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1.1.2 Die Fortsetzung der Schule

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Gelernt werden muss auch in der bürokratischen Maschinenorganisation. Und gelernt wird in der Fortsetzung von Schule. Gelernt wird, was andere schon wissen. Gefragt wird nach dem, wozu es schon Antworten gibt. Selten wird gelehrt, wie ich denn neues Wissen erfinden kann und selten wird Menschen gezeigt, wer und was sie sein könnten. Die Lernerfahrungen in der selbst bürokratischen Institution Schule sind solche der Reproduktion – wird Gelerntes integriert, zum Teil der Persönlichkeit der*des Schülers*in, so geschieht dies eher zufällig. Natürlich ist Schullernen nicht schlecht, so wenig wie Training schlecht ist, so wenig wie Bürokratie schlecht ist. Sie leisten, was sie leisten müssen und was notwendig ist, nämlich von Anderen zu lernen, was Andere schon wissen und was sich übernehmen lässt. Zu gleich sind sie aber begrenzt, öffnen selten den Weg zu Neuem und schließen selten das Tor zur Bildung auf, in der und mit der Persönlichkeiten werden können. Obwohl in den Unternehmen so viel von Persönlichkeiten, von Führungsqualitäten, von Charakter die Rede ist, reproduzieren die Unternehmen eigenartigerweise in ihren Fortbildungszentren immer wieder Schulen. Es beginnt beim Aufbau des Lernraums, den Orten des Lernens selbst, die fast immer an Schule erinnern, geht über den Aufbau der Tische, Tafeln und des Katheders bis hin in die Zeitplanung. So kann man lernen, was reproduziert werden soll. Aber das Neue entdecken, Erfahrungen mit sich machen, während man sich mit sperrigem Stoff auseinandersetzt? Erfahrungen, in denen sich Themen mit Beziehungen vermischen und unversehens sich Selbstverständnis entwickelt? Dafür sind diese Orte nicht geschaffen. Als ein anderes Bild vom Lernort kommt mir das Theater, das klassische griechische Gymnasium des Altertums oder die Laborschule Hentigs in den Sinn. Doch solche Denkbilder vom Ort des Lernens finde ich so gut wie nie in Unternehmen, auch dort nicht, wo die Regelexpert*innen für das Lernen, die Bildungsbürokrat*innen sitzen. Der andere Ort des Lernens könnte die Chancen zu neuem Lernen eröffnen und mit der Lerntradition Schule und der Dominanz der Reproduktion brechen.

Zugleich repräsentiert Schule eine bestimmte Form der autoritär konstituierten Lernsituation. Es gibt immer eine*n Lehrer*in, die*der neben dem Wissensvorsprung auch die Gestaltungsmacht über die Lernsituation selbst besitzt. Fast immer findet das Schullernen in einer Beziehung zur Autorität statt, eine Situation, die zugleich mit dem reproduzierenden Lernen ein Lernen in einem Beziehungsgefälle beinhaltet. Hierarchie der Nachfolge oder des Widerstandes, durchlebt in Form von Abhängigkeit, wird so eines der Grundmerkmale des Lernens. Mit dieser Lernsituation wird ein Verhaltensfeld und ein dazu gehöriges bezogen gehorsames oder bezogen widerständiges Verhalten gelernt, das in der späteren Arbeits- und Lernsituation einer hierarchischen Organisation wieder aktuell wird. Oft habe ich mich gefragt, warum denn Führungskräfte sich vor einer Präsentation vor den nächst höheren Ebenen verhalten wie Schüler, die gerade wieder geprüft werden. Sie bereiten sich vor, als könnten sie dabei ertappt werden, wie sie wieder einmal ihre Aufgaben nicht richtig, nicht sorgfältig genug gemacht haben und in ihre Vorbereitungen beziehen sie natürlich all die Marotten mit ein, die es bei dieser*diesem Lehrer*in – Entschuldigung, bei dieser*diesem Chef*in muss es heißen – zu beachten gilt. Das Bild der Persönlichkeit wirkt in diesen Situationen unreif, manchmal brav, manchmal im auf brechenden Ärger nach der Situation pubertär. Dies konnte ich bei Führungskräften beobachten, die ich in ihrem eigenen Umfeld, da wo sie die Stelle der Autorität einnahmen, als stark, selbstbewusst und reif wahrgenommen hatte. Ich verstehe diese Verhaltensbrüche heute als die Reproduktion der alten Lernszenen und kann daher auch wahrnehmen, mit wie vielen auf die Schüler*innen-Lehrer*innen-Situation bezogenen Verhaltensformen Autoritäten in Unternehmen handeln, sei es die unheimliche Fähigkeit, den einsamen, einzigen Fehler auf Folie X sofort zu bemerken oder sei es in den bohrend prüfenden Frageformen, denen man im Gespräch Vorgesetzte*r Mitarbeiter*in so oft begegnet.

Nun ist das Lernen vom Vorbild – und im Ideal ist sowohl ein*e Lehrer*in als auch ein*e Vorgesetzte*r ein gutes Vorbild – eine sehr effektive Form des Lernens. Damit dieses Lernen seine gute Wirkung entfalten kann, muss aber die Gelegenheit gegeben sein, das Vorbild zu verlassen, zu stürzen, zu demontieren, um es später wieder sehen zu können, denn Persönlichkeit reift in der Freiheit und schließlich in dem gewonnenen Standpunkt, etwas genau so zu tun, obwohl es das Vorbild genau so getan hätte. Freiheit und selbstgesteuertes Lernen kommt in der autoritätslastigen Lernform des reproduzierenden Schullernens aber nicht vor und doch ist es gerade das, was in den Unternehmen gefordert wird, wenn sie von Wandlungsgeschwindigkeit, von Entscheidungsfähigkeit vor Ort, von zentral nicht mehr beherrschbaren Informationsfluten und von dezentraler Steuerung reden. Geht es um Selbststeuerung, um die schnelle Auswahl des jetzt Wichtigen unter Abwahl von vielem anderen auch Wichtigen, geht es um Entscheidungskompetenz in komplexen, dynamischen Situationen, dann brauchen Führungskräfte Erfahrung mit selbstgesteuertem Lernen, in dem sie selbst sich durch das Lernen führen und dabei an geeigneten Lernorten mit ihrer Art des Lernens Erfahrungen sammeln, sei es, dass sie sich am Stoff und dem Widerstand der Welt stoßen oder aber mit Kolleg*innen oder Begleiter*innen erfahren, welchen Lernweg sie gerade beschreiten und beginnen, Grenzen und Chancen gerade ihres eigenen Weges zu verstehen. Und zu einem solchen Lernen gehört schließlich auch die Krise, in der sich die Frage nach dem Sinn der Anstrengung stellt und in der die Chance gegeben sein muss, das bisherige in Frage zu stellen und den Weg noch einmal zu gehen.

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