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Vier

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Zum ersten Mal mit dem Auto auf einer Fähre, verlief das Verladen einfacher als es sich Jonas Bogner vorgestellt hatte. Der Einweiser sorgte dafür, dass er etwas mehr als eine Handbreit neben dem Nachbar-PKW zum Stehen kam. Erleichtert begab er sich in seine Kabine, wo es ihn aber nicht lange hielt. Es zog ihn zum Buffet, und als er vor den Auslagen stand, verleitete ihn sein Appetit, in deutscher Weise zu verfahren, den Teller mit Pommes Frites, Kotelett und Gemüse vollzuladen.

An einem langen Tisch fand er einen freien Platz. Dort saßen bereits zwei Erwachsene und zwei Halbwüchsige, Mutter, Vater, Tochter und Sohn, nahm er an. Alle schienen mit den italienischen Tischsitten besser vertraut zu sein als er, liefen mehrmals zum Büfett, nahmen von diesem und jenem, probierten von Verschiedenem. Zunächst als Beobachter ließ es sich nicht vermeiden, ihren Gesprächen lauschen zu müssen. Offensichtlich waren sie auf dem Weg in den Urlaub, Schweitzer, was er aus ihrer Sprache schloss. Deshalb verstand er nicht alles, was gesprochen wurde. Er hatte den Eindruck, sie gebrauchten ihr Schwyzerdütsch dann, wenn sie nicht wollten, dass er etwas verstand. Manchmal schaute er sich in 3sat die Schweizer Nachrichten an und wundere sich, wenn selbst ein Regierungsmitglied ins Deutsche übersetzt werden musste. Was er von dem Gespräch seiner Tischnachbarn mitbekam, war, dass sie auf Sardinien Campingurlaub machen wollten. Und das nicht zum ersten Mal. Sohn und Tochter hofften, alte Bekannte wieder zu treffen. Vater, Sohn und Tochter wünschten sich viel Wind zum Surfen. Die Mutter äußerte sich kaum, lächelte zu allem.

„Und Sie?“, fragte ihn plötzlich die Tochter, die er auf sechzehn Jahre schätzte.

„Ich schreibe und studiere und hoffe, auf der Insel schönes Wetter und Ruhe zu finden.“

„Was studieren Sie denn?“, hakte sie nach.

„Geschichte“, antwortete er kurz angebunden, hatte eigentlich keine Lust, ausführlicher zu werden.

„Interessiert mich weniger“, war er froh zu hören.

„Und worüber schreiben Sie?“, fragte ihn nun die Mutter.

„Über das, was ich studiere“, wich er aus.

„Nein, ich meine Romane oder Sachbücher?“

„Ein Roman soll es werden, aber es gibt noch nichts Konkretes.“

Damit erlosch ihr Interesse an ihm, und sie ergingen sich weiter in Spekulationen über den bevorstehenden Urlaub zu ergehen.

Die Eltern mussten so um die vierzig sein, der Sohn wahrscheinlich fünfzehn und voll in der Pubertät, was Jonas Bogner aus den Blicken schloss, die er seinen Eltern und ihm zuweilen zuwarf. Die Tochter musste älter sein, vielleicht siebzehn.

Bald empfahl er sich. Er sei müde, sagte er und hoffe auf eine Überfahrt ohne starken Wellengang. Auf dem Weg zu seiner Kabine kam er an einer Bar vorbei, stellte sich an die Theke, bestellte einen Grappa, den er sogleich trank. Kaum unter die Bettdecke gekrochen, schlief er ein.

Am Morgen dann die Ansage, dass man die Garage aufsuchen konnte. Er ließ sich Zeit, fand seine Annahme bestätigt, seinen Wagen frei stehend vorzufinden. Im Hafenbereich legte er einen Halt ein, programmierte das Navi, und bog eine knappe Stunde später von der Straße ab. Kurz darauf erreichte er die Rezeption des Campingplatzes. Die Schranke hob sich, wie von Geisterhand gesteuert. Rechter Hand entdeckte er einen Parkplatz, und kaum dass er sein Auto eingeparkt hatte, sah er sie, Vera Galina, die vom Rezeptionsgebäude her gelaufen kam.

