Читать книгу Minnas Buch - Regina Störk - Страница 17
ОглавлениеDas Kleid war ein Traum. Magda hatte einfach geschickte Hände. Wilhelmine strich über den Stoff. Es fühlte sich gut an.
Der Stoff war blau wie der Hut, den Wilhelmine sich gekauft hatte.
Nun saß sie gemeinsam mit ihrer Freundin vor der Frisierkommode in ihrer Stube. Magda hatte sich bereit erklärt, Wilhelmine zu helfen, sich für den Abend hübsch zu machen. Im Haus wuselten die Dienstboten bereits den ganzen Tag durcheinander. Überall wurde geräumt und geputzt. Der Backofen im Flur war immer wieder mit Köstlichkeiten gefüttert worden, im Ofen brutzelte das Fleisch langsam vor sich hin und verströmte einen Duft, der einem das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Blumen und Zweige wurden aus dem Garten zusammengetragen, Tische gedeckt und geschmückt, Platz für die kleine Kapelle geschaffen, die später zum Tanz aufspielen sollte. Alle liefen geschäftig durcheinander und jeder schien ganz genau zu wissen, was er zu tun hatte.
Magda hatte Wilhelmine die Haare geschnitten. Nun war sie mit der Brennschere dabei, sie in weiche Wellen zu legen, so dass sie Wilhelmines Gesicht genau so sanft umschmeichelten, wie die beiden Frauen es in dem Modemagazin gesehen hatten. Magda hatte aus dem Kleiderstoff ein Stirnband genäht, dass sie mit ein bisschen Strass und Paletten verziert hatte.
Wilhelmine hatte bei ihrem Einkaufsbummel durch Neidenburg ein paar Seidenstrümpfe ergattert. Dazu trug sie elegante Schuhe aus dunkelblauer Seide.
Blau war die Farbe, die am besten zu Wilhelmines Augen und den blonden Haaren passte.
Das Kleid hatte breite Träger, der Ausschnitt war gerade. Der Rock war aus Spitze und ungefähr auf Hüfthöhe angesetzt. Er fiel zipfelig und fast ein bisschen asymmetrisch in etwa so wie ein viereckigen Tischtuchs, das über die Ränder eines runden Tisches hinausragte. Ein Unterkleid aus Seide reichte bis etwa eine handbreit über die Knie. Ein mit Pailletten bestickter Streifen, der an den Trägern auf dem Rücken angesetzt war, lief spitz auf den Rock zu, so dass sich beide Enden dort trafen, wo der Spitzenstoff angesetzt war. Der gleiche Streifen kaschierte die Naht zwischen Oberteil und Rock wie eine Art Gürtel.
Magda half Wilhelmine in das Kleid, bevor sie sich daran machte, sie zu schminken.
Als sie fertig war und Wilhelmine sich im Spiegel betrachte, stieß sie einen kleinen Juchzer aus. “Magda! Du bist eine echte Künstlerin!” Wilhelmine drehte sich vor dem großen Spiegel in der Schlafkammer und fand sich einfach umwerfend schön. “Die Männer werden Augen machen!”, rief sie.
Und deine Eltern erst, dachte Minna, die sich unter Wilhelmines Bett zurückgezogen hatte. Wilhelmine hatte sie mit in ihr Zimmer genommen, damit in der Küche niemand über sie stolpern würde oder sie sonstwie unter die Schuhe der Dienstleute geriet. Minna fand nun, es wäre an der Zeit, langsam zum Teich zurückzukehren. Ihr war hier heute einfach zu viel Trubel.
Draußen waren die ersten Gäste zu hören.
“Ich mach mich aus dem Staub”, sagte Magda. “Es wird Zeit, dass du runter kommst.”
Wilhelmine nahm ihre Freundin noch einmal fest in die Arme. “Ich danke dir für alles”, sagte sie. “Lass mal gut sein”, antwortete Magda. “Und pass auf dein Kleid auf. Du siehst wunderschön aus. So wie du aussiehst, hast du heute Abend bestimmt an jedem Finger fünf Verehrer.”
Sie winkte ihrer Freundin noch einmal zu, drehte sich um, lief die Treppen hinunter und war gleich darauf verschwunden.
“Na Minna, dann gehen wir beide jetzt mal runter zu den Gästen. Ein bisschen feiern.” Wilhelmine griff sich die Schildkröte und schaute ihr ins Gesicht.
