Schwein, wobei ich mich noch höflich ausgedrückt habe.“

Fassungslos vor Wut stierte er sie an, holte mit seinem rechten Arm aus und fand sich einen Atemzug später mit Dianas Fuß in seinem Nacken auf dem Boden wieder, während sie ihm gleichzeitig den Arm umdrehte.

„Du wirst jetzt Folgendes tun“, raunte sie ihm zu, während sie seinen Arm etwas höher zog und er laut aufschrie. „Du wirst sofort dieses Dorf verlassen und nie mehr zurückkehren. Ansonsten werde ich dir dein feistes Genick brechen und damit würde ich mich noch gnädig zeigen. Einen solchen Abschaum wie dich hat Julia nicht verdient. Und wage es ja nicht, dich Julia noch einmal zu nähern. Dann lernst du mich von einer Seite kennen, die du dir in deinen schlimmsten Albträumen nicht vorstellen kannst. Haben wir uns verstanden?“

Diana verstärkte den Hebel noch etwas und wieder heulte der Mann auf, während er heftig mit dem Kopf nickte. Diana löste den Griff und er stand schwankend auf. Er stierte sie an und erkannte in eine eiskalte Entschlossenheit in ihrem Blick.

Mit herabhängenden Schultern drehte er sich herum und verschwand langsam in der Dunkelheit. Diana drehte sich zu Julia herum, die sie mit strahlendem Gesicht anschaute.

„Das hat Glaucos schon lange verdient“, sagte ein älterer Mann, der sich aus der Menge der Dorfbewohner auf Diana zubewegte. „Du kommst mir bekannt vor“, musterte er sie. „Du siehst aus wie jemand, der vor langer Zeit einmal ... Beim Jupiter, du bist es wirklich!“, rief er aus und reichte ihr seine schwielige Hand. „Du hast damals Festus und seine Bande erledigt. Aber wie ...? Du bist kein bisschen gealtert.“

„Das täuscht“, antwortete Diana und erwiderte herzlich seinen Händedruck.

„Leute, dieser Frau haben wir es zu verdanken, dass unser Dorf überhaupt noch existiert!“, rief er den restlichen Dorfbewohnern zu.

„Ihr habt damals auch euren Anteil daran geleistet“, bremste Diana seine euphorische Stimmung. „Aber lasst uns morgen weiterreden. Ich möchte mich gerne mit Julia unterhalten, um zu erfahren, was hier eigentlich los ist.“

„Natürlich. Aber Morgen feiern wir zu deiner Ankunft ein Fest und ich hoffe, dass du wieder so wie damals singen wirst.“

„Das werde ich mir nicht nehmen lassen“, lächelte Diana und folgte Julia in die Hütte.

*


„Das riecht hier ja wie in einer Schenke“, rümpfte Diana ihre Nase, als sie den Raum betrat. Julia entzündete drei Öllampen und die beiden saßen sich im flackernden Licht gegenüber.

„Ich kann nicht glauben, dass du wieder zurückgekehrt bist“, flüsterte Julia und fuhr mit ihrer Hand über Dianas Wange. „Etwa ein halbes Jahr, nachdem du gegangen warst, kam eine vornehme Frau in unser Dorf und übergab uns eine Menge Geld. Sie erzählte uns, dass du tot seist und uns diese Barschaft hinterlassen hast.“

„Das dachte sie auch, aber wie du siehst lebe ich noch. Was ist mit Tullius und wer ist dieses Scheusal?“

Bei der Erwähnung von Tullius Namen brach Julia in Tränen aus und fing bitterlich an zu weinen. Diana nahm deren Kopf an ihre Schulter und die beiden saßen eine ganze Weile beieinander.

„Tullius ist tot. Er ist vor vier Jahren gestorben. Plötzlich hatte er unerträgliche Schmerzen in der rechten Seite, etwa hier“, und sie zeigte auf ihre Leistengegend. „Dann bekam er hohes Fieber und zwei Tage später war er tot.“

Diana wusste sofort worum es ging. Er war an einer Blinddarmentzündung gestorben, behielt dies jedoch für sich.

„Glaucos war damals der Geselle von Tullius. Was sollte ich machen? Ich hatte eine Schmiede geerbt und was war natürlicher, als dass Glaucos sie weiterführte. Anfangs war er nett und hat mir sehr über meinen Verlust hinweggeholfen und nach einiger Zeit haben wir geheiratet. Von da ab wurde es immer schlimmer mit ihm. Das Geld, das er verdiente, setzte er sofort in Alkohol um, und er ging zu anderen Frauen. Für ihn war ich eine bessere Magd geworden, die er nach Belieben herumkommandieren konnte. Das geht jetzt schon zwei Jahre so.“

„Und hat heute sein Ende gefunden. Er wird dich nie mehr belästigen, das verspreche ich dir.“

„Aber sag, wie ist es dir in der Zeit ergangen? Und wie kam die Frau darauf, dass du gestorben seist?“

„Das ist eine lange Geschichte. Ich bin während der Schlacht an der Milvischen Brücke damals, sagen wir – verloren gegangen und jedermann hat wohl angenommen, ich sei getötet worden.“

„Du warst bei der großen Schlacht dabei?“, schaute Julia sie mit großen Augen an.

