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30. Mai 1970

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Kurz vor Ende des ersten Schuljahres verließ Vivette unsere Klasse. Ihre Mutter hatte sich nach der Scheidung wegbeworben und zog zusammen mit ihrer Tochter um. Sarah und ich waren recht traurig darüber, mochten wir Vivette doch sehr gerne. Deshalb schlug ihre Mutter vor, dass wir den Abschied feiern sollten und lud zu meiner ersten Pyjamaparty mit Übernachtung in ihr Haus ein. Meine Eltern waren wenig begeistert, mich im Scheidungshaus, wie Vivettes Zuhause überall nur noch genannt wurde, zu wissen, stimmten aber letztlich zu.

Man spürte in diesen Tagen den Sommer bereits. Es war warm, wenn auch noch nicht so heiß, wie in den bevorstehenden Monaten. Wir verbrachten den ganzen Nachmittag im Garten, jagten uns um die Bäume, flochten Blumenkränze oder spielten mit Hugo 2 Stöckchen holen. Vivettes Mutter hatte zwischendurch Kuchen und Tee aufgetischt und Obst bereitgestellt. Als wir vom Herumtoben ganz erhitzt waren, schlug Vivette vor, ein letztes Mal in den Pool zu springen.

Da wir aber keine Badesachen dabei hatten, zogen wir uns nur aus und gingen nackt plantschen. Das Wasser war noch ganz warm vom Tag und wir balgten und spritzten uns gegenseitig nass, bis mehr Wasser neben als in dem Pool war und Vivettes Mutter uns Handtücher brachte.

Eingewickelt saßen wir anschließend um ein kleines Lagerfeuer, trockneten uns und brieten Teig an langen Stöcken über den Flammen. Es war ein milder Abend, die Grillen zirpten und Hugo 2 lag eingerollt zu meinen Füßen. Ich glaube, die meiste Zeit sprachen wir über unsere Schule und unsere Klassenkameraden. Vivette fand René aus der Zweiten süß, den Sarah wiederum gar nicht leiden konnte, vielleicht auch, weil ihre Schwester ihn ebenfalls mochte. Ich regte mich über den Raufbold Maurice auf und alle drei waren wir uns einig, dass Jungs echt anstrengend sind.

Später auf dem Zimmer von Vivette saßen wir gemeinsam in ihrem Bett und spielten Wahrheit oder Pflicht. Ein Spiel, das uns Leon gezeigt hatte, in dessen Klasse das gerade alle spielten und in dem es darum ging, etwas Peinliches aus seinem Leben zu beichten oder eine Aufgabe zu lösen, wenn man lieber schweigen wollte. Leon machte da nur mit, weil man dabei Mädchen küssen konnte, wie er uns mit hochrotem Kopf erzählte. Ich musste an den Kuss von Mathéo denken und beichtete zum ersten Mal meinen Freundinnen davon.

Sarah war ganz entsetzt, doch Vivette verdrehte nur verliebt die Augen und fand es unglaublich romantisch. Sie hatte auch schon mal einen Jungen geküsst, allerdings nur ihren Cousin unter der Festtafel anlässlich einer Familienfeier, doch wir fanden das zählt auch. Ich genoss die Bewunderung der Mädchen und fühlte mich fast schon erwachsen, immerhin hatte ich nicht nur schon mal einen Freund gehabt, sondern jetzt auch noch einen Geliebten.

Tatsächlich aber hatte ich mit Mathéo länger nichts mehr unternommen. Seit ich zur Schule ging, sahen wir uns weniger und auch meine Ballettstunden ließen mir kaum noch Zeit für ihn. Fast glaubte ich ihn zu vermissen, als Vivette vorschlug, ob wir nicht Küssen üben wollen, falls es mal wieder ein Junge bei uns probiert. Sarah und ich sahen uns überrascht an, dann stimmten wir zu, neugierig, wie sich Vivette das vorstellte. Ich wollte gerade zu Mr. Bee greifen, um ihn zu küssen, als sich Vivette zu mir umdrehte und ihren Mund auf meinen setzte. Unwillkürlich schloss ich die Augen und staunte, wie weich ihre Lippen waren. Es hatte nur einen Moment gedauert, doch ich spürte die Berührung noch lange, nachdem Vivette bereits weggezogen war.

Anaïs Tagebuch

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