„Schön, Sie zu sehen“, begrüßte sie ihn und reichte ihm ihre Hand. „Sie können den Wagen vorerst hier stehen lassen. Ich zeige Ihnen dann erst mal Ihr Zimmer.“

Sofort ging sie ihm voraus und entband ihn damit der üblichen Floskeln. Sie erreichten ein einstöckiges Gebäude und über ein paar Stufen einen großzügigen Innenhof, atriumartig, von dem drei Türen abgingen. Vera Galina wies auf die Tür, neben der ein kleines Porzellanschild die Nummer acht zeigte. Sie schloss auf, übergab ihm den Schlüssel. „Hoffentlich gefällt es Ihnen. Ich muss dann mal wieder. Man kontrolliert mich – noch, hoffe ich. Um zehn, heute Abend, habe ich Feierabend. Da können wir noch ein wenig klönen, wenn Sie wollen?“

„Aber ja, gerne.“

„Dann bis dann. Ach übrigens, ich wohne in Nummer neun, gleich nebenan.“ Und weg war sie.

In der Mitte des Innenhofes befand sich ein gemauerter runder Tisch mit einer Platte aus rotem Granit. Hier ließ es sich gut verweilen, im Wind- und Sonnenschatten, dachte er, nahm seinen Koffer und ging hinein. Das Zimmer war einfach eingerichtet. An der Wand, gegenüber des Bettes, ein Kleiderschrank. In der Mitte des Raumes ein kleiner Tisch, um den zwei Sesselchen standen. Ein Fenster in der dritten Wand gab den Blick frei auf eine parkähnliche Landschaft.

Unter dem Fenster stand ein Tischchen, an dem es sich arbeiten ließ. Neben dem Kleiderschrank befand sich eine kleine Tür, die ins Bad führte; Toilette, Bidet und Duschkabine. Als er begann, seine Sachen in den Kleiderschrank einzuräumen, entdeckte er dort eine Kaffeemaschine, mit der sich deutscher Kaffee bereiten ließ. Ein Kühlschrank hinter der Tür und darüber ein kleines Regal, in dem ein wenig Geschirr gestapelt stand, vervollständigten die Zimmerausstattung. Hier ließ es sich aushalten, dachte er. Alles eingeräumt, zog er sich um, um einen Rundgang zu machen.

In der Hoffnung, Vera Galina zu treffen, lief er zur Rezeption, traf sie aber nicht an, fragte auch nicht nach ihr. Stattdessen ließ er sich einen Lageplan des Platzes geben. Dort war ein Rundweg eingezeichnet, der am Ufer der Buchten entlangführte. Die gesamte Anlage erstreckte sich über eine Halbinsel, die überwiegend mit Pinien bewachsen war. Sofort empfing ihn der harzige Duft dieser mediterranen Kiefer, gedrungener als die unsrige mit schirmartigen Wipfeln. Von einer Felsenbucht aus gelangte er in die nächste, beide menschenleer, weil heute ein ziemlicher Mistral wehte. Um das Kap herum, auf der Ostseite, war es windstill. Hier standen in den Buchten einige Wohnwagen und Wohnmobile. Er gelangte jetzt in eine größere Bucht mit weißem Sandstrand. Über ihm erstreckten sich auf zwei Ebenen Terrassenplätze. Zwei waren mit Wohnwagen und einer mit einem großen, T-förmigen Zelt belegt. Er kletterte den Hang hinauf, wollte sich eine Parzelle näher ansehen.

Als er näher herankam, erkannte er vor dem Zelt, um einen Tisch sitzend, die Schweizer Familie wieder, die er auf der Fähre getroffen hatte.

Der Vater hatte ihn ebenfalls erkannt, winkte ihn sogleich heran. Jonas Bogner, nicht besonders an einem Gespräch interessiert, näherte sich zögernd, wurde aber mit großem Hallo begrüßt, so als träfen alte Freunde aufeinander.

