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2.

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Zunächst herrschte Totenstille, aber dann vernahmen sie langsame, schlurfende Schritte, die sich dem Tor von der anderen Seite aus näherten. Eine Holzluke wurde geöffnet und der Kopf eines Mannes erschien im Rahmen.

„Was wünscht ihr?“, fragte er etwas barsch und musterte die beiden Gestalten vor der Tür.

„Wir möchten die Herrschaften des Hauses sprechen“, sagte Diana und schaute dem Mann in die Augen. Dieser stutzte und plötzlich weiteten sich seine Augen.

„Das ist nicht möglich“, stammelte er. „Ihr seid tot, Herrin.“

„Wie du siehst, erfreue ich mich bester Gesundheit, Hektor. Es ist schön, dich wiederzusehen.“

Die beiden hörten wie Hektor hastig den Riegel entfernte und das Tor öffnete. Im nächsten Moment umarmte er Diana, um sofort wieder erschrocken über seine Reaktion zurückzuweichen.

„Verzeiht, Herrin. Ich wollte nicht ...“ Aber Diana kam ihm zuvor und umarmte ihn nun ihrerseits.

„Du weißt doch, ich habe nie etwas auf Standesdünkel gegeben. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.“

„Verzeiht nochmals, aber das ist ein Wunder.“

„Glaube mir, mit einem Wunder hat das nichts zu tun. Und nun geh und kündige den beiden einen überraschenden Besuch an. Und verrate nichts. Ich bin gespannt, wie Lydia und Arminius reagieren werden.“

„Die Herrin wird in Ohnmacht fallen“, grinste er und schritt auf dem Kiesweg voran, der durch die Vorgärten zur Villa führte.

Julia sah Diana fassungslos von der Seite an.

„Warum hat er dich Herrin genannt und warum dachte auch er, du seist tot?“

„Weil mir dieses Haus einmal gehört hat und Hektor der Majordomus ist. Es ist eine lange Geschichte und du wirst heute noch viel mehr erfahren“, antwortete Diana, als sie das Haus erreichten.

Während Hektor sie bei seinen Herrschaften anmeldete, betraten die beiden Frauen das Atrium und sahen sich um. Lydia hatte es geschmackvoll mit Vasen und Stauen eingerichtet und Diana erkannte sofort, dass es sich hierbei nicht um billige Kopien handelte. Sie war erleichtert darüber, dass es den beiden anscheinend gut ging und ihr Herz setzte fast aus, als sie Lydias Stimme hörte.

„Um diese Uhrzeit? Du weißt doch, dass wir so spät am Abend keinen Besuch mehr empfangen möchten.“

„Es handelt sich um einen besonderen Besuch, Herrin.“

„Wer kann es schon Besonderes sein“, hörte sie ihre näherkommende Stimme und die schwere Tür öffnete sich.

„Guten Abend, Lydia“, sagte Diana leise.

Lydia riss ihre Augen auf, stieß einen Schrei aus und sank ohnmächtig in Hektors Arme.

„Ich sagte dir doch. Sie fällt in Ohnmacht“, grinste er.

*


Diana eilte ihm sofort zu Hilfe und beide legten die bewusstlose Lydia auf eine Kline. Durch den Schrei seiner Frau alarmiert, stürzte eine große, breitschultrige Gestalt in das Atrium und Arminius erstarrte fast zur Salzsäule, als er Dianas Gestalt erkannte, die sich fürsorglich über Lydia gebeugt hatte und ihre Hände streichelte. Dann löste sich seine Starre und er eilte an Dianas Seite, während Hektor kaltes Wasser holte, um Lydias Lebensgeister wieder zu wecken.

„Ich kann es nicht glauben“, sagte Arminius leise und strich zärtlich über ihr Haar. „Du lebst und hast dich überhaupt nicht verändert. Weißt du überhaupt, was du uns angetan hast?“, sagte er mit zorniger Stimme, um sie gleich danach heftig in seine starken Arme zu schließen. Diana sah, dass ihm ein paar Tränen über die Wangen kullerten. Lydias Augenlider flatterten und sie kam wieder zu sich. Als sie Diana erblickte, brachen bei ihr alle Dämme und die beiden Frauen lagen sich tränenüberströmt in den Armen.

„Du bist wieder zurückgekehrt“, schluchzte sie vor Freude und erhob sich langsam von der Kline.

„Ja. Und ich muss euch wohl einiges erklären“, antwortete Diana mit stockender Stimme.

„Das denke ich auch“, sagte Arminius mit scherzhaft drohendem Zeigefinger.

