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5. Thema und Theologie des Buches

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Dass das Amosbuch von scharfer Kritik an allen möglichen Missständen geprägt ist, zeigt bereits eine oberflächliche Lektüre. Schon das Völkergedicht am Anfang wirft den Nachbarstaaten Kriegsverbrechen vor. Mit der Israelstrophe setzt die Sozialkritik ein, die im Buch dominiert.20 Unterdrückung und Ausbeutung der Armen sowie der Luxus der Reichen stehen im Fokus der Anklagen. Häufig wird auch religiöses Fehlverhalten in die Kritik einbezogen. Solche Kritik ist parteiisch. Sie enthält keine objektive Beschreibung sozialer und religiöser Zustände, sondern versteht sich als engagiert zugunsten derjenigen, die sie als Opfer der Entwicklung ausmacht.21

Aus der Kritik leiten sich die drohenden Zukunftsansagen her. Sie zielen zunächst auf das Geschick der Täter (z. B. 4,1–3). Aber von Anfang an ist klar, dass das Gericht nicht mit chirurgischer Präzision zwischen Tätern und Opfern unterscheidet, sondern in Gestalt von Erdbeben und militärischer Niederlage, von Verbannung und Fremdherrschaft alle betreffen wird. Zielpunkt dieser Linie ist die Ankündigung der vierten Vision: „Gekommen ist das Ende zu meinem Volk Israel“ (8,2).

Verkünder des Endes oder Umkehrprediger?Was ist der Zweck solcher Kritik und Gerichtsankündigung? Welche Theologie zeigt sich darin?

Eine vor allem in der deutschsprachigen Forschung lange Zeit vorherrschende Auffassung sieht in der Ankündigung des Endes in 8,2 den hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis von Amos. Das ist dieser Auslegung zufolge zunächst so zu verstehen, dass „[a]lles, was sonst über Israels Zukunft von Amos gesagt wird, … diesen härtesten Satz aus[legt]“.22 Das „Nein des Amos“ – so der viel aufgegriffene Titel von Rudolf Smend – ist demnach nicht nur „das Nein zum sozialen Verhalten des Volkes, zu seinem Geschichtsverständnis und zum Kultus“, sondern „schließlich als Konsequenz daraus das Nein zur Existenz Israels überhaupt“.23 Werner H. Schmidt geht sogar noch weiter. Das (angebliche) Nein zur Existenz Israels sei keine „Konsequenz“ aus dem sonstigen Nein, sondern umgekehrt sei die „Ahnung vom Israel unabwendbar drohenden Unheil“ die einzige dem Propheten offenbarte Erkenntnis, während der „Schuldaufweis – unumgänglich – Aufgabe des Propheten selbst“ sei. Ziel des Ganzen sei es, „durch die Aufdeckung der Schuld die Unheilsansage … ‚bejahbar‘“ zu machen.24

Marvin Sweeney erinnert diese Auslegung an die Karikatur eines langhaarigen, Sandalen tragenden Mannes, der an einer Straßenecke mit einem Pappschild steht, auf dem „The end has come“ geschrieben ist.25 Was sollen die Vorübergehenden mit dieser Information anfangen? Sollen sie, wenn ihnen der Mann ihre Schuld aufzeigt, in die Lage versetzt werden, das „unabwendbar drohende Unheil“ zu bejahen? Die Frage stellen heißt, die Problematik der unterstellten Antwort aufzuzeigen.