Um Himmels Willen!, dachte die Schildkröte und ruderte mit den Beinen in der Luft. Sie mochte solche Feste nicht. Es waren zu viele Beine da. Sie würde sich so schnell wie möglich davon schleichen und das Fest an ihrem Teich verbringen. So schnell wie möglich dauerte schließlich immer noch lange genug, wenn man eine Schildkröte war.
“Du siehst umwerfend aus”, rief Wilhelmine ihrem Spiegelbild zu, als sie mit der Schildkröte das Zimmer verließ.
Minna schüttelte den Kopf. Man hätte es für eine nachsichtige oder verwunderte Geste halten können. Doch eigentlich lag es nur daran, dass Wilhelmine sich ziemlich ungestüm bewegte und Minna versuchte, den Kopf irgendwie im Gleichgewicht zu halten. Dabei wackelte er eben.
Aus dem Fenster im oberen Flur konnte man den ganzen Garten überblicken. Unter der großen Kastanie war ein kleines Podest für die Kapelle aufgebaut. Davor waren Dielenbretter über den Rasen gelegt. Da sollte später getanzt werden. Die Gartentische davor waren zu Tafeln zusammengeschoben worden, mit weißem Leinen gedeckt und mit bunten Blumensträußen geschmückt. Etwa fünfzig Personen hatten hier Platz. Die ersten Gäste waren bereits angekommen und standen in kleinen Grüppchen zusammen. Wilhelmines Eltern begrüßten die Neuankömmlinge am Eingangstor, das jetzt weit offen stand.
Vielleicht sollte ich noch ein bisschen warten, bevor ich zu den Gästen gehe, überlegte Wilhelmine laut und schaute Minna dabei an. Worauf willst du denn warten?, schien der Blick der Schildkröte zu sagen. Aber eigentlich fand sie das eine gute Idee. Wilhelmine könnte mit ihr zum Teich gehen und sie dort absetzen. Was sie danach vorhatte, war Minna dann egal.
„Ich bring dich zum Teich“, sagte Wilhelmine. „So hab ich noch ein bisschen Aufschub. Und mein Auftritt wird um so wirkungsvoller sein, wenn die Gäste bereits alle da sind.“ Minna war sich nicht sicher, welcher Art diese Wirkung sein würde und was Wilhelmines Eltern dazu sagen würden, aber sie kam zum Teich und war so außerhalb der Reichweite jeglicher Füße, die auf dem Fest sein würden. Tanzen! Gefährlicher konnte es für eine Schildkröte gar nicht sein.
Bevor Wilhelmine sich in die Gesellschaft stürzte, lief sie noch einmal zurück in ihr Zimmer. Sie schaute in den Spiegel. Der Hut saß, die Frisur, die Haare fielen ihr in weichen Wellen ins Gesicht. Das Kleid war einwandfrei. Die Schildkröte hatte keine Spuren hinterlassen.
Wilhelmine straffte ihren Rücken und kam die Treppe hinunter. Sie ging durch die große Eingangstür nach draußen und blieb dort zunächst auf den Stufen stehen. Sie sah ihre Eltern mit der Familie von Herwagen sprechen. Ihr Sohn Herbert, Erbe des Ritterguts von Klein-Koslau, war mitgekommen. Wilhelmine war mit ihm zusammen zur Schule gegangen, bis er schließlich ins Internat nach Neidenburg gewechselt hatte. Die kleine Gesellschaft war ganz offensichtlich fröhlich. Alle hatten ein Glas in der Hand, die Gesichter waren entspannt und hin und wieder hörte Wilhelmine ihre Mutter lachen.
Und dann sah Wilhelmine, wie Guste sich umwandte. Sie sah jetzt zur Eingangstreppe des Wohnhauses herüber. Vermutlich hatte sie das im Laufe der vergangenen halben Stunde bereits öfter getan. Wilhelmine stellte sich vor, dass ihre Mutter sie längst vermisst hatte. Und bestimmt war sie auch der Meinung, dass es längst Zeit für ihre Tochter wurde, endlich auf dem Fest zu erscheinen, das eigens für sie arrangiert worden war. Sicherlich hatte sie auch schon überlegt, eines der Mädchen nach ihr zu schicken und sie holen zu lassen. Aber nun war Wilhelmine ja da.
