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1. August 1968

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Einige Monate vor unserem Umzug aufs Land wurde meine kleine Schwester Marcelle geboren. Als meine Mutter aus der Klinik nach Hause kam und ich Marcelle das erste Mal sah, ahnte ich, dass nichts mehr so sein würde, wie es war. Ich hatte mir so sehr einen Bruder gewünscht, doch jetzt drehte sich alles nur um das Baby und ich hasste sie dafür. Selbst mein Vater, für den es bisher nur eine Prinzessin gegeben hatte, kümmerte sich die meiste Zeit um das schreiende Ding in der Wiege. Vielleicht auch, weil er immer öfter abends länger im Büro blieb, um Überstunden zu machen. Mutter meinte, er tue das für die Familie, weil wir wegen des Babys mehr Geld bräuchten. Ich aber dachte, er wollte nur dem ständigen Schreien entgehen.

Deshalb war ich sehr froh, als wir damals zu meinen Großeltern in die Provence zogen, auch wenn ich Hugo vermisste und meine Eltern das Baby mitnahmen. Hier aber hatten wir mehr Platz als in der Stadtwohnung, meine Großeltern kümmerten sich um mich und ich konnte mit Hugo 2 in den Wiesen und Wäldern herumtollen. In der Stadt gab es bisher nur Autos, Straßen und Dreck. Hier aber schien jeden Tag die Sonne, es war grün und ich sah zum ersten Mal richtige Tiere, die nicht hinter Gittern im Zoo lebten. Auf dem Hof meiner Großeltern gab es Schweine, zwei Kühe, einen Hahn und viele, frei herum laufende Hühner, denen Hugo 2 für sein Leben gern nachjagte.

Mathéo hatte auch einen Hund, einen Terrier namens Frida, die genauso alt wie Mathéo war und damit eine alte Dame. Sie und Hugo 2 verstanden sich gut, auch wenn Frida mittlerweile zu langsam für die Hühnerjagd war und sich lieber von mir den haarigen Bauch kraulen ließ. Mathéo und ich saßen immer öfter zusammen bei uns auf dem Hof, schauten den balgenden Hunden zu oder beobachteten die Wolken am Himmel. Manchmal fragte er mich, ob ich in der dicken Wolke über uns auch einen Pferdekopf erkennen würde oder wieso manchmal die Sonne scheint, obwohl es gleichzeitig regnet. Wegen des Regenbogens, antworte ich dann und sah versonnen auf die Wolke, die eher wie ein Herz als ein Pferdekopf aussah.

Sarah war verliebt in Mathéo. Zumindest gestand sie mir das eines Tages und ich zuckte mit den Schultern. Seit unserem Umzug hatte ich nie wieder das merkwürdige Gefühl im Bauch gehabt, wie ich es von der Zeit mit Hugo kannte. Ich mochte Mathéo, aber er konnte mir das Herz nicht brechen, das gehörte Hugo, dem Hugo, der unendlich weit in der Stadt zurückgeblieben war. Doch Mathéo reagierte nicht auf Sarahs Werben, er spielte lieber mit mir und unseren Hunden und wenn Sarah dazu kam, verabschiedete er sich oft schon nach wenigen Minuten. Wir waren fünf Jahre alt und hatten noch alles vor uns.

Ich hatte Sarah nie von dem Kuss erzählt, den ich Mathéo an meinem Geburtstag gegeben hatte. Sie war meine beste Freundin und wir teilte alle unsere Geheimnisse, doch das, so fühlte ich damals, war keines, von dem sie wissen wollte. Ebenso wenig, dass Mathéo einige Wochen nach meinem Geburtstag versucht hatte, mich nochmals zu küssen.

Wie so oft saßen wir im Heuschober meines Großvaters, versteckten uns vor den Erwachsenen und malten uns aus, wie es wäre, wenn wir mal groß sind. Plötzlich sagte Mathéo, dass er mich dann heiraten würde und griff nach meiner Hand. Es war wie elektrischer Schlag. Erschrocken zog ich meine Hand weg und sah, dass Mathéo näher gerückt war. Unsicher, was ich tun sollte, wartete ich ab, bis er plötzlich die Augen schloss und mit seinem Mund versuchte, mein Gesicht zu treffen. Ich wich zurück und spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Da sprang Mathéo auf und rannte ohne ein weiteres Wort aus dem Stall.

Anaïs Tagebuch

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