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Vaufrèges, nahe Marseille Donnerstag, 19. Mai

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Das Telefon läutet bereits das sechste Mal. Der Mann reißt die Tür zum Arbeitszimmer auf und betritt den geräumigen Raum. Eine ausladende Bücherwand, eine Sitzgruppe aus hellem Leder, viele Gemälde an den übrigen Wänden. Vom Parkettfußboden mit edlen Perserbrücken recken sich exotische Pflanzen aus großen weißen Porzellangefäßen zur Decke. Auch die hohen Fenster, die von schweren Vorhängen seitlich gerahmt werden, geben diesem Raum den gediegenen Charakter eines Herrensalons aus der Gründerzeit. Goldenes Licht der letzten abendlichen Sonnenstrahlen veredelt das Interior noch zusätzlich.

Das alte kastenförmige Gabeltelefon aus den zwanziger Jahren mit gewebeummanteltem Kabel auf dem wuchtigen Schreibtisch läutet bereits zum siebten Mal. Der Mann ist durch das Läuten beim Ankleiden unterbrochen worden. Sein weißes Seidenhemd ist nicht vollständig zugeknöpft und hängt über der Smokinghose, auch die Fliege ist nicht fertig gebunden.

„Ja bitte, was ist denn?“, schnauzt er in den Telefonhörer. „Was für eine freundliche Begrüßung, Monsieur“, antwortete eine ihm unbekannte Stimme mit hartem Akzent am anderen Ende der Leitung. Ohne Einleitung des Gespräches oder Erklärung stellt der Anrufer seine Forderung:

„Mein Auftraggeber benötigt von Ihnen weitere Informationen zu ei­ner bestimmten Sache.“

„So geht das nicht Monsieur, wir hatten Vereinbarungen, die sowohl Ihr Auftraggeber als auch ich erfüllt haben. Weiter war nichts abge­sprochen.“ Der Anrufer lässt den Einwand unbeachtet und fährt in einem Ton fort, der keinen Widerspruch erlaubt:

„Sie beschaffen das, was wir fordern, und wir bezahlen Sie dafür gut!“ Dem Mann in der Villa macht die Stimme Angst. Es ist nicht wirklich die Stimme, aber sie steht für die Tatsache, dass er sich mit dem Deal, auf den er sich vor einigen Monaten eingelassen hat, in die Hand anderer begeben hat. Dieser Anruf führt ihm unwiderruflich vor Augen, dass es kein Zurück mehr für ihn gibt. Seine Hoffnung, mit der Lieferung von geheimen Informationen, für die er einen stattlichen Betrag erhalten hatte, sei alles erledigt, ist nun endgültig dahin. Diese unabwendbare Einsicht macht ihn gefügig.

„Was verlangen Sie?“

„Wir möchten eine Kopie der CDs über das Material, oder die ent­sprechenden Dateien“, kommt die Antwort ruhig und geschäftsmä­ßig. Dem Angerufenen stockt der Atem, dann antwortet er panisch:

„Mein Gott, das ist nicht Ihr Ernst …, das geht nicht, wie soll ich das machen? Das ist unmöglich. An den Rechner komme ich nicht her­an. Er ist stark gesichert. Nur sehr Wenige haben Zugang zu dem System. Ich wüsste auch nicht, wie ich die geforderten Dateien fin­den sollte. Die CDs sind ebenfalls sicher verwahrt, man würde ihr Verschwinden sofort bemerken, und ich würde auffliegen.“

„Lassen Sie sich etwas einfallen! Sie verfügen über genügend Ein­fluss, das zu bewerkstelligen. Und Sie werden ganz sicher aufflie­gen, wenn Sie es nicht tun“, antwortet der Anrufer kalt. Es folgt ein längeres Schweigen, dann fragt er den Anrufer vorsichtig:

„Und was wäre dabei für mich drin?“ Dieser nennt ihm einen hohen sechsstelligen Betrag. Der Mann in der Villa glaubt, er habe sich verhört, fragt noch einmal nach und erhält dieselbe Antwort. Er überlegt und zieht in Gedanken eine kurze Bilanz: „Meine Schulden sind mir über den Kopf gewachsen. Die Gläubiger aus den diskreten Spielklubs Marseilles zeigen wenig Verständnis für verspätete Rückzahlung von Krediten und sind nicht zimperlich, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ich möchte nicht mit gebrochenen Armen und Beinen im Dreck aufgefunden werden. Bisher konnte ich ein Loch dadurch stopfen, indem ich ein anderes aufgerissen habe. Meine Villa gehört mittlerweile der Bank. Nur meiner exponierten Stellung und meinem guten Einkommen ist es zu verdanken, dass die Bank die Villa weiter beliehen hat. Mit dem Geld wäre ich mit einem Schlag alle Schulden los und besäße noch eine ausreichende Kapitaldecke. Damit könnte ich eine Attacke am Spieltisch einleiten, um die Spielverluste wieder wettzumachen“, suggeriert er sich selbst.“

Mit dem Betrag für die Information über Thrombotoxin konnte er einen Teil der Forderung der Bank und seiner ungeduldigsten Gläubiger begleichen. Sogar einige Verluste am Spieltisch hatte er wieder ausgeglichen. Nach diesen Überlegungen antwortet er:

„Gut, ich werde es machen. Wie viel Zeit habe ich, und wie ist es mir einer Anzahlung?“

„Ich erwarte Ihre Lieferung innerhalb von vier Wochen. Sie erhalten das gesamte Honorar, wenn ich die Ware bekomme, Zug um Zug“, und fügt hinzu, „sollten die Daten jedoch nicht echt sein, dann sind Sie nicht nur aufgeflogen, sondern ein toter Mann. Ist das klar? Ich werde mich bei Ihnen melden.“ „Ja, ich verstehe, Sie werden die richtigen Daten erhalten.“ Aber der Anrufer hört seine Antwort nicht mehr.

Mit dem Hörer in der Hand bleibt er noch einen Moment am Schreibtisch stehen und denkt nach. Ihm fällt kein Plan ein, wie er unauffällig an die CDs kommen kann, meint aber, dass er das später schon hinbekommen wird. Dieser Gedanke und die Aussicht auf baldige Liquidität sowie der feste Glaube an eine Glückssträhne am Spieltisch, verbessern seine Stimmung zusehends. Er kehrt nachdenklich in die Toilette zurück, um sich für den Empfang fertig anzukleiden. Jetzt hat er noch weniger Lust an dieser öden Pflichtveranstaltung teilzunehmen als zuvor.

Aber wer weiß, vielleicht ist danach noch ein Spielchen möglich?“, denkt er, und diese Aussicht beschwingt ihn.

Giftgas

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