„Das ist meine Freundin Julia“, stellte sie die junge Frau vor, die der Szenerie mit erstaunter Miene gefolgt war. „Ihr kennt sie aus meinen Erzählungen. Sie und ihr verstorbener Mann Tullius haben mir damals Obdach gegeben, bevor ich euch kennengelernt hatte.“

„Ja, ich kann mich erinnern“, sagte Lydia. „Dianas Freunde sind auch die unseren.“

Sie ging auf Julia zu und umarmte sie herzlich.

„Kommt, gehen wir ins Triclinium“, forderte sie die beiden Frauen auf und wies Hektor an, Wein und Speisen aufzutragen.

*


Diana war glücklich und konnte ihre Gefühle kaum im Zaum halten. Sie saß zusammen mit Lydia auf einer Kline und hielt ihre Hand fest, während Arminius sie immer noch mit ungläubigem Blick anstarrte.

Julia saß still auf einem Stuhl und beobachtete leicht verstört die kleine Gesellschaft. Diese Menschen mussten Diana einmal sehr viel bedeutet haben, so, wie sie miteinander umgingen. Fast war es ihr etwas peinlich, Zeuge der beinahe intimen Stimmung zu sein, die sie gerade beobachten konnte. Neugierig sah sie sich um und wurde von der Schönheit dieses Raumes fast erschlagen. Das war eine ganz andere Welt, als sie diese gewohnt war. Die Böden waren mit Mosaiken geschmückt und auf den Wänden befanden sich wunderschöne Wandmalereien. Überall im Raum hingen prachtvoll gestaltete Öllampen, die den Raum in ein weiches, warmes gelbliches Licht tauchten. Trotz der noch kalten Jahreszeit, war es wohlig warm. Die Hitze kam von unten und sie registrierte, dass es wohl ein Hypokaustum gab, welches die Wärme spendete und als Hektor die Speisen und Getränke auftragen ließ, fielen ihr fast die Augen aus dem Kopf. Es gab frisches, noch warmes Brot, Teile von Geflügel, Hasen, Würste und Oliven und sogar Gewürze wie Pfeffer und ein eigenartiges, hellbraunes Gewürz, das Lydia Kurkuma nannte. Vorsichtig probierte sie die verschiedenen, ihr unbekannten Speisen und genoss sichtlich deren Geschmack.

*


„Nun erzähl schon“, forderte Arminius sie auf. „Wo hast du die ganze Zeit gesteckt und warum hast du dich nach deinem Verschwinden nie gemeldet? Haben wir dir so wenig bedeutet?“, fragte er mit etwas trauriger Stimme.

„Natürlich nicht“, antwortete Diana leicht gereizt aber im gleichen Moment wurde ihre Stimme wieder weich. „Ihr seid zum Inhalt meines Lebens geworden und ich konnte euch nicht benachrichtigen, weil ich nichts mehr von euch wusste.“

Schon vor ihrer Rückkehr hatte sie sich eine Ausrede einfallen lassen, wie sie ihre Abwesenheit und das Nichtmelden den beiden erklären konnte. Helena wusste Bescheid, aber Lydia und Arminius waren ja nicht über ihre wahre Identität in Kenntnis gesetzt worden und das sollte auch so bleiben.

„Während der Schlacht an der Brücke habe ich mich zusammen mit Maxentius in die Fluten des Tibers gestürzt, um ihn endgültig zur Strecke zu bringen. Das ist mir ja offensichtlich geglückt, aber von da ab fehlte mir jegliche Erinnerung an die letzten Ereignisse. Ich weiß nur noch, dass ich mich meiner Rüstung entledigt habe, um mich von der Last Maxentius’ Körper zu befreien, der auf mir lag, aber wahrscheinlich war ich etwas zu lange unter Wasser, als mich jemand aus dem Fluss gezogen hatte.“

„Deine Leiche wurde nie gefunden. Das erklärt vieles“, wandte Arminius ein.

„Ich lebte danach bei der Familie eines Fischers, die mich wieder aufgepäppelt hat, aber mein Erinnerungsvermögen hatte gelitten. Ich wusste, dass irgendetwas Bedeutendes passiert war, aber selbst die Nachrichten über den Sieg Constantins brachten meine Erinnerungen nicht zurück und nachdem ich körperlich und geistig genesen war, erinnerte ich mich daran, wo ich herkam und kehrte in meine alte Heimat zurück. Erst nach und nach setzte mein vollständiges Gedächtnis wieder ein und ich erinnerte mich an alles, was in den letzten Wochen und Monaten passiert war. Aber ich war zu weit weg, um euch eine Nachricht überbringen zu lassen.“

Arminius nickte mit dem Kopf, aber seltsamerweise hörte Lydia Dianas Vortrag mit unbewegter Miene zu.

