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3. Januar 1970

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Seit sechs Tagen lag ich krank im Bett und hatte sogar Silvester verschlafen. Am Neujahrsmorgen musste unser Hausarzt kommen, um mir dicke Tabletten zu verschreiben, die ich kaum schlucken konnte, ohne dass es mich würgte. Ich hatte 40 Grad Fieber und geschwollene Mandeln, wie der Doktor sagte. Meine Mutter kochte mir mein Lieblingsessen, doch ich bekam kaum etwas runter, zu müde und kaputt war ich. Die Schule hatte wieder begonnen und Sarah brachte mir jeden Nachmittag die Hausaufgaben, die ich unbeachtet liegen ließ. Spannender aber war, was sie Neues zu erzählen hatte.

Vivettes Eltern hatten sich getrennt, weshalb sie seit Tagen heulend in der Klasse saß. Sie hatten es ihr Weihnachten erzählt und keine Woche später schien es das ganze Dorf zu wissen. Selbst meine Eltern sprachen am Abendbrottisch darüber. Ich mochte Vivette und sie tat mir fruchtbar leid. Wenn ich allein in meinem Bett lag und darüber nachdachte, wie ich mich fühlen würde, wenn meine Eltern auseinander gingen, kamen auch mir die Tränen. Sarah meinte, sie würde bei ihrem Vater bleiben. Ich hätte mich nicht entscheiden wollen.

Kaum, dass es mir etwas besser ging und ich für eine Stunde am Tag raus in den Schnee durfte, bat ich Sarah, Vivette doch mal zum Spielen mitzubringen. Zu dritt ging die Stunde fruchtbar schnell rum, weshalb die Mädchen manchmal mit auf mein Zimmer kamen. Schnell freundeten wir uns mit Vivette an und als ich endlich wieder zur Schule gehen konnte, setzte sie sich zu uns in die Reihe.

Ich weiß nicht, ob es am Fieber gelegen hatte, aber ich war in den letzten Wochen ziemlich gewachsen. Ich war jetzt fast so groß wie Sarahs Schwester und überragte etliche Jungs in unserer Klasse. Selbst Mathéo, der so alt wie Clara war, fehlten ein paar Zentimeter. Damit war ich neben Leon und Clara die Längste in unserer Clique.

So kam es, dass mich meine Mutter mit in die Stadt nahm, um mir neue Sachen zu kaufen. Viele meiner Kleider waren zu kurz, die Schuhe passten kaum noch und auch die Hosenbeine endeten oberhalb der Knöchel. In der Stadt hatten sie seit Kurzem ein großes, neues Kaufhaus, in dem es auf mehreren Etagen alles gab, was man sich nur vorstellen konnte. Es war wie im Märchen. Egal wohin ich auch schaute, immer wieder entdeckte ich etwas Neues und zerrte meine Mutter mal hier hin, mal da hin, bis es ihr zu viel wurde, sie mich auf einen Stuhl setzte und selbst die Sachen für mich aussuchen ging.

An diesem Tag bekam ich einen roten Mantel, in den ich mich sofort verliebt hatte. Ich mochte rote Sachen und der Mantel passte wie angegossen. Stolz betrachtete ich mich im Spiegel und fand, dass ich damit viel älter aussah. Auch meine Mutter kaufte sich ein paar Sachen, weshalb wir uns auf dem Weg zurück zum Bahnhof ein Taxi leisteten, um all die Taschen und Tüten nicht tragen zu müssen. Zuhause würde uns mein Vater abholen und wieder jammern, dass wir zu viel Geld ausgegeben hätten.

Leider kamen wir diesmal nicht an unserer alten Wohnung vorbei. Wie gern hätte ich Hugo wiedergesehen und ihm erzählt, dass ich nun auch zur Schule ginge. Auch wollte ich ihm, jetzt, wo ich schreiben lernte, Briefe schicken, wusste aber seine Adresse nicht mehr. Ich würde meine Mutter fragen, doch vorher musste ich die verpassten Unterrichtsstunden aufholen. Vielleicht würde mir Francis beim Rechnen helfen. Lächelnd sah ich bei dem Gedanken aus dem Taxifenster und dachte an Maurice, dem es ganz bestimmt nicht gefallen würde, wenn ausgerechnet Francis zu mir zum Lernen käme.

Anaïs Tagebuch

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