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20. Mai 1969

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Jungs sind komisch. Mit dieser Überschrift hätte ich viele meiner Tagebucheinträge beginnen können. Aber ein Ereignis blieb mir besonders im Gedächtnis. Es war Kirmes in unserem Dorf. Einmal im Jahr kamen die Budenaufsteller und Karussellbetreiber und ließen für sieben Tage für uns Kinder die Zeit stillstehen.

Wochen vorher schon malten Sarah und ich uns aus, wieviel Zuckerwatte, kandierte Äpfel oder gebrannte Mandel wir schaffen würden und welches Fahrgeschäft in diesem Jahr wohl neu wäre. Die Jungs hingegen prahlten, wie oft sie den Überschlag auf der Schiffsschaukel schafften oder wer sich traut beim Fahren mit der Himmel- und Höllebahn aufzustehen. Bernhard hielt den Rekord mit drei Überschlägen nacheinander, was Clara uns zu erzählen nicht müde wurde. Sie war sehr stolz, als einzige in ihrer Klasse schon einen Freund zu haben, mit dem sie Händchen hielt. Sie würden das erste Mal als Paar auf die Kirmes gehen und sorgten damit für jede Menge Getuschel.

Umso anstrengender wurde Clara wenige Tage vor der Eröffnung. Es drehte sich bei ihr alles nur noch um ihre Frisur und was sie anziehen solle. Sarah und ich verzogen uns, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot, und spielten mit Hugo 2 oder Mathéo, der sich anscheinend wenig aus dem Volksfest machte. Ihm war es egal, wer in diesem Jahr Sieger der Schiffsschaukel wurde oder wem als erstes auf dem Kettenkarussell schlecht werden würde. Er saß meist schweigend in unserer Nähe, kaute auf einem Grashalm oder warf Stöckchen mit Hugo 2.

Der Tag der Eröffnung ging einher mit dem Einzug der geschmückten Bierkutsche vom Wirt unserer einzigen Gastwirtschaft. Er betrieb auch das Festzelt auf der Kirmes, wohin er die aufgestapelten Bierfässer kutschierte. Die Kapelle des Heimatvereins schepperte hinter der Bierkutsche her und spornte uns Kinder dazu an, laut mitsingend nebenher zu rennen. Die einzelnen Vereine hatten sich herausgeputzt und folgten in kleinen Gruppen, bei denen immer ein Bannerträger vorausging. Es war alles sehr festlich und sogar meine Eltern hatten ihre Sonntagskleidung angezogen und begleiteten den Zug zusammen mit den übrigen Dorfbewohnern.

Clara trug ein weißes Kleid mit Häubchen und hatte ihre Haare zu zwei Schnecken geformt. An ihrer Hand führte sie Bernard wie ein Haustier an den staunenden Mädchen ihrer Klasse vorbei und lachte die ganze Zeit, ohne dass wir wussten worüber. Bernard sah weniger fröhlich aus, vielleicht auch, weil ihn die übrigen Jungen hänselten und sich über das tolle Liebespaar lustig machten. Auch Mathéo grinste, sah dann aber mit einem merkwürdigen Blick zu mir herüber, als ob es ihm peinlich war, gelacht zu haben. Mir war das egal. Ich freute mich für Clara und hoffte, selbst einmal mit einem Jungen aufs Fest zu gehen.

Doch dann passierte etwas, von dem ich heute noch nicht genau weiß, warum. Wie in jedem Jahr versammelte sich eine große Schar Schaulustiger um den Hau-den-Lukas und feuerten den jeweils Hammerschwingenden an. Auch Clara wollte zusehen, doch als sie Bernhard fragte, ob er nicht auch mal den Lukas schlagen wolle, reagierte dieser abweisend. Selbst ihr Bitten und Betteln änderte daran nichts, und als ihn dann auch noch die ersten Jungen neckten und ein feiges Huhn schimpften, riss er sich von Clara los und verschwand in der Menge. Aufgeregt machten wir uns auf die Suche nach ihm, doch keiner unserer Freunde hatte Bernard gesehen. Weder bei der Schiffsschaukel, noch der Himmel- und Höllebahn war er, auch nicht am Kettenkarussell oder an einer der Süßigkeitenbuden, wo wir sonst immer standen. Er tauchte erst am nächsten Tag wieder auf und hatte, wie uns Clara später tränenreich mitteilte, ohne eine Begründung mit ihr Schluss gemacht.

Anaïs Tagebuch

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