„Du hast Maxentius getötet?“, fragte nun Julia, die mit offenem Mund in einem Korbsessel saß und Diana ungläubig anschaute.

„Du hast ihr nichts erzählt?“, fragte Lydia sie.

„Nein“, sagte Diana knapp, „dazu ergab sich noch keine richtige Gelegenheit. Wir sind erst heute Morgen von ihrem Dorf aus aufgebrochen und haben noch eine Sache zu erledigen gehabt. Aber nun haben wir Zeit, wenn wir denn für eine Weile bei euch bleiben können“, grinste sie.

Lydia knuffte sie wie in alten Tagen in die Seite und beide fingen an zu lachen.

„Komm, lass uns ins Atrium gehen“, forderte Diana Lydia auf. „Arminius kann inzwischen Julias Fragen beantworten.“

„Wovon ich jede Menge habe“, meldete diese sich. „Mir scheint, dass ich überhaupt nichts von dir weiß.“

Die beiden Frauen hakten sich unter, verließen das Triclinium in den Garten des Hauses.

*


„Ist es dir wieder passiert?“, begann Lydia das Gespräch und Diana brach der kalte Schweiß aus allen Poren.

„Was meinst du damit – wieder passiert?“, stammelte sie leicht.

„Deine Reise, deine Reise durch die Äonen der Zeit.“

Diana fühlte wie ihre Knie weich wurden und setzte sich auf einen Steinsockel.

„Du weißt ...?“

„Ja, ich weiß Bescheid, oder besser, ich versuche zu verstehen, was Helena mir versucht hat zu erklären. Ich wusste immer, dass irgendetwas mit deiner Person nicht stimmte. Du warst anders, anders als alle anderen Menschen.“

„Helena hat dir ...?“

„Ja. Sie konnte einfach nicht mehr mit ansehen, wie ich vor Kummer um deinen Tod verging. Und dann hat sie mir deine Geschichte erzählt. Sie war überzeugt davon, dass du nicht tot warst, sondern lediglich in deine Zeit zurückgekehrt bist. Sonst weiß niemand davon, auch Arminius nicht.“

„Das ist gut, denn die Sache ist komplizierter, als du denkst. Es ist damals etwas schiefgelaufen und die Folgen haben sich in der Zukunft, meiner Gegenwart, bemerkbar gemacht. Und ich bin hier, um meinen Fehler zu korrigieren“, sagte Diana mit leiser Stimme.

„Um was geht es? Vielleicht kann ich dir helfen?“

Diana sah sie mit trauriger Miene an.

„Wo ist Aurora?“, flüsterte sie und Lydias Augen weiteten sich vor Schreck.

„Du denkst, dass ...? Und du willst sie ...?“, rief sie erschrocken und voller Panik aus.

„Nein. Nicht was du denkst. Ich könnte ihr nie ein Haar krümmen. Sie ist doch wie eine Tochter für mich. Nein, aber sie muss etwas damit zu tun haben und ich muss alles über sie wissen. Wie sie aufgewachsen ist, wo sie lebt, welchen Umgang sie hat; einfach alles.“

„Helena hat sie unter ihre Fittiche genommen und ihr die beste Ausbildung zukommen lassen. Nicht, dass sie mir und Arminius nicht vertraut hätte; sie und ich haben die beste Beziehung und ich betrachte sie als so etwas wie meine Großmutter. Daher auch das Vertrauen, das sie mir hinsichtlich deiner Person geschenkt hat.“

„Wie geht es ihr?“

„Sie ist alt geworden, aber immer noch voller Tatendrang.“

„Was hat sie dir über mich erzählt?“

„Dass du ein Besucher aus einer fernen Zukunft bist und alles das, was wir erlebt hatten, bereits wusstest. Aber ich möchte es gerne aus deinem Mund hören. Stimmt das, was Helena mir berichtet hat oder die Geschichte, die du uns eben aufgetischt hast?“

„Es stimmt, was Helena dir erzählt hat. Es war und ist schwer zu erklären und deshalb habe ich dies damals vor dir verschwiegen. Was hätte es auch gebracht? Helena musste ich ins Vertrauen ziehen, weil ich sie für eine bestimmte Aufgabe brauchte.“

