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1.1.1 Die Maschinenorganisation oder die Sicherheit der Bürokratie

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Es gibt gute Gründe, warum Unternehmen am Grundmodell ‚Training‘ festhalten. Es passt zur Grundform der inneren Arbeitsform der Unternehmen, es entspricht dem Modell der Bürokratie. Unternehmen werden verwaltet und nach wie vor nutzen sie dafür Regeln, Vorschriften, Pläne und Formulare und deren formalistische Prüfung. Die Gestaltung des Vorgangs und die Kontrolle des Vorgehens sichert das Unternehmen ab, sorgt für seine Identität. Nicht der Inhalt des Vorgangs steht im Vordergrund, sondern die Art und Weise des Vorgehens selbst. Der Rückgriff auf das Formale des Aktes gewährleistet Einheit und Kontrolle gegenüber einer unübersehbaren Fülle von Inhalten. Über das ‚Formale‘, über die Gestaltung von Entscheidungen, über die formale Setzung von Kontrollwegen lässt sich eine inhaltlich zu kompliziert gewordene Organisation, die in ihrem konkreten Tun zu vielfältig geworden ist, um die Inhalte von einem zentralen Ort noch übersehen zu können, führen. Es bleibt kontrolliert, es bleibt einheitlich. Bürokratische Modelle geben die Sicherheit von Richtigkeit auch dann, wenn die Inhalte unüberschaubar geworden sind.


Die Vorschriften, Arbeitsanweisungen etc. vermitteln den Eindruck, als ließe sich die Komplexität und die Zukunftsoffenheit der Welt durch ‚Regeln‘ bändigen. Und bricht ein Inhalt aus den Regeln aus, treten Situationen auf, die noch nicht geregelt sind, so spricht das nicht grundsätzlich gegen das Modell, sondern nur für seine weitere Ausgestaltung durch weitere Regeln. Selbst wenn das Wissen auftritt, dass es zu viele Regeln oder zu enge Regeln sind, werden die Regeln nach einer Regel reduziert. Das Modell der Bürokratie hat die Potenz zur Selbstbezüglichkeit und kann sich so, ohne seine eigenen Grundregeln zu verändern, an neue Situationen anpassen. So schafft es ein Gefühl von Sicherheit und vermittelt das Bewusstsein, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht. Folglich wird im bürokratischen Modell auch weniger inhaltliches Versagen bestraft, verfolgt werden hingegen Regelverstöße, diese gelten als eigentlich ‚gefährdend‘. Die Regeln nämlich sind das einheitsstiftende Rückgrat der Organisation und nur sie ermöglichen eine Kontrolle von oben nach unten. Sie verhindern die Grundangst in Hierarchien, dass Anarchie ausbrechen möge.

Die Bürokratie ist ein erfolgreiches Modell. Ihr Problem ist ein vernünftiger Ausgleich zwischen Freiraum vor Ort und Regelkonformität, und ihr Problem ist ein Typ von Mensch, der sich in diesem Modell einnistet – die*der Bürokrat*in. Sie*Er ist die*der Gegenspieler*in der*des ‚Unternehmers*in‘, dem es um Inhalte geht. Im Kampf zwischen beiden muss sich das Gleichgewicht von Freiheit und kontrolliert Geregeltem ausbilden.

In Unternehmen macht uns, die wir für die Ermöglichung von Flexibilität, von Kreativität und von Offenheit gegenüber dem noch nicht ‚Gedachten‘ stehen, noch ein anderes Modell Sorge, das ideal zur Idee der Bürokratie passt. Unternehmen denken sich oft noch im Bild einer Uhr, im Bild eines mechanischen Kunstwerks, indem viele Rädchen miteinander kunstvoll verzahnt sind und die, werden sie regelmäßig aufgezogen, berechenbar und ewig einen zuverlässig gleichen Weg gehen. Manchmal erstaunt es, dass Unternehmen, die in ihren Produkten mit ganz anderen Modellen arbeiten (z.B. biologischen Modelle, Modelle der Fuzzy Logik usw.) für ihre Organisation am Bild der Maschine festhalten. Rädchen greifen nach wie vor ineinander über, übertragen einen zentralen Impuls in unterschiedlicher Umsetzung bis hin zum kleinsten Rädchen. Auch hier gibt es einen Grund, warum so viele an diesem Modell festhalten. Es zeigt einen verständlichen Weg, ein großes Gebilde in seinem abgestimmten Zusammenhang zu denken und es zeigt Stellen auf, an denen die Übertragungen geschehen. Woran mit viel Aufmerksamkeit gearbeitet wird, sind die Kontaktstellen der Rädchen – und obwohl sie immer mehr in Workshops, in Besprechungen, in Großveranstaltungen etc. gepflegt werden, gibt es immer noch zu viel Energieverlust an genau diesen Übertragungsstellen. Und so wird uns immer wieder dieselbe Frage gestellt: Mit welchem ‚Mittel‘ kann ich die Übertragung effektiver gestalten? Und im Hintergrund sehen wir das Idealbild des Fragenden; das Bild einer Maschine, in der lautlos und ohne Übertragungsverlust Bewegung von einem Rad auf ein anderes übertragen wird und viele Räder so miteinander verknüpft in ewiger Bewegung bleiben. Auch dieses Modell verspricht die Sicherheit von Ordnung und Geregeltheit: der Ort eines jeden Rädchens ist wohlbestimmt, die Organisation hat einen klaren, sicheren und verlässlichen Aufbau. Und betrachtet man sich die Not der mit Personalfragen betrauten Menschen in Unternehmen, Karriere anders als Aufstieg von einem Ort zum anderen zu denken, so wird daran deutlich, wie wesentlich für das innere Gefüge die Hierarchie der Orte, die Hierarchie der Rädchen ist. Und auch hier wieder der Grundgedanke des Trainings: Ort, Aufgabe, Laufrichtung, Durchmesser, Zahnstellung des Rädchens oder des Rades sind wohlbestimmt und wer sich diese Bestimmungen zu Eigen macht, der läuft reibungslos im Getriebe des Unternehmens. Wohlbestimmtes lässt sich trainieren und so passt das Modell Training zur Bürokratie und zum mechanischen Kunstwerk Organisation. Und alle drei gemeinsam schenken den Menschen Sicherheit, Verlässlichkeit und Kontrolle – genau das, von dem wir wissen, dass es die nicht gibt. Und weil sie dies uns allen so Wichtige schenken, verharren die Menschen in diesen Modellen. Zugleich natürlich klagen wir alle über die Kosten der Modelle: mangelnde Freiheit, mangelnde Offenheit, mangelnde Flexibilität, mangelnde Veränderungslust, mangelnder Mut. Und so gibt es das Paradox: Aufträge, in denen wir genau in diesen Modellen Freiheit, Mut, Charakter, Offenheit, Flexibilität, Veränderungslust trainieren sollen. Aber das geht nicht.

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