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Acht

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„Worum geht es eigentlich in deiner Geschichte?“

Gegen elf, in der Annahme, dass sie bis dahin gefrühstückt hätten, spazierte er oberhalb der Bucht entlang. Sie saßen und lagen vor ihrem Zelt, die Wieglers und die Hallers. Maria Wiegler hatte ihn sofort ausgemacht, lud ihn lauthals zu einem Espresso ein.

Auf die Frage war er nicht vorbereitet. Natürlich war er in der Lage, den Inhalt seines Romanvorhabens zu benennen. Und selbstverständlich hatte er einen Plan, doch was im Einzelnen an Handlung passieren würde, musste sich noch ergeben. Was würde zum Beispiel aus der Bekanntschaft mit Vera Galina werden? Wie entwickelte sich die Affäre zwischen Josef Wiegler und Jennifer Haller? Wohin führten ihn seine historischen Studien und Recherchen? Viele offene Fragen. Das Einzige, was unwiderruflich feststand, war seine eigene Vergangenheit, war Vera. Würde er auf die Frage von Maria Wiegler so antworten, er war sich sicher, Unverständnis zu ernten.

Frau Wiegler goss aus der Diabolokanne ein wenig von dem schwarzen Gebräu in eine kleine Tasse, legte ein Tütchen mit braunem Zucker daneben, bat ihn sich zu bedienen. Während er den Zucker in den Kaffee rührte, entschloss er sich.

„Ich habe zwar einen groben Plan, doch vieles ist noch in der Schwebe.“ Er berichtete über den Bergbau im Lahntal des vergangenen Jahrhunderts, dass er eine Geschichte nacherfinden wolle, von der ein Freund berichtet hatte, eine Liebesgeschichte, wie sie sich auch damals zugetragen haben könnte.

Da hakte Maria Wiegler nach, wollte mehr wissen. Neben sich hatte sie einen Korb mit verschiedenen Garnen stehen, aus dem sich ein Faden zu ihren Händen erhob – sie häkelte, automatisch, ohne hinzusehen. Etwa zwei Meter von ihm entfernt, auf einem Tuch mit afrikanisch anmutenden Motiven lag, jetzt ihm zugewandt auf einer Hüfte, Jennifer Haller, heute mit einem gelben Bikini notdürftig bekleidet. Die beiden Männer saßen mit am Tisch, Josef Haller seiner Frau den Rücken zeigend. Wie unbeabsichtigt wendete sich Jonas Bogner so, dass er Jennifer und Josef im Blick hatte.

„Eines Abends saß ich mit dem besagten Freund an der Theke unseres Stammlokals in Wetzlar. Nach ein paar Gläsern Bier erzähle der mir seine Leidensgeschichte.

Vor Jahren hatte er eine Frau kennengelernt und sich sofort in sie verliebt. Sie wohl auch in ihn. Doch wie das so ist, wenn sich Menschen mittleren Alters treffen, sind sie schon gebunden. Die Frau war verheiratet, nicht unglücklich, wie sie ihm gestand. Und doch ließ sie sich auf meinen Freund ein, führte fortan ein Doppelleben, mit für beide tragischem Ausgang.

Mehr möchte ich nicht vorwegnehmen. Wenn Sie wollen, teile ich Ihnen mit, falls das Buch erscheint, was ja noch gar nicht sicher ist.“

Die Sitzhaltung der beiden Männer hatte sich, während er erzählte, nicht verändert. Anders die der Frauen. Maria Wiegler hatte ihr Häkelzeug in den Korb gelegt, sich ihm interessiert zugewandt. Jennifer Haller, die zuvor wie locker dahingeblättert lag, hatte sich aufgerichtet, wirkte jetzt auf ihn etwas angespannt.

Josef Wiegler, der anfangs immer dann, wenn Jennifer Haller ihre Liegehaltung auch nur um einen Deut verändert hatte, hingeschaut hatte, unterließ das, als Jonas Bogner auf die tragische Liebesgeschichte zu sprechen kam. Der hatte, während er sprach, so unauffällig wie möglich versucht, die beiden zu beobachten.

Irgendwie konnte er Josef Wiegler verstehen. Die Raffinesse ihres gelben Bikinis bestand darin, dass das Höschen so locker saß, dass es je nach Sitzhaltung verschiedene Einblicke bot. Jonas Bogner war sich sicher, dass die Frau genau wusste, welche das waren.

„Die Geschichte geht also nicht gut aus?“, fragte Maria Wiegler nach.

„Nein, sie hat kein Happy End.“

„Und wie geht es mit den beiden weiter?“

„Dazu möchte ich nichts sagen, schließlich soll man ja mein Buch kaufen und lesen.“

„So kann man sich aus der Affäre ziehen“, bemerkte Josef Wiegler.

Mal sehen, wie du dich aus deiner Liaison ziehst, dachte Jonas Bogner, sagte aber nichts zu dessen Einwand.

„Und um was geht es in der Bergarbeitergeschichte?“, fragte Josef Wiegler nach.

Jonas Bogner vermutete hinter der Frage die Absicht, von der Liebesgeschichte abzulenken.

