Читать книгу Minnas Buch - Regina Störk - Страница 21

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Wilhelmine war am großen Küchentisch sitzen geblieben.

Minna saß vor ihr und guckte sie erwartungsvoll an.

Das Mädchen streichelte abwesend über das Köpfchen der Schildkröte.

Der Herd knisterte.

Die Küche war heimelig, gab Geborgenheit. Wilhelmine fühlte sich, als hätte ihr gerade eben jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie meinte, jeden Moment in ein großes dunkles Loch fallen zu können.

“Ein Kind”, sagte sie und guckte ihre Schildkröte dabei an. “Kannst du dir das vorstellen?”, fragte sie.

Klar, was dachtest du denn? Der andere war ein Mann. Also wird es keine Schildkröte.

“Es ist von Juri.” Versonnen streichelte Wilhelmine das Tier weiter. “Hättest du das gedacht?”

Minna verzog das Gesicht. Ich war dabei, dachte sie.

“Vielleicht hat mein Vater nun doch ein Einsehen. Er liebt mich doch. Er kann doch nicht wollen, dass ich ohne Ehe ein Kind bekomme.”

Minna war sich da nicht so sicher. Sie senkte traurig ihr Köpfchen.

“Was ist denn dabei, wenn ich Juri heirate? Er ist ungebunden, ehrlich, fleißig und wäre bestimmt ein guter Gutsverwalter.” Wilhelmine lächelte, als sie noch anfügte: “Und bestimmt der beste Vater, den mein Kind sich nur wünschen könnte.”

Darauf sagte Minna nichts. Nicht nur, weil sie es gar nicht konnte. Sie wollte es auch nicht.

“Ich wollte doch keine Schande über die Familie bringen. Ich liebe Juri und Juri liebt mich. Was kann denn daran schlecht sein?”

Die Schildkröte war eine gute Zuhörerin. Schweigsam und geduldig.

“Liebe ist etwas Göttliches. Gott ist die Liebe.”

Minna legte den Kopf schief. Sie war sich nicht sicher. Manchmal brachte die Liebe auch ziemlich viel Leid über die Menschen. Schildkröten waren da unkomplizierter.

Wilhelmine senkte den Blick.

In der Ehe, sonst nicht, du Dummkopf, flüsterte ihr die Stimme ihres Gewissens zu. Du hast auch an deine Eltern, deine Familie zu denken. Du hast ihre Existenz, die Existenz der ganzen Familie, des Gutes auf dem Spiel gesetzt. Das Leben der Leute, die hier arbeiteten und hier ebenfalls versorgt wurden.

Sie begann zu weinen.

Wilhelmine war verzweifelt. Sie konnte sich nichts vormachen. Ihre Lage war hoffnungslos. Die Aussichten für die Zukunft finster.

Die Nachbarn würden sie meiden. Und sie würden auch ihre Familie meiden wie alle, die hier lebten. Sie bekam das uneheliche Kind eines Polen. Eines Polacken. Abschaum, Mensch zweiter Klasse in den Augen vieler Deutscher, die sich für etwas besseres hielten.

Die zärtlichen Stunden mit Juri an der Skottau hatten im August stattgefunden. Jetzt war Oktober. Das Kind würde im Mai geboren werden. Es würde ein Mädchen sein. Und es würde Helene heißen.

Wilhelmine stand auf und setzte Minna an ihren Lieblingsplatz beim Feuerholz neben den Ofen. Dann ging sie in ihr Zimmer.

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