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1.1 Einleitung

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Was hat Ästhetik mit der Gestaltung und Steuerung von Unternehmen zu tun? Zunächst einmal gar nichts. Das System Unternehmen ist auf Ertrag, Effizienz und finanziell messbares Wachstum ausgerichtet. Ästhetik hat seinen Platz im Marketing, als Design, vielleicht in der Produktgestaltung aber kaum als eigenes Kriterium, um Unternehmensabläufe zu bewerten. Wann wird schon ein Prozess oder eine Besprechung als schön oder sinnlich beschrieben?

Ästhetik spricht von sinnlicher Erfahrung, der Begegnung von Welt mit allen Sinnen und in einer Weise, in unserem modernen Wortgebrauch, dass der gesamte Sinneseindruck als schön bezeichnet werden kann. In der Pädagogik wissen wir, wie sehr sinnliches, emotionales Erleben Teil eines gelungenen Wissens- und Könnenerwerbs ist. In der Hirnforschung wird die Bedeutung des emotionalsinnlichen Erlebens als wesentlich für das tiefere Lernen verstanden – es geschieht wohl im limbischen Teil des Gehirns, jenseits unseres Bewusstseins. Wenn wir also von Wachstum sprechen und dies nicht nur auf Ertrag, Umsatz, Marktanteil etc. beziehen, sondern Wachstum unter den Kriterien von kognitivem und emotionalem Reichtum verstehen, dann kann uns der Bezug auf Ästhetik und Kunst helfen, einen anderen Zugang zur Gestaltung von Unternehmen, von Unternehmensprozessen, von Mitarbeiter*innen führung zu finden.

Wir befinden uns inmitten einer Krise, die sich dadurch auszeichnet, dass es immer schwieriger, ja zunehmend unmöglich zu sein scheint, verlässliche Vorhersagen über selbst die nahe Zukunft zu treffen. Die in der Philosophie schon lange beschriebenen Komplexitäts- und Kontingenzerfahrungen haben die Unternehmen eingeholt. Planungsinstrumente, die auf der Beständigkeit der Umwelt beruhen, versagen zunehmend. Das Ereignishafte, das, was unerwartet eintritt, wird immer wichtiger und dominanter. Für die Menschen in Unternehmenszusammenhängen wird es daher immer bedeutsamer, die Fähigkeit zu entwickeln, eine Antwort auf neue Situationen zu finden, die als spontan, flexibel oder auch agil beschrieben werden kann. Diese Fähigkeiten lassen sich auf dem Wege der lange erfolgreichen Planungsmethoden nicht erlernen. So brauchen wir im Augenblick weniger detaillierte Ausfaltungen der Rationalität, als vielmehr eine Entwicklung der emotionalen Persönlichkeit, eine Entwicklung intuitiver Kompetenzen. Aber wie und wo kann das geschehen?

Wenn uns alles zu einem Mittel für einen Zweck wird, sei es Ertrag, Wachstum, Marktanteil, Kostenführerschaft, ja selbst Purpose und Leidenschaft zu einem Mittel werden, dann wird die Welt selbst zu einem Mittel und der Mensch in ihr zu einem Werkzeug.

Die naturwissenschaftliche Wendung, die technische Wendung in unserem Bezug zur Welt war und ist segensreich und dennoch hat ihre große Dominanz dazu geführt, alles unter dem Gesichtspunkt der Maximierung zu betrachten, oder freundlicher gesprochen unter dem Aspekt der Verbesserung, der Steigerung. Ein in Unternehmen oft gesagter Satz: Da, wo wir uns nicht verbessern, da fallen wir zurück, zeigt die problematische Seite dieses Weltzugangs. Der Satz hat seine eigenen Wirkung entfaltet, er hat uns in eine Denkform geführt, die als steter Duck empfunden wird, als rastloses Vorwärts, dem die Zeit der Muße, des freien Bedenkens verloren gegangen ist. Während uns die technische Wende eigentlich so viel Zeit für ein freies zwang- und druckloses Bedenken geschenkt hat, finden wir keine Zeit mehr für ebendiesen Überschuss, die Entlastung von Bedürfnissen zu nutzen und uns frei, befreit und so mit einem Abstand mit den Alternativen, dem je anderen zur beherrschenden Weltbeschreibung beschäftigen zu können.

Es sind ästhetische Erfahrungen und insbesondere Erfahrungen in der Begegnung mit Kunst, die uns unterstützen mit einem anderen Mindset, anderen kulturellen Mustern, unserer eigenen Welt zu begegnen und mit leichten Verschiebungen in den dominanten Beschreibungen unserer Umwelt zu erfahren, dass sich neue Handlungsmöglichkeiten öffnen. Schließlich ist unsere Welt eine sensible Balance zwischen Notwendigkeit und Möglichkeit.