Guste hatte ihre Tochter entdeckt. Heinrich und die Familie von Herwaden folgten ihrem Blick und sahen ebenfalls zu Wilhelmine herüber. Herbert lächelte. Guste auch. Es wirkte nur ein bisschen verkrampft.
Hoch erhobenen Hauptes schritt Wilhelmine auf die kleine Gesellschaft zu. Sie war stolz darauf, dass es ihr gelungen war, sich von oben bis unten nach der neuesten Mode herzurichten, wie man sie derzeit in den großen Städten sah. Herbert von Herwaden nahm ihre Hand und verbeugte sich vor ihr. “Hübsch siehst du aus”, sagte er dann. “Ich fühle mich geehrt, dieses Fest an der Seite einer schönen Frau verbringen zu dürfen.” Wilhelmine nickte ihm großzügig zu, während er ihr den Arm bot und sie zu ihrem Platz am Tisch führte.
“Wir beide sollen uns also näher kennen lernen”, schmunzelte der Eheanwärter. Man sah ihm an, dass er genau wusste, dass das Fest vor allem für ihn arrangiert wurde. Er schien es zu genießen. “Ich denke, unsere Eltern erwarten von uns, dass das nächste Fest, unsere Verlobung sein wird.” Erwartungsvoll sah er Wilhelmine an. Die sagte erstmal nichts.
“Was wünschst du dir denn?”, versuchte er, die junge Frau zu einer Reaktion zu bewegen.
“Ich?”, ungläubig schaute sie ihren Ehekandidaten an. “Seit wann geht es denn darum, was ich will? Mein Vater hat mit deinem Vater ein Geschäft vereinbart. Mehr ist dazu wohl nicht zu sagen.”
“Für mich geht es allerdings in erster Linie darum, was du dir wünschst.” Von Herwagen nahm ihre Hand und platzierte einen leichten Kuss auf den Handrücken. “Was soll ich mit einer Ehefrau, die wünscht, weit weg von mir zu sein.”
Sein Lächeln war einfach bezaubernd. Eine Ehe mit ihm müsste angenehm sein. Wenn, ja, wenn es Juri nicht geben würde. Ihn liebte sie und niemals würde sie einen anderen Mann so sehr lieben wie ihn. Da könnte ein Herbert von Herwaden so verführerisch zwinkern wie er wollte. Es gab nur einen einzigen Mann, der für sie als Ehemann infrage kam. Und wenn sie ihn nicht kriegen konnte, dann würde sie eben als alte Jungfer sterben.
Aber diesen Tag, dieses Fest würde sie genießen.
“Gut”, sagte Wilhelmine und wandte sich entschlossen dem Mann an ihrer Seite zu. “Du hast mich gefragt, was ich mir wünsche? Als erstes vielleicht ein Glas Limonade?
“Sehr gerne”, antwortete Herbert von Herwaden, stand auf, verbeugte sich kurz und machte sich auf, ein Glas Limonade zu finden.
Wilhelmine lehnte sich zurück und sah sich um. Sie war nicht die einzige, die sich nach der neuesten Mode angezogen hatte. Selbst in Klein Koslau schien man zu wissen, was Charleston ist. Die jungen Mädchen standen gesittet bei ihren Eltern. Wilhelmine nahm sehnsuchtsvolle Blicke wahr, die die unverheirateten Töchtern den jungen Männern zuwarfen. Aus jeder Ecke des Gartens kam immer wieder fröhliches Gelächter, mal glockenhell, manchmal betont sonor. Mädchen hielten sich verlegen die Hand vor den Mund, wenn einer der heiratsfähigen Burschen sie ansprach.
Die Stimmung war genau so wie sie zu einem sonnigen Sommertag passte.
“Wilhelmine!” Guste kam auf den Tisch zu, an dem ihre Tochter saß und ganz entspannt dem bunten Treiben zusah.
“Wo ist Herbert?” Guste setzte sich neben ihre Tochter. “Das Essen wird gleich serviert.”
“Herbert holt uns Limonade”, antwortete Wilhelmine. “Er wird gleich zurück sein.”
Guste musterte ihre Tochter.
“Es ist peinlich!”, sagte sie dann.
“Was genau findest du peinlich?” Wilhelmine tat so, als wüsste sie nicht, was die Mutter meinte. “Dass Herbert uns Limonade holt?”