„Das Christogramm vor der Schlacht. Ich weiß. Sie hat es mir erzählt. Und wirst du es auch vor Julia verschweigen?“

„Natürlich. Sie ist eine einfache Frau und würde sowieso nicht verstehen wovon ich spreche.“

„Das war ich auch. Eine einfache Sklavin.“

„Du warst immer etwas Besonderes. Und du warst und bist von gebildeten Leuten umgeben. Helena weiß das und deshalb hat sie dich ins Vertrauen gezogen. Aber wie ist es euch ergangen? Ihr habt eine Tochter bekommen?“

„Ja“, strahlte Lydia. „Sie ist unser ganzer Sonnenschein und wird im nächsten Monat zehn Jahre alt.“

„Und sie heißt Diana.“

„Diana Antonia“, lächelte Lydia und nahm Dianas Hand. „Erzählst du mir irgendwann von deiner Zeit?“, fragte sie vorsichtig.

Diana sah sie an. „Das werde ich, aber ich kann dir nicht alles erzählen, wie ich auch Helena nicht über alles berichtet habe. Unser beider Leben kann nicht unterschiedlicher sein und Dinge, wie zum Beispiel die Technik, könnte ich euch nicht begreiflich machen.“

„Ein Versuch?“, fragte Lydia lauernd mit einem listigen Lächeln auf den Lippen.

Diana schaute nach oben, wo sich der Mond für einen Moment durch die dichte Wolkendecke stahl.

„Wir sind dort oben gewesen“, sagte sie und zeigte in die Richtung des Erdtrabanten.

Lydia blickte sie verständnislos an. „Dort oben? Das ist Luna.“

„Genau. Der Mond, der um die Erde kreist.“

Mit bleichem Gesicht schüttelte sie den Kopf.

„Ich glaube, das reicht“, sagte sie leise. „Komm, lass uns zu Julia und Arminius zurückkehren. Der Arme hat bestimmt vor lauter Fragerei ein Loch im Bauch“, grinste sie.

*


Als sie das Triclinium betraten hörten sie Arminius’ Stimme, der gerade von Dianas Abenteuern vor Verona berichtete und Julia hörte ihm mit offenem Mund zu.

Als sein Blick zu seiner Frau und Diana wanderte, die gerade eintraten, wandte sich auch Julia um.

„Arminius hat mir von deinen Taten berichtet. Ihr drei kennt den Kaiser und seine Mutter. Für mich ist das alles unfassbar.“

„Du kennst die Kaisermutter ebenfalls“, grinste nun Diana über beide Ohren.

„Ich? Woher sollte ich .... die vornehme Dame!“, rief sie aus und schlug sich mit der Handfläche vor die Stirn. „Und ich habe ihr Puls serviert und sie hat das Zeug zusammen mit uns verspeist.“

Julia wurde puterrot während Arminius, Lydia und Diana einen Lachkrampf bekamen, als sie sich bildlich vorstellten, wie Helena eine Mahlzeit Puls löffelte.

„Eine köstliche Geschichte“, sagte Diana immer noch lachend. „Aber sie hat dir das bestimmt nicht übelgenommen. Im Gegenteil: Sie weiß, wie es ist, arm zu sein und sie erkennt es hoch an, wenn jemand dennoch bereit ist, seine Mahlzeit zu teilen.“

„Sie war sehr freundlich zu uns. Wenn wir allerdings gewusst hätten, wer sie ist, hätten wir ...“

„Und genau das solltet ihr nicht. Helena ist sehr bescheiden, wenn es um ihre Person geht. Morgen werde ich sie aufsuchen, vorausgesetzt, man lässt mich überhaupt in den Palast.“

„Dafür könnte ich sorgen und ich weiß auch schon wie“, lächelte Lydia spitzbübisch.

Sie stand auf, ging aus dem Raum und kam kurze Zeit später mit einem Gegenstand zurück, der Dianas Herz vor Freude hüpfen ließ.

„Meine Gitarre!“, rief sie aus und strich mit ihren Fingern über die Saiten des Instrumentes.

„Ich habe all deine Sachen in eine Truhe gepackt und sie in der Hoffnung mitgenommen, dass du sie dir irgendwann wieder abholen wirst“, lächelte sie. „Würdest du uns etwas vorspielen? Ich würde so gerne wieder deine Stimme und den Klang des Instrumentes hören.“

Diana stimmte kurz die Gitarre und spielte „Scarborough Fair“ von Simon & Garfunkel. Andächtig lauschten sie den Klängen des Instruments und ihrem Gesang.