Wie sehr Kunst das Potential, uns zu helfen, in sich trägt und die Zukunft so zu verstehen, dass sie uns Handlungsoptionen eröffnet, mag ein Beispiel verdeutlichen. John Cage komponierte, oder besser fügte zusammen und collagierte die Oper Europeans 1 und 2. Er fügte 64 Instrumentalpassagen aus 200 europäischen Opern zusammen, wobei ein Computer zufallsgesteuert die Reihenfolge bestimmte. Er fügte, ebenfalls zufallsgesteuert, ausgewählte Parameter für Licht, Kostüme und Requisiten hinzu. Die Sänger*innen von Arien wählten selbst die Arien aus, die sie singen wollten, festgelegt war nur ein zeitlicher Rahmen. Die Oper wurde 1987 in Frankfurt uraufgeführt. Erlebt werden können die Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem und der Zusammenhang von Unzusammenhängendem. Es gibt eine Hintergrundstruktur, die das sehr fragile, offene und vor allem von Freiräumen bestimmte Kunstwerk zusammenhält: die 64 Konstellationen des chinesischen Orakels I Ging. Innerhalb des gesetzten Rahmens gibt es eine große Freiheit der beteiligten Künstler*innen. Und zugleich verpflichtet es die Künstler*innen, die Freiheit in einer steten Kommunikation mit der Freiheit der anderen zu gestalten. In diesem Werk schafft Cage einen intensiven Ausdruck dessen, was heute VUCA genannt wird und gibt zugleich Ideen und Haltungen einen Raum, der heute unter dem Stichwort agile Organisation auch in den Unternehmen Einzug gehalten hat. Liest man Cage‘s Werk unter dem Aspekt einer Organisation, dann zeigt er zugleich, wie sich die Führungskonzepte Hierarchie und Bürokratie in diesem Setting verändern.

Es gibt eine Führung, eine*n Regisseur*in, vielleicht eine*n Dirigent*in – aber sie halten nur mehr den Rahmen, geben Feedback im Prozess der Verständigung, setzen eventuell Impulse in einem Prozess, der immer wieder neu entsteht. Freiheit, Gestaltungsoptionen und Verantwortung liegen bei den Spieler*innen. Ihre Kooperationsfähigkeit – die Balance zwischen individueller Freiheit und kollektivem Zusammenklingen lässt das aufgeführte Werk als Ereignis entstehen. Hier ist alles enthalten, was man braucht, um die neuen agilen Arbeits- und Organisationsformen zu verstehen und das ca. 30 Jahre, bevor das Wort ‚agil‘ in den Unternehmen Einzug hielt. Im Hintergrund eine strenge Struktur, eine Führung als Gestalter*in von Feedbackschleifen und Impulsgeber*in ohne inhaltlichen Eingriff, die Freiheit der Spielenden und die Notwendigkeit die jeweilige Freiheit, den jeweils spezifischen Individualismus und eine kollektive Orientierung am gemeinsamen Ergebnis in eine Balance zu bringen.

Das Werk zeigt aber auch anderes: den hohen Anspruch an die Fertigkeiten, das Können der einzelnen Spieler*innen, ihren ausgebildeten Sinn für das individuell Spezifische und zugleich das Können, sich auf ein Kollektiv zu beziehen und Gemeinsamkeit zu gestalten. Es verlangt von jeder*jedem Einzelnen die Haltung der Gegenseitigkeit, in der ich von der*vom anderen her denke, ohne dabei die Eigenheit des mir eigenen zu verlieren.

Cage diente uns als ein Beispiel, eine Metapher, ein Bild, um jenseits der bestimmenden kognitiven Muster, die in einem Unternehmen als die Kultur beschrieben werden, sich den Dingen zuzuwenden, sie aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Das geht sicher auch rein theoretisch, jedoch fügt das Kunstwerk, die Oper von Cage dem ganzen einen ästhetischen, sinnlichen Moment hinzu, indem auch emotional erlebbar, sinnlich spürbar wird, dass Organisation auch anders gedacht und gestaltet werden kann.

Das Moment der Gleichzeitigkeit im Ungleichzeitigen und das Zusammen von Denkformen und Handlungen, die logisch nicht zusammengehören, hat sich auch in der Welt der Blockbuster manifestiert. In Marvel’s Film Black Panther sieht man für unser normales Verständnis deutlich disparate, zu verschiedenen Entwicklungsperioden zugeordnete Handlungsweisen und Artefakte in einem Ereignisraum, einer gleichzeitigen Welt. Man sieht alte, eher archaische Rituale im Kontext futuristischer High End Technologie und sie bilden im Lebensraum dieses Filmes keinen Widerspruch, sondern sind in einem Zugleich. Hollywood formuliert solche Konstellationen nicht nur als reine Phantasiegebilde, sondern sie spiegeln wieder, was wir unter dem Begriff Diversität fassen – Wege verschiedenste Individualismen, Eigenheiten, Weltrepräsentationen in ihrer Eigenheit zu lassen und zugleich Gemeinsamkeit als gegenseitigen Bezug aufeinander zu gestalten.

Für den in den genannten Bildern aufscheinenden hohen Anspruch sind wir noch nicht ‚gebildet‘ genug. Wir leben und handeln noch in einem Kontext, der von der Idee des Menschen als Egomaximierer*in dominiert ist. Wir lernen erst die Schönheit der Ergebnisse von Kollaboration und Gegenseitigkeit zu schätzen und uns auf den Weg zu einem individuellkollaborationen Arbeiten zu machen.

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