“Ja, das auch.” Guste holte einmal tief Luft. “Wie kannst du den Sohn des Rittergutsbesitzers losschicken, um Limonade zu holen. Haben wir nicht genug Personal? Die Mädchen gehen mit den Krügen von Tisch zu Tisch und sorgen dafür, dass nirgends etwas fehlt.”
Der Blick, den Guste Lonzewski ihrer Tochter zuwarf, wirkte äußerst streng.
“Wie du aussiehst! Deine Aufmachung ist unangebracht und völlig unpassend zu einem solchen festlichen Anlass.”
“Mama! Es ist ein Sommerfest. Im Garten. Es ist warm. Du hast doch nicht im Ernst gedacht, ich würde an einem solchen Tag hoch geschlossen und mit langen Ärmeln in gedeckten Farben feiern wollen. Guck dich doch mal um. Die jungen Mädchen sind alle nach der neuesten Mode gekleidet.”
“Das mag sein, doch die anderen sind kein Maßstab für dich. Wir sind die Gastgeber. Es geht um dich. Da solltest du dich angemessener kleiden. Du bist nicht mehr so jung. Es sieht einfach… einfach …” Guste suchte nach den passenden Worten, “ … unschicklich aus.”
“Ach Mamka”, säuselte Wilhelmine mit samtweicher schmeichelnder Stimme. “Lass mir doch die Freude. Guck, doch, Herbert von Herwaden gefällt es.”
“Frau Lonzewski…” Guste schaute hoch und direkt in die stahlblauen Augen ihres Wunschschwiegersohns, der zunächst den Krug mit Limonade abstellte, sich galant vor seiner Gastgeberin verbeugte. Er trat neben Wilhelmine. “Darf ich?”, bat er und schob den Stuhl zur Seite. In Wilhelmines Augen blitzte es kurz auf, als sie lächelnd auf den Platz an ihrer Seite wies.
Inzwischen hatten die meisten Gäste ihren Platz gefunden. Die Bediensteten wuselten flink zwischen den Tischen hindurch und verteilten Gänsebraten und Brot auf den Tischen, füllten Krüge mit Limonade und Bier nach und achteten darauf, dass alle versorgt waren.
Die ersten hatten bereits begonnen, zu singen. “Ännchen von Tharau ist’s, die mir gefällt…” klang es vom Ende der Tafel herüber. Und einer nach dem anderen fiel in das alte Volkslied ein. Beim letzten Satz fand dann auch der Ritterguts-Sohn mit seinem angenehmen Barriton die richtigen Töne. “… mein Reichtum, mein Gut, du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut.”
Klingt gut, dachte Wilhelmine. Sie mochte das. Zusammensein. Zusammen singen. Jeder kannte die Texte, jeder die Melodien. Manche fanden eine zweite, eine dritte Stimme, die ein Lied dann harmonisch abrundete. Da waren alle gleich. Egal, ob Herrschaft oder Instleute - die Lieder, der Gesang, die Musik hielt sie zusammen, machten ein Fest erst zu einem schönen Erlebnis. Und Speis und Trank natürlich. Denn Essen und Trinkern hielt Leib und Seele zusammen, das wusste man.
Wilhelmine genoss den Tag. Die Mutter hatte sich inzwischen beruhigt. Sie verlor kein Wort mehr über das unmögliche und unangemessene Kleid ihrer Tochter.
Guste betrachtete wohlwollend, wie oft Herbert von Herwagen Wilhelmine um einen Tanz bat. Und war beruhigt, wenn ihre Tochter ihrem Tischherrn sehr bereitwillig auf die Tanzfläche folgte. Jedes Mal. Vielleicht würde sie ihre Tochter doch noch angemessen unter die Haube bringen. Guste wandte sich wieder den Damen zu, die ebenfalls an ihrem Tisch saßen. Entspannt. Ihre Bediensteten arbeiteten Hand in Hand. Alles lief nach Wunsch. Sie konnte das Fest also auch einfach genießen.
Als es dunkel wurde, war das Fest noch lange nicht zu Ende. Die Lampions wurden im Garten angezündet, die Kapelle spielte, die Gäste sangen und tanzten.