„Ich werde versuchen, das Leben der Grubenarbeiter im Vergleich zu dem der Bergwerksbesitzer so realistisch wie möglich zu beschreiben. Auch hier wird es natürlich um die Beziehungen der Menschen untereinander gehen.“

An dieser Stelle schaltete sich Maria Wiegler erneut in das Gespräch ein: „Schön wäre es doch, wenn Sie da die Liebe zwischen einem armen Arbeitermädchen und dem Sohn des Bergwerksbesitzers beschreiben würden“, schlug sie vor.

Jonas Bogner griff ihren Vorschlag auf, obwohl er nichts dergleichen im Sinn hatte.

„Das habe ich auch vor. Vielleicht so: Auf dem Weg zur Arbeit begegnet das arme Mädchen an einer Wegekreuzung dem Sohn aus reichem Hause. Das Mädchen kann gerade noch zur Seite springen, als die Pferdekutsche an ihm vorüberrast, ein paar Meter weiter aber zum Halten kommt.

Der junge Herr springt vom Kutschbock, rennt zu der jungen Frau, die am Wegrand sitzt und sich ihren Fuß hält, den sie sich wahrscheinlich verstaucht hat. Er bietet ihr seine Hilfe an, doch sie ist wütend und humpelt weiter ihres Weges.

Kurz entschlossen packt der junge Mann das Mädchen und trägt es auf seinen Armen zur Kutsche, setzt es auf einen der Sitze, hüllt es in eine Decke ein, weil inzwischen dunkle Wolken aufgezogen sind.

Anna, nennen wir die junge Frau mal so, würdigt Wilhelm, den Sohn des Grubenbesitzers, keines Blickes.

Der bringt sie zu sich aufs Schloss, denn der Bergwerksbesitzer ist der Fürst zu Solms-Braunfels. Dort angekommen lässt der junge Herr Anna sofort ärztlich versorgen.

Inzwischen ist ihr Groll gegen den jungen Fürstensohn verflogen, was sie sich aber nicht anmerken lässt. Sie ist von dem Luxus, der sie plötzlich umgibt, total begeistert. Sie humpelt ein bisschen umher, staunt über den Reichtum allenthalben. Wilhelm immer neben ihr, um sie zur Not stützen zu können.

So kommt es, wie es kommen musste, sie strauchelt, er kann sie gerade noch auffangen, hält sie mit seinen starken Armen umschlungen. Für einen Augenblick nur schauen sie sich tief in die Augen, bis sich Anna von ihm losmacht, ihn gespielt angiftet.“

Jonas Bogner hielt inne, wartete auf Reaktionen.

„Die Geschichte gefällt mir richtig gut“, strahlte Maria Wiegler. „Und wie geht sie aus?“

Ähnliches hatte er erwartet, innerlich schmunzelnd.

„Da will ich mal eine Ausnahme machen.“

Er blickte in die Runde, wollte Maria Wiegler etwas zappeln lassen. Doch jetzt blickten ihn alle erwartungsvoll an, die Aufforderung an ihn, weiterzuerzählen, stand ihnen ins Gesicht geschrieben.

„Leider“, fuhr er fort und machte dabei ein betrübliches Gesicht, „doch nein, erst noch etwas anderes. Der junge Herr bringt die Anna, weil ihr Fuß immer noch ein wenig schmerzt, mit der Kutsche nach Hause.

Zunächst ist Annas Mutter in großer Sorge um ihr Kind. Als sie zudem noch erfährt, wer der junge Herr ist, versteinert sich ihr Blick, mit dem sie ihn ansieht.

Wilhelm registriert ihn nicht. Er blickt sich interessiert in der engen Wohnküche um, bewundert die dort herrschende Ordnung und Sauberkeit. Also geht es ihnen doch gar nicht so schlecht, den Arbeitern seines Vaters, denkt er bei sich. Schließlich widmet er seine Aufmerksamkeit wieder der Anna, fragt sie nach diesem und jenem.

Annas Mutter scheint sich gefangen zu haben, lässt aber ihre Tochter und den Fürstensohn nicht aus den Augen.

Als Wilhelm, indem er sich verabschiedet, um ein Wiedersehen bittet, reagiert die Mutter schroff. Darüber wolle sie zuerst mit Annas Vater reden, wenn der am Abend von der Schicht heimkommt.“

Wieder macht Jonas Bogner eine Pause.

„Und, wie geht es weiter?“, fragte Maria Wiegler ungeduldig.

„Ja, wie ich das angedeutet habe, endet auch diese Geschichte tragisch. Anna und Wilhelm treffen sich heimlich und schlafen schließlich miteinander. Als sie ihre Schwangerschaft nicht mehr verheimlichen kann, gesteht Anna ihrer Mutter, wer der Vater ist.

Die Mutter, einer Ohnmacht nahe …“

Jonas Bogner unterbricht sich, blickt in die Runde.

„Lassen Sie mich raten“, meldete sich Jennifer Haller zu Wort. „Wilhelm ist ihr Bruder.“

„Stimmt das?“, fragt Maria Wiegler entsetzt.

„Ich sagte doch, dass die Geschichte tragisch endet. Mehr möchte ich aber wirklich nicht verraten.

Ausstand

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