„So ein Zufall“, meinte der Vater, klappte einen Stuhl auf und bat ihn, sich zu ihnen zu setzen. Die Mutter war aufgesprungen und im Zelt verschwunden, kehrte aber sogleich mit einer Tasse in der Hand zurück. Einen Kaffee würde er doch nicht ablehnen, meinte sie, zumal es nun an der Zeit sei, sich einander vorzustellen. Sie wartete seine Antwort erst gar nicht ab, fragte, ob er Milch und Zucker nähme.

Also fügte er sich, bedankte sich für die Einladung. Derweil übernahm der Vater die Vorstellung seiner Familie, indem er der Reihe nach auf die Personen zeigte: „Meine Frau, Maria Wiegler, meine Tochter Patrizia, mein Sohn Torben und ich Josef Wiegler.“

„Jonas Bogner“, nannte er schließlich auch seinen Namen.

Alle waren sie von dem Campingplatz begeistert, lobten das Wetter, den Strand und die netten Nachbarn. Am Abend würde man zusammen mit dem Paar von nebenan grillen, wozu er herzlich eingeladen sei, sagte Josef Wiegler.

Zuerst wollte Jonas Bogner höflich ablehnen, hätte schon etwas vor, als ihm in den Sinn kam, das Wissen über Campinggewohnheiten möglicherweise nutzen zu können.

„Kann ich etwas beisteuern?“, fragte er der Höflichkeit halber.

„Nein, natürlich nicht“, lehnte Maria Wiegler kategorisch ab, alles läge schon im Kühlschrank bereit. Gute Laune sei angebracht, lachte Josef Wiegler.

Man fragte ihn nach seiner Unterkunft und ob er damit zufrieden sei. Er bejahte und beschrieb ihnen sein Apartment, berichtete auch von seiner Bekanntschaft mit Vera Galina. Er wusste nicht, warum er das tat. Vielleicht auch, um zu zeigen, dass er nicht allein war und deshalb eingeladen werden musste.

„Dann bringen Sie Ihre Freundin doch einfach mit“, schlug Maria Wiegler sogleich vor.

Das ginge nicht, da sie Spätdienst hätte, meinte er, ohne es zu wissen.

„Na, vielleicht ein andermal“, meinte die Mutter.

Das ließ er offen, empfahl sich, nachdem er seinen Kaffee getrunken hatte, mit der Begründung, den Platzbereich zu Ende erkunden zu wollen.

„Dann bis später“, verabschiedete ihn Maria Wiegler und griff wieder nach ihrem Häkelzeug, das sie aus der Hand gelegt hatte, als er gekommen war.

Vom Hauptweg zweigte ein Trampelpfad ab, der durch das für die Gegend typische Macchiagestrüpp führte. Ihm folgend, gelangte er in eine kleine Bucht mit weißem Sand, die noch unbewohnt war. Er zog sich bis auf die Unterhose aus, legte sich in den warmen Sand, genoss die Sonne. Es wehte kein Lüftchen und er war deshalb bald so aufgeheizt, dass er sich des letzten Kleidungsstückes entledigte und vorsichtig, nach Seeigeln Ausschau haltend, ins Wasser stieg. Kalt empfand er es, schließlich war es erst Ende April. Er schwamm ein Stück, bis er aus der Bucht hinaus war. Jetzt hatte er einen freien Blick aufs Meer, das von ihm aus gesehen, einen grünlichen Ton angenommen hatte.

Wieder zurück, ließ er sich von der Sonne trocknen und zog sich an. Es war an der Zeit, die nötigen Einkäufe zu tätigen. Frau Wiegler hatte zwar einen Beitrag seinerseits abgelehnt, doch so ganz ohne etwas wollte er dort nicht erscheinen. Einen Vermentino di Gallura und einen Cannonau di Alghero, die wohl bekanntesten Weine Sardiniens, gedachte er mitzunehmen.

Es blieb ihm noch eine Stunde Zeit, die er nutzte, in der relativen Dunkelheit seines Zimmers zu ruhen. Was für ein Leben, ging es ihm durch den Kopf. Geldbesitz kann auch Unabhängigkeit fördern. War er auch weit davon entfernt, zum Müßiggänger zu werden, allein die Möglichkeit, darüber bestimmen zu können, wann er arbeiten wollte und wann nicht, bedeutete ein hohes Maß an Freiheit. Schließlich machte er sich auf den Weg.

Ausstand

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