“Du bist eine hübsche Frau”, sagte Herbert irgendwann zu Wilhelmine, als sie eine kleine Tanzpause einlegten, um sich zu erfrischen.
“Du weißt, dass dieses Fest dir gilt.” Er sah Wilhelmine in die Augen. “Wir haben heute einen schönen Tag miteinander verbracht, zusammen getanzt, gesungen, gelacht… Ich hatte das Gefühl, dir hat es auch gefallen, mit mir zusammen zu sein. Darf ich mir Hoffnung machen?”
Wilhelmine bekam weiche Knie. So weit hatte sie irgendwie nicht gedacht. Ja, es hatte ihr Spaß gemacht, mit dem begehrtesten Junggesellen im Ort zusammen zu sein. Es hatte ihr gefallen, zu spüren, wie er sie begehrte. Sie war stolz, die neidischen Blicke der anderen Mädchen und jungen Frauen auf sich zu spüren. Und sie hatte es genossen, ihre Eltern so entspannt zu sehen, weil sie sich am Ziel ihrer Wünsche sahen. Doch nun bekam sie ein schlechtes Gewissen.
Sie sah zu Boden.
“Herbert …”, Wilhelmine zögerte. Sie traute sich kaum den Mann anzuschauen.
“Ja …?”, Er wartete. Ließ ihr Zeit. Drängte sie nicht.
“Ich muss dir etwas gestehen.” Wilhelmines kamen die Worte nur zögernd über die Lippen.
“Du hast einen anderen?” Herbert von Herwaden machte es ihr leicht.
Wilhelmine seufzte tief.
“Ja”, sagte sie dann. “Ich mag dich. Ich mag dich sogar sehr. Und ich habe den Tag mit dir wirklich sehr genossen. Aber ich liebe einen anderen.”
Jetzt war es raus.
“Weiß er es? Wissen deine Eltern es nicht? Er wird doch sicherlich noch nicht um deine Hand angehalten haben. Denn hätte er das, hätte dieses Fest sicherlich nicht stattgefunden. So darf ich mir also noch Hoffnung machen”, stellte er fest und lächelte gewinnend.
“Nein, also ja. Nein. Ich weiß nicht, ob er es weiß. Meine Eltern wissen es nicht. Noch nicht. Er war noch nicht bei ihnen. Wir haben uns getroffen. Ich liebe ihn. Und ich glaube, er liebt mich auch. Er traut sich vielleicht nicht. Vielleicht denkt er, meine Eltern sind dagegen …” Wilhelmines Worte waren nicht wirklich zusammenhängend oder gar verständlich.
“Wenn er nicht zu deinen Eltern geht, nicht bei ihnen um deine Hand anhält, wird er nicht erfahren, ob er eine Chance hat oder nicht. Wenn er nicht den Schneid hat, vor sie hinzutreten, dann hat er dich auch nicht verdient. Ich komme wieder”, sagte er, verbeugte sich und verabschiedete sich mit einem Handkuss. Dann drehte er sich um und Wilhelmine sah, wie er zum Tisch ihrer Eltern zurückkehrte. Er wechselte ein paar Worte mit ihnen. Als er ging, sahen sie immer noch zufrieden aus.
Es war spät geworden.
Die Nacht war kühl.
Wilhelmine ging ins Haus.
Sollte sie noch einmal nach Minna gucken? Ob die Schildkröte wieder in der Küche auf ihrem Holzstapel saß?
Gerne hätte sie ihr vom Fest erzählt, von Herbert. Es tat gut, mit dem Tier zu reden. Egal, ob es antwortete oder nicht. Irgendwie ordneten sich dabei ihre Gedanken von ganz alleine. Wilhelmine stellte sich vor, wie die Schildkröte reagieren würde, wenn sie jetzt mit ihr sprach und musste schmunzeln. Minna hätte ihren Kopf eingezogen. Tief im Panzer vergraben. Nichts sehen, nichts hören. Nichts reden sowieso. Schließlich konnten Schildkröten nicht reden. Aber sie würde es auch nicht, wenn sie könnte. Du hast dich da hineingeritten, nun sieh zu, wie du da wieder raus kommst, würde sie damit sagen wollen. Vielleicht würde sie sogar einmal kurz das Köpfchen aus dem Panzer strecken und es schütteln.
Ich lass sie schlafen, entschied Wilhelmine.
Es wird sich ein Weg finden.