Die Kritik an den Positionen, die in Amos den Verkündiger des unabwendbar drohenden Endes für Israel sehen, geht in zwei Richtungen. Zunächst hat Erich Zenger aufgezeigt, dass das Gericht, das Amos ankündigt, kein Gericht über alle und jeden ist, sondern das Gericht „über die, die ruhigen Gewissens die zunehmende Verelendung der Kleinbauern und die strukturelle Verhinderung der Menschlichkeit hinnehmen, ja betreiben“, dass solche Gerichtsbotschaft aber zugleich „Hoffnung stiften“ kann – „für die Ausgebeuteten und Zukurzgekommenen zuallererst“.26 Haroldo Reimer hat den Versuch unternommen, dies exegetisch breit zu untermauern; er kommt zu dem Schluss: „Die Unheilsankündigungen des Amos sind sozial- und schichtenspezifisch ausgerichtet, sie betreffen nicht das Volksganze.“27

Wird hier der Versuch unternommen, die „eigentliche Botschaft des (historischen) Amos zu erheben“ – vergleiche den Titel des Zengerschen Beitrags – und sozial zu differenzieren, so fragt eine weitergehende Kritik nach der rhetorischen und theologischen Funktion derartiger Unheilsansagen, wie sie sich bei Amos finden. Bestünde sie darin, die Ansage unabwendbar drohenden Unheils zu bejahen, müsste sie zu Lähmung und Apathie führen. Was sollte dann der ganze rhetorische Aufwand? Er zeigt, dass es dem Propheten und denen, die seine Worte tradieren, um mehr geht. In einer glücklichen Formulierung spricht Christof Hardmeier von „ultimativer Verwarnung“.28 Die Begründung für das Kommen des Endes soll dieses nicht „bejahbar“ machen. Vielmehr wird das Ende als Konsequenz vor Augen gestellt, die dann unabwendbar ist, wenn sich das Verhalten nicht ändert.

Damit wird Amos nicht zum Umkehrprediger im eher vordergründigen Sinn der deuteronomistischen Theologie (2 Kön 17,13; Neh 9,26.30; Dan 9,6). So wenig 8,2 mit der Ansage des Endes als hermeneutischer Schlüssel zum Amosbuch taugt, so wenig tun das die Mahnungen aus Am 5,4–6.14–15. Beides gehört zusammen. Der Gott, den das Amosbuch verkündigt, findet sich mit dem Unrecht der Welt nicht ab. Er droht den Tätern das Ende an, er droht Israel das Ende an. Zugleich ruft er zum Leben („Sucht mich, so werdet ihr leben!“, 5,4). Wird die ultimative Verwarnung nicht befolgt, dann ist das Ende unabwendbar. Die Selbstoffenbarung Gottes in den Visionen zielt auf die Fürbitte des Propheten und Gottes Reue über das Unheil;29 erst als der Prophet aus dem Königreich Israel ausgewiesen wird (7,10–17), ist der Untergang unabwendbar. Aber das ist nicht das, was Gott will. Deshalb ist seine Geschichte noch nicht am Ende. Die Ausscheidung der für das Unrecht Verantwortlichen (9,8–10) ermöglicht eine neue Zukunft.

Ein Weiteres kommt hinzu. Noch vor jeder diachronen Untersuchung des Amosbuches lässt sich feststellen, dass dieses die Botschaft des Propheten im Rückblick präsentiert. Schon die Überschrift mit ihrer Einordnung in die Geschichte Israels signalisiert dies. Bereits die antiken Leserinnen und Leser wissen also, dass das Nordreich untergegangen ist, wie Amos es angekündigt hat.30 Sie verstehen aufgrund der Anklagen des Propheten, dass dieses Ende zu Recht kam. Insofern rechtfertigt das Buch Gott, der beim Untergang des Staates Israel nicht versagt, sondern vielmehr alles getan hat, um sein Volk zu retten.31

Dass die Versuche, die Botschaft des Amos zu erfassen, so unterschiedlich ausfallen, hängt auch damit zusammen, dass sich die jeweiligen Autoren auf verschiedene literarische Ebenen beziehen. Das zuletzt skizzierte Bild geht vom gesamten Amostext aus. Autoren wie Wolff oder Zenger, so unterschiedlich ihre Beschreibung ausfällt, beziehen sich dagegen auf den historischen Amos, wie sie ihn aus den Texten rekonstruieren. Damit stehen wir vor der Aufgabe, das Buch unter diachronem Gesichtspunkt in den Blick zu nehmen.

Amos

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