„Ja. Ich bin bewusstlos in den Tiber gestürzt, aber eine gnädige Seele hat mich aus dem Wasser gefischt und so habe ich überlebt. Nachdem ich mich erholt hatte, bin ich in meine Heimat zurückgekehrt.“

Diana fand diese Erklärung plausibel. Die ganze Wahrheit konnte sie Julia nicht erzählen und das war auch zu diesem Zeitpunkt nicht vonnöten.

„Auf jeden Fall freue ich mich, dass du gerade zur rechten Zeit gekommen bist. Aber so wie ich Glaucos kenne, lässt er die Sache nicht auf sich beruhen. Wenn er wieder nüchtern ist, wird er bestimmt auf Rache sinnen und sein Recht einfordern.“

„Welches Recht? Das Recht darauf, dich weiter zu misshandeln? Soll er nur kommen. Ich habe ihm eine Warnung zugesteckt und dann wird er begreifen, dass das nicht nur eine leere Drohung war. Aber ich brauche ein paar Auskünfte von dir. Ich war weit weg von den Grenzen des Imperiums. Welches Jahr schreibt man?“

Julia blickte sie verwundert an. „1077. Wusstest du das nicht?“

Diana stockte fast der Atem. Sie hatten eine Punktlandung hingelegt und dem Wetter und dem Stand der Sonne nach zu urteilen musste es Mitte März sein.

„Nicht nach dem römischen Stand. Wir haben eine andere Kalenderrechnung“, antwortete sie lapidar. „Ist der Kaiser noch in Trier?“ Diana wusste genau, dass dies nicht der Fall war, aber sie wollte sich nicht direkt nach Helena erkundigen.

Julia lachte. „Du weißt anscheinend nicht viel von den Verhältnissen. Constantin soll sich in Moesia Superior aufhalten, um sich auf den Feldzug gegen Licinius vorzubereiten.“

„Ist seine Mutter Helena auch dort?“

Wieder lachte Julia. „Nein, sie ist noch in Augusta Treverorum, aber sie wird bald nach Rom aufbrechen, um ihren neuen Palast zu beziehen. Die ganze Gegend spricht davon.“

Ein heißer Schauer durchfuhr Diana. Sie musste so schnell wie möglich nach Trier, bevor Helena mit ihrem Tross abreisen würde und durfte keine Zeit verlieren. Diana legte Julia beide Hände auf die Schultern und schaute ihr tief in die Augen.

„Was hältst du davon, wenn du ein völlig neues Leben beginnst. Ich weiß, das Einzige, was ich besitze ist die Tunika die du mir geliehen hast. Aber ich versichere dir: Wenn du dich mir anschließt, wirst du ein Leben führen, welches du dir bisher nicht einmal erträumen konntest. Aber dazu müssen wir morgen früh sofort nach Trier aufbrechen.“

„Du hast nicht nur diese Tunika“, antwortete Julia mit einem verschmitzten Lächeln, verschwand in eine Ecke der Kate und kehrte mit einem Lederbeutel zurück.

„Die meisten Münzen aus deiner Hinterlassenschaft sind noch da. Tullius und ich haben den Beutel in Erinnerung an dich in Ehren gehalten und da du ja allem Anschein nach nicht tot bist, gehört er wieder dir.“

Voller Rührung schaute Diana Julia an und merkte, wie ihre Augen feucht wurden.

„Das kann ich nicht annehmen. Ich habe sie euch überlassen und sie gehört ganz alleine dir.“

„Und ich kann damit machen, was ich will und deshalb schenke ich sie dir. Und ja, ich komme mit dir. Was mich erwartet, wenn Glaucos seinen Rausch ausgeschlafen hat und du nicht mehr hier bist, kann ich mir lebhaft vorstellen. Alles ist besser, als hier an diesem armseligen Ort zu verbleiben“, strahlte Julia sie an. „Ich bin so froh, dass du wieder zurückgekommen bist. Im Grunde rettest du mir zum zweiten Mal das Leben“, sagte sie leise und umarmte Diana.

Die beiden standen auf, Julia entfernte das Lager in der Schlafecke und warf es, wie auch die wenigen Sachen von Glaucos vor die Hütte.

„Irgendwie ist er jetzt nicht mehr da“, kicherte sie und die beiden Frauen legten sich auf zwei saubere Decken, die Julia aus der großen Truhe genommen hatte.

Diana hörte bald die ruhigen Atemzüge der Gallierin und starrte die niedrige Holzdecke der Hütte an, während draußen der eisige Wind über das Dach strich.

Womit sie eigentlich nicht gerechnet hatte, war eingetreten. Alles war nach Plan gelaufen. Sie war in der richtigen Zeit am richtigen Ort und hatte zudem unverhofft eine Gefährtin gefunden. Dennoch beschlichen sie Zweifel. Es lief einfach zu glatt. Und wieder kam der Gedanke an den Papyrus und dessen Inhalt in ihr auf.

„Das ist im Moment sekundär“, murmelte sie zu sich selbst, rollte sich in ihre Decke ein und suchte instinktiv die Wärme des Körpers, der neben ihr in friedlichem Schlummer lag.

Helenas Vermächtnis

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