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10. März 1969

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Ich habe Ärger mit Sarah. Irgendwie steht Mathéo zwischen uns. Er ist mir ein wirklich guter Freund geworden und ich mag ihn sehr. Aber noch mehr mag ich meine Freundin und habe deshalb ein wirklich schlechtes Gewissen, wenn mich Mathéo besucht. Wir haben viel Spaß miteinander, radeln durch den ausbrechenden Frühling oder helfen meiner Großmutter im Garten beim Anlegen der Beete. Manchmal bringt er mir ein Stück Kuchen oder Blumen mit, die er auf dem Weg zu unserem Hof gepflückt hat. Doch jedes Mal, wenn ich Sarah davon erzähle, reagiert sie abweisend. Neulich fing sie sogar zu weinen an, weil ihr Mathéo gesagt hatte, keine Zeit zu haben, während er bei mir war.

Es ist wie damals bei Bernhard. Auch hier hatte ich Ärger mit Clara und gehe Bernard seitdem aus dem Weg. Das will ich mit Mathéo nicht schon wieder machen, weiß aber nicht, ob Sarah das verstehen kann. Immerhin bin ich mit beiden befreundet und kann nichts dafür, wenn er sie weniger gern hat als mich.

Als ich einmal fragte, wie er Sarah fände, zuckte er nur mit den Schultern und meinte, ganz ok. Das habe ich ihr gar nicht erst erzählt, sonst wäre sie wohl wieder in Tränen ausgebrochen. Maman meint, ich solle einfach mehr Zeit mit beiden verbringen, doch das wollen komischerweise weder Sarah noch Mathéo und nun bin sich so schlau wie zuvor. Bei Clara und Bernard hat es geklappt, doch ich glaube nicht, dass sich Mathéo mehr für Sarah interessiert, wenn ich ihn nicht mehr treffe. Deshalb spiele ich neuerdings auch öfters mit anderen Mädchen aus der Nachbarschaft und sogar mit Leon, nur um nicht zu viel Zeit allein mit Mathéo zu verbringen.

Neulich hat Leon versucht, eines dieser Nachbarsmädchen zu küssen. Cloé, so heißt sie, war mit einem Schrei aufgesprungen und lief hochroten Kopfes davon. Leon lachte, fragte mich aber, warum sie sich so aufregt. Ich ahnte den Grund und war froh, dass er nicht versucht hatte, mir seinen Mund aufs Gesicht zu drücken. Ich war erst einmal von einem Jungen geküsst worden, von Mathéo, und das auch nur auf die Wange, aber ich fand es wunderschön. Doch von Leon wollte auch ich mich nicht küssen lassen. Er war irgendwie grob und plump und benahm sich oft ungeschickt beim Spielen mit uns Mädchen. Immer wollte er bestimmen, was wir tun, und wenn ihm eine widersprach, knuffte er sie in den Arm oder nahm ihre Spielsachen weg.

Cloé war wie ich sechs Jahre alt und die Tochter eines der Bauern, mit denen meine Großeltern befreundet waren. Sie war oft krank und wirkte sehr blass mit ihren flachsblonden Haaren und einer Haut, die im Sonnenlicht wie Pergament schimmerte. Oft trug sie dunkle Ringe unter ihren wasserblauen Augen und wirkte niedergeschlagen. Als sie sich einmal beim Spielen Saft über ihre Hose gegossen und diese zum Waschen ausgezogen hatte, sah ich dunkelblaue Flecken auf ihren Oberschenkeln und fragte, was da passiert sei. Ihr schoss das Blut ins Gesicht und sie zog ihre Hose, nass wie sie war, rasch wieder an. Sie wäre gefallen, flüsterte sie, wollte aber nie wieder darüber sprechen.

Ich mochte Cloé und war ziemlich traurig, als mir meine Mutter kürzlich mitteilte, dass sie zusammen mit ihrer Mutter weggezogen sei. Ich wunderte mich, weil Cloé nie etwas von einem Umzug erzählt hatte und kaum ohne sich zu verabschieden gegangen wäre. Wir waren gute Freundinnen und hatten schon oft über die Zeit gesprochen, wenn wir endlich zur Schule gehen konnten. Und nun war sie von heute auf morgen verschwunden? Vielleicht war sie krank, doch deshalb hätte sie nicht wegziehen müssen. Keiner antwortete auf meine Fragen und ich hoffte, dass mir Cloé wenigstens eines Tages schreiben würde.

Anaïs Tagebuch

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