Читать книгу Anaïs Tagebuch - Ralf During - Страница 11
11. Juli 1969
ОглавлениеEs war der Sommer, in dem meine Freundin Clara ihren ersten Liebeskummer hatte und ich meinen Stoffbären Mr. Bee bekam. Meine Tante Eugenie hatte ihn mir zum Geburtstag geschenkt und ich konnte ihn einfach nicht mehr aus der Hand legen. Überall war er dabei, im Stall, in der Kirche, am See und natürlich in meinem Bett. Wir knuddelten den ganzen Tag und wenn mich damals einer gefragt hätte, wer mein bester Freund ist, hätte ich auf Mr. Bee gezeigt. Er war hellbraun und hatte ein flauschiges Fell, große schwarze Knopfaugen und weiche Ohren. Einzig seine Schnauze war hart.
Es war aber auch der Sommer, in dem ich das erste Mal Ballettunterricht nahm. Eine Lehrerin an der Grundschule hatte in Claras Klasse gefragt, wer Spaß am Tanzen hätte und weil es dort zu wenige Mädchen gab, sollten die ihre jüngeren Geschwister fragen. So trafen Sarah und ich eines sonnigen Nachmittags in der Schulturnhalle auf acht weitere Mädchen aus unserem Dorf und bestaunten die ersten Schrittfolgen, die uns die Lehrerin vortanzte. Vermutlich war sie damals selbst noch nicht lange aus der Schule raus, für uns aber war sie die erste Respektperson neben dem Pfarrer und der Frau hinter dem Backstand. Das würde sich mit der Einschulung ändern, wurde meine Mutter nicht müde, uns zu drohen, doch in diesem Sommer hatten wir noch Schonfrist.
Auch meine kleine Schwester Marcelle tanzte für ihr Leben gern. Kaum hörte sie von irgendwoher Musik, drehte sie sich in ihrem süßen Kleidchen, hielt einem ihre pummeligen Babyarme hin und quiekte vor Freude. Als ich ihr aber sagte, dass sie noch zu klein fürs Ballett wäre, hatte sie fürchterlich geweint. Trotzig hielt sie sich an meinem Rock fest und fast fürchtete ich, er könne reißen, als meine Mutter Marcelle energisch losmachte, auf den Arm nahm und ins Haus trug.
Sophie, unsere Ballettlehrerin unterrichtete eigentlich Musik und Sport an Claras Schule. Ballett betrieb sie nur in ihrer Freizeit und hatte Freude daran, ihre Anmut und Grazie an uns weiterzugeben. Natürlich sahen die Anfänge alles andere als anmutig und grazil aus. Es war furchtbar schwer, nur auf den Zehen zu stehen, das Gleichgewicht zu halten oder sich gar noch zu drehen.
Mir tat nach einer solchen Stunde alles weh, vor allem die Füße, aber auch die Beine und der Rücken. Sophie tröstete uns und versprach, dass sich das mit der Übung legen würde. Zum Beweis ließ sie sich in einen Spagat sinken und legte ihren Oberkörper auf ihr ausgestrecktes Bein. Die Hände umfassten einen ihrer Füße und mir schmerzte es schon vom Zusehen zwischen den Beinen.
Clara wurde schnell besser, während Sarah und ich noch keine ganze Umdrehung auf einem Fuß hin bekamen ohne umzufallen. Vielleicht lag es daran, dass sie ein Jahr älter als wir war oder weil die Jungs von ihrer Schule heimlich durch die Fenster der Turnhalle zusahen. Ich hingegen glaube, sie hoffte, dass auch Bernard sie beobachten würde. Der machte seit dem Vorfall auf der Kirmes einen großen Bogen um uns Mädels. Ab und an traf ich ihn in der Bäckerei oder auf dem Markt, wo seine Eltern einen Stand hatten. Dann aber sprachen wir kaum miteinander. Ich wollte nicht unbedingt mit ihm gesehen werden, fürchtete ich doch, dass Clara wieder einen ihrer Heulanfälle oder Wutausbrüche bekommen könnte, unter denen sie seit der Trennung litt. Beim Ballett allerdings staunten wir über die Ruhe und Eleganz, mit der sie bereits nach wenigen Wochen eine der Besten in unserem Kurs wurde.
Ich hingegen fühlte mich wie Mr. Bee, wenn er anstelle von Clément mit der zierlichen Emma Liebe machte und ich dabei an Hugo, Mathéo und Bernard dachte.