„Wunderschön“, sagte Lydia leise, als der letzte Ton verklungen war. „Warum bringst du nicht morgen früh Helena auch ein Ständchen?“, lächelte sie verschmitzt.

„Tolle Idee. Ich bin gespannt, wie sie reagieren wird.“

„Hoffentlich fällt sie nicht in Ohnmacht so wie ich. Sie ist ja schon etwas betagter“, lachte Lydia.

*


Es wurde eine lange Nacht. Lydia erzählte, wie sie und ihr Arminius nach ihrer Rückkehr geheiratet hatten und dabei gleichzeitig getauft wurden. Anschließend begann für beide, dank Dianas Erbe, ein neues Leben und sie hatten sich in der Gesellschaft Augusta Treverorums rasch etabliert, nicht zuletzt wegen ihrer guten Kontakte zum Kaiserhof. In den ersten Jahren lebte Aurora noch bei ihnen, bis Helena schließlich deren Erziehung und Bildung übernahm.

„Wir können zwar auch lesen und schreiben, aber sie war in der Lage, Aurora umfassend in allen Dingen zu unterrichten. Sie ist jetzt sechzehn Jahre alt und eigentlich ist sie im heiratsfähigen Alter. Aber Helena wacht über sie wie eine Glucke. Dabei hat sie bereits einen Verehrer, der es wohl ernst mit ihr meint.“

Diana horchte auf.

„Einen Verehrer?“

„Sein Name ist Servius Munatius und er stammt aus einer alten plebejischen Familie. Gut, sie gehört nicht zu den bekanntesten und reichsten Gens, aber ihre Abstammung geht bis ins Jahr 576 zurück.“

Und der junge Mann hofft natürlich, über Aurora mit deren Verbindungen zum Kaiserhaus, in den Rängen der Gesellschaft weiter nach oben zu kommen, dachte sich Diana. Das war ein erster Ansatzpunkt, den sie auf jeden Fall weiterverfolgen würde. Aber hierüber konnte sie von Helena mehr erfahren, denn Helena würde sie auf jeden Fall über die Problematik, die entstanden war, unterrichten. Unterdessen erzählte Lydia, wie sie in den Weinhandel eingestiegen waren. Der Berg, der zu der Villa gehörte, erwies sich als äußerst gewinnbringend und im Laufe der Zeit gehörten den beiden bereits sechs Weinberge, die sie für die Weingewinnung ertragreich nutzen konnten.

„Uns geht es, wie du siehst, mehr als gut und das haben wir alles dir zu verdanken.“

„Und eurer Tüchtigkeit und eurem Geschäftssinn. Von nichts kommt nichts. Aber es ist spät geworden und ich bin furchtbar müde. Wir sind heute Morgen früh aufgebrochen und haben einen langen Marsch in den Knochen. Wir werden noch genug Zeit zum Reden haben.“

Diana blickte zu Julia, die ebenfalls die Augen kaum noch offenhalten konnten und Lydia brachte sie in ihre Gästezimmer. An einer Türe blieb sie kurz stehen und öffnete sie leise.

Diana lugte hinein und sah ein blondes Mädchen, das eine Stoffpuppe innig umklammert hatte und tief und fest schlief.

„Ist sie nicht schön?“, lächelte Lydia stolz und Diana legte ihren Arm um deren Hüfte.

„Ja“, hauchte sie. „Ein Goldschatz.“

Leise schloss Lydia wieder die Türe und sie gingen weiter. Zuerst bekam Julia ihr Zimmer und traute sich fast gar nicht, es zu betreten. Sie erblickte ein richtiges Bett mit einem sauberen Laken und drehte sich strahlend zu Lydia herum.

„Ich kann gar nicht sagen wie ich mich fühle und wie dankbar ich euch bin“, jauchzte sie, fiel Lydia um den Hals und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dann drehte sie sich rasch um und verschwand schnell in ihrem Zimmer.

„Sie erinnert mich etwas an dich“, lächelte Diana als sie die Türe geschlossen hatte.

„Ja, ich erkenne mich auch in ihr wieder, obwohl wir in einem Alter sind. Nur du hast dich natürlich überhaupt nicht verändert.“

„Für mich sind nur sechs Monate vergangen“, sagte Diana leise.

„Und für mich zwölf Jahre. Ich bin eine alte Matrone geworden“, seufzte Lydia und öffnete Diana ihr Zimmer.

„Du bist dreißig und wunderschön“, hauchte Diana ihr zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dann schloss sie die Türe, legte sich ins Bett und war sofort eingeschlafen.

Helenas Vermächtnis

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