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Müde wirkte sie auf ihn, als sie sich an den Tisch setzte.

„Sagen Sie, Vera, haben Sie heute eigentlich schon etwas Anständiges gegessen?“

Vera lächelte ihn an, erfreut über den besorgten Ton in seiner Stimme.

„Heute Mittag, eine Kleinigkeit an der Bar.“

„Meinen Sie, wir bekämen noch etwas im Restaurant?“

„Bestimmt, aber das muss nicht sein und außerdem könnten mir ein paar Pfunde weniger nichts schaden.“

Zu offensichtlich die Ausrede, denn sie hatte eine Topfigur, wenn man sich nicht an den Modepuppen orientierte.

„Ich würde Sie gerne einladen, weil auch ich heute noch nichts Anständiges gegessen habe“, log er.

„Na, da sage ich nicht Nein.“

Er fragte den Kellner, der am Eingang des Restaurants stand, eine Zigarette rauchend.

„Für Sie beide schon. Der Pizzaofen ist zwar schon geschlossen, aber Spaghetti, das lässt sich noch einrichten.“

Jonas Bogner hatte Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, dass er nur aus Sympathie mitaß. Dagegen haute Vera Galina regelrecht rein. Wasser und Wein und schließlich Kaffee.

Als man begann, die Tische für das Frühstück am nächsten Morgen zu richten, brachen sie auf.

Am Tisch mit der runden, roten Granitplatte sitzend, berichtete er über seinen Besuch bei den Campern, von seinem Verdacht, dass da etwas im Gange sein könnte zwischen Josef Wiegler und Jennifer Haller. Er erwähnte auch, dass Frau Wiegler sie, Vera, seine Freundin, für den nächsten Tag mit eingeladen hätte. Vera Galina lächelte und wiederholte, wie in Gedanken: „Freundin“, ging aber auf die Einladung nicht weiter ein.

„Schon möglich, dass die beiden etwas miteinander haben. Sie glauben ja gar nicht, wie viele Ehen im Urlaub zerbrechen und Beziehungen beginnen. Meine Kollegin Sara, endlich habe ich jemanden gefunden, dem ich vertrauen kann, die berichtete von einem tragischen Fall, der sich hier im letzten Jahr ereignet hat. Ein Ehepaar aus Deutschland hatte sein Wohnmobil am Ostrand der Anlage aufgestellt. Dort gibt es sehr steile Felsklippen.

Eines Morgens hatte der Mann seine Frau vermisst. Er dachte, sie sei zur Morgentoilette gegangen, wartete, doch sie kam nicht zurück. Er wurde unruhig, lief zum Bad und rief ihren Namen in den Bereich der Damentoiletten, doch vergebens. Auf dem Rückweg, an einem Stück der Steilküste war er stehen geblieben, hatte überlegt, was zu tun sei. Dabei fiel sein Blick hinunter auf den schmalen Uferstreifen. Da hatte sie gelegen, tot, was er feststellte, nachdem er hinabgeklettert war. Man vermutete Selbstmord. Später, wieder zu Hause fand der Mann zwischen den Polstern im Wohnmobil einen Brief. Ein Satz mit Unterschrift: „Es geht nicht, wir müssen Schluss machen. Manfred.“

Eine Zeit lang hingen beide ihren Gedanken nach, bis Jonas Bogner noch einmal nachfragte: „Hätten Sie Lust, mich morgen Nachmittag zu den Leuten zu begleiten? Ich habe erzählt, wie wir uns kennengelernt haben und dass wir wirklich nur befreundet sind. Bei den beiden Frauen erntete ich daraufhin einen verständnisvollen Blick.“

„Stimmt“, sagte Vera Galina, man glaubt oft, es gäbe sie nicht, die ausschließliche Freundschaft zwischen Mann und Frau. Ich gehe gerne mit Ihnen, allein um zu sehen, ob Sie mit Ihrer Vermutung richtig liegen. Frauen haben dafür eher einen Blick. Übrigens, ich empfinde es als angenehm, dass wir uns siezen, obwohl wir Freunde sind. Jetzt bin ich aber doch richtig müde."

Sie stand auf, sagte: „Gute Nacht, Jonas“, und verschwand in ihr Apartment. „Gute Nacht, Vera“, rief er ihr nach, zwang sich jetzt nicht an Vera zu denken, räumte Flasche und Gläser weg, freute sich auf den morgigen Nachmittag.

„Das ist meine Freundin, Vera Galina“, stellte er sie anderntags den Hallers und Wieglers vor. Später wieder dieser Blick, als sie registrierten, dass sich die beiden nicht duzten.

Natürlich interessierte die Camper, warum Vera Galina sich gerade diesen Arbeitsplatz ausgesucht hatte. Sie hätte keine große Auswahl gehabt, meinte sie, als Reiseverkehrskauffrau, wo immer mehr Reisen über das Internet gebucht würden.

„Ich denke aber“, schaltete sich Josef Wiegler ein, „dass es immer noch genügend Arbeit gibt, gerade in Deutschland.“

Als eine Unhöflichkeit sondergleichen empfand Jonas Bogner diese Aussage.

Vera Galina überging die Bemerkung, fragte stattdessen, wie es den Campern hier auf dem Platz gefiele.

„Ganz gut“, sagte Wiegler, „wenn da nicht die ganzen Neger wären.

Wen er meinte, fragte Jonas Bogner nach.

„Er meint die Afrikaner, die hier alles Mögliche verkaufen, warf Frau Wiegler ein. Die Jennifer hat bei einem von ihnen ein ganz schickes rotes Wickelkleid gekauft. Sieht doch toll aus, nicht wahr, Josef?“

„Schon recht“, murmelte der Angesprochene.

Vera Galina sah sich genötigt, noch etwas zur Situation der Afrikaner in Italien zu sagen: „Ich las neulich, dass diese Verkäufer hier unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen, dass ihre Chefs allerdings reiche Italiener aus dem Norden seien.“

„Dann sollen die doch im Busch bleiben“, meinte Josef Wiegler in einem Ton, dass man es als Spaß auslegen konnte. Jonas Bogner interpretierte den Mann allerdings völlig anders.

Und noch einmal versuchte es Vera Galina: „Ich kenne einen von ihnen, der kommt aus Libyen. Dort schlachten die Sieger jetzt Schwarzafrikaner ab, die unter Gaddafi frei und sicher gelebt haben – mit Waffen aus Deutschland.“

Es trat eine Pause ein, keiner äußerte sich dazu.

Da traf ihn Veras Blick, der sagte: „Lassen Sie uns bitte gehen.“

Demonstrativ blickte Jonas Bogner auf seine Armbanduhr. „Ich denke, Vera, wir müssen uns jetzt verabschieden, wenn wir die Berliner noch vor ihrer Abreise erreichen wollen.“

„Stimmt, Jonas, das hätte ich beinahe vergessen, dann wollen wir mal.“

Sie verabschiedeten sich betont freundlich, doch kaum waren sie außer Hörweite, sagte Vera Galina: „Das mit den Berlinern war eine gute Ausrede, Jonas, ich hätte dieses Arschloch nicht länger ertragen können. Und wäre ich nicht hier angestellt, hätte ich das alles nicht so locker hingenommen.

Wissen Sie, dass viele Reisebüros in Deutschland billige Leiharbeiter beschäftigen? Ich bekam am Ende so wenig Lohn, dass ich Hartz IV beantragen musste, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Hier habe ich einen Zeitvertrag, mache unbezahlte Überstunden und komme auf eintausendzweihundert Euro monatlich. Was im Winter wird, weiß ich noch nicht.“

Da erzählte Jonas Bogner von dem Glück, das ihn durch den Tod der Tante ereilt hatte.

„Aber noch ein Wort zu dem Wiegler und der Haller“, wechselte Vera Galina das Thema, auch weil sie nichts über ihre sonstigen finanziellen Verhältnisse sagen wollte. „Haben Sie den Blick der Frau Wiegler gesehen, als sie von dem roten Wickelkleid sprach?“

„Aber ja, Vera.“

„Da läuft etwas zwischen den beiden